Hochland, Heft Steyr, November 1919

1 November 1919 Seite 2 finden sind, eine Rast in geräumigen Bürgerstuben, vollgefüllt mit der Vorväter Hausrat, der unberührt auf unsere Tage herüber gekommen ist, muß im Kenner wie im Laien helles Entzücken wach rufen. Die Stadt ist außerordentlich glücklich gelegen. An der Mündung zweier Flüsse, der Enns und Steyr, hat sie sich festgesetzt und be¬ herrscht seit altersher diese beiden in das Herz der steirischen Alpen vordringenden Verkehrswege. — Die nahen Eisenlager der Steiermark haben hier auch eine rege Indu¬ strie seit Jahrhunder¬ ten zur Blüte gebracht. Die günstige Lage hat schon die traungau¬ ischen Grafen ange¬ lockt, die sich vor bei¬ nahe tausend Jahren auf den diluvialen Schotterterrassen zwi¬ chen den beiden Flüs¬ sen, am spitzen Winkel des Zusammenflusses ihr Schloß hingebaut haben, das trotzig und beherrschend die kleine Welt der Bürgerhäu¬ Stadtplat ser zu seinen Füßen überragt. Und dann haben sich bald große und kleine Häuser an die Hänge des Schloßberges angelehnt und sind emporgekrochen und schauen noch heute mit ihren hohen Giebeln und vorragenden Stockwerken neu¬ gierig und erstaunt auf das Leben herab, das sich Tag um Tag vor ihnen abspielt und sich im Grunde doch nur wenig geändert hat, seit sie stehen. Zwischen den Flüssen und der „Leiten“ blieb nur wenig Platz übrig für die Siedlung der Bürgerschaft und so besteht die alte Stadt im wesentlichen aus einer Straße, die sich da, wo sich der Afersaum etwas weitet, zum Stadt¬ platz ausbreitet. Trotz dieser geringen räum¬ lichen Ausdehnung bietet dieser Teil von Steyr ein Bild reichster Kulturentfaltung; Gothik, Renaissance und Barock wetteifern miteinan¬ der, das Auge des Beschauers zu entzücken. Das Schloß der Lambergs ist mehrmals renoviert und zu Anfang des 18. Jahrhunderts nach einem großen Brand neu aufgebaut wor¬ den. So ist es eine vielfache Mischung ver¬ schiedener Stile. Aus den einzelnen Perioden der Bautätigkeit mit ihrem Gemenge von Motiven tritt dennoch das Barock als führende Linie markant hervor. Durch das wappenge¬ schmückte Tor, das zu den schönsten Teilen des Baues gehört, betritt man den weitgedehnten Hof, in den das Grün des uralten Schlo߬ parkes, der heute der Allgemeinheit als herr¬ licher Stadtpark freigegeben ist, sowie die Bäume, die von der Seite der Steyr her die Hänge des Schloßberges hinanklettern, herein¬ grüßen. Stimmungsvolle Ruhe umfängt uns und durch ein offenes Tor fällt der Blick auf einen Laubengang, der den mächtigen Schlo߬ graben überspannt. Reizvolles Gitterwerk, das von einer hohen Vollendung der Schmied¬ eisenkunst wie aller Orten in der Stadt redet, ziert die Fenster. Aber den Schloß flattern ein paar Tauben auf und von fernher nur tönt der Schall der hundertfäl¬ tigen Arbeit aus den Fabriken, die die uralte Tradition der Eisenarbeit in dieser Stadt fortsetzen, sie wie ein Kranz umschließen, der einzige Laut, der die Stille und den Frieden dieser Stätte unterbricht und eindringlich an die neue Zeit gemahnt. Warmer Sonnenschein liegt über dem Laubengang und wir treten aus dem Schloß hinaus in die alte Berggasse, von der aus sich ein weiter Blick über die Giebel und Türme der alten Stadt hinweg zu den neuen Stadtteilen, bis an das freundliche Hügelgelände und im Hintergrund bis zu dem herrlichen Bergkranz erschließt, der die Stadt im Süden umringt. Jnnigst ist die Stadt mit der Natur verwoben, die überall hereinlugt und uns auf Schritt und Tritt begleitet, auch hinab in die engen Straßen der alten Stadt, in die wir nun eintreten. Ihr Zauber nimmt uns gleich gefangen. Es ist Markt¬ tag und ein frohes Gewimmel von städtischer und ländlicher Bevölkerung erfüllt Straßen und Platz und kennzeichnet sie als Mittelpunkt eines Bauernlandes, das reich an wertvollen Gütern des Bodens ist. Und dazu diese herrliche Amrahmung des lebensvollen Bil¬ des! Der einzig schöne Stadtplatz mit dem ein¬ heitlichen, noch wenig gestörten Gesamtein¬ druck! Auf dem kurzen Weg, den wir durch die Straßen und die Plätze gehen, geben sich die leitenden Stillinien von mindestens vier oder fünf Jahrhunder¬ ten ein Stelldichein und Gothik, Renais¬ sance und Barock wett¬ eifern miteinander in allen Schattierungen, im einzelnen das Beste zu geben und vereint in Steyr. doch ein malerisches Gesamtbild zu bieten. Eine Auswahl da zu treffen, vom Schönen das Schönste zu finden, ist eigentlich so schwer! Den Vorzug vor allen anderen Profanbauten verdient unstreitbar der „Eisenhof“, im Volksmunde das „Bummerlhaus“ genannt. Man frägt sich erstaunt, wie dieses Schmuckkästchen deutscher gothischer Bau¬ kunst mit seinen zierlichen Fensterumrah¬ mungen und Spiybogengesimsen, mit seinem traulichen säulenumschlossenen Hof so unbe¬ rührt auf unsere Tage kommen konnte. Ein gütiges Geschick hat hier gewaltet und dieses Kleinod rein erhalten. Ein paar Schritte weiter und wir stehen vor dem freudigsten und leuch¬ tendsten Barock, das überhaupt, wie selbstver¬ ständlich, am Platz dominiert. Etliche Fassaden, die vom behäbigen Bürgerreichtum Zeugnis geben, reden in ihrem zierlichen, gar nicht auf¬ dringlichen Stuckornament, den leichtgeschwun¬ genen, feinen Linien, den munteren Putten und dem fröhlichen Geranke der Blätter eine Sprache heiterer, sorgloser Lebensauffassung. Und wo die Bürger solcher huldigten, da mußte auch daß Rathaus dies schon nach außen hin kund kun. Es ist in seiner eleganten, gefälligen Bauart des späteren Barock und anklingenden Rococo eine wahre Zierde des Straßenbildes. Wie es so an seinem Platze steht, wo es durch die Wucht der Gewässer der Enns mehr als einmal gefährdet und, mehr als einmal auch niedergelegt, wieder erstanden ist, zeugt es von einer mutigen Lebensbejahung, die das Kenn¬ zeichen des kraftvollen deutschen Bürgertums früherer Jahrhunderte war, das sich trotz Not und Kriegsgefahr, trotz Seuchen und Verfol¬ gung aller Art immer wieder zu neuem Werte schaffenden Leben aufraffte. Die Pilaster, Balustraden und Barockfiguren des Baues sind von hoher Vollendung und schlank streckt der Turm den Doppelaar, als Zeichen der ehemaligen freien Reichs¬ stadt, in die Lüfte. And beiderseits und gegenüber dem Rathaus, Haus um Haus voll prächtiger Motive und origineller Einfälle der Bauherren und Meister der Kelle. And die vielen schmiedeisernen Wirtshausschilder als Beweis, daß das edle Handwerk seit grauer Vorzeit hier eine Heim¬ stätte gefunden hat. Ein Kapitel für sich bilden die alten, wundervollen Höfe der Häuser. Sie gehören meist der späteren Gothik, aber auch der Renaissance an und heimeln außerordentlich durch die von trefflich gemeiselten Steinsäulen getragenen Laubengänge an. Mit Fug und Recht kann man sagen, daß Alter Hof in Steyr.

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