Hochland, Heft Steyr, November 1919

In einer Zeit, die so arm ist wie die unsrige an wahrhaft künst¬ lerischen Straßen= und Stadtbildern, gewinnen die wenigen Städte, die ihre bauliche Eigenart gut erhalten auf unsere Tage K hernbergereterhaben,imimer mehr an Ansehen und Bedeutung. Frühere Jahrhunderte sind durch den künstlerischen Sinn, der den Menschen der Kulturländer innewohnte, berühmt. Ohne Zwang und besondere Vorbildung haben sie aus einem natürlichen ange¬ borenen Schönheitsgefühl heraus das Richtige getroffen, haben alles mit einer gewissen entzückenden Liebenswürdigkeit zu umgeben verstanden und nicht bloß den großen sondern auch den kleinen Dingen des Lebens ihre liebevolle Sorg¬ falt und Aufmerksamkeit gewidmet. So entstanden die durchwegs harmonisch gestalteten Bauwerkeprofaner und kirch¬ licher Richtung, die unser ästhetisches Empfinden so befriedigenden Bürger¬ häuser und Paläste, aber auch die dem Ganzen zugestimmte und angepaßte Inneneinrichtung, von der jedes Stück, ob groß oder klein, nicht nur seinen Zweck ganz erfüllt, sondern auch noch heute durch seine gefällige Form das Auge erfreut. Dies alles war selbstver¬ ständlich und läßt auf ein Zusammen¬ wirken von Bauherrn und Baumeister, von Handwerker und Kunde schließen. Alter Hof Allzeit und überall ist dieses Bestreben und dieses Können, das Zweckmäßige mit dem Schönen zu verbinden, erkennbar. Aus der Not der Zeit wurde diese Liebe zu den schönen alten Dingen, die heute immer mehr Menschen erfaßt, geboren. Als die Flut der Greuel, die uns aller Orten umgaben, aufs höchste gestiegen war, als der letzte Rest des Schönheitsgefühls im bloßen Streben nach Erwerb zu ersticken drohte, da lenkten wir unsere Blicke in ferne Zeiten zurück und aus jedem Winkel und jeder Kammer stiegen unendlich viele Schönheitswerte empor und wirkten befruchtend aufunser Schaffen; eine heiße Liebe und ein in¬ niges Verstehen erwachte in uns. Wir lernten erkennen, wie sich die Eigenart der verschiedenen Stämme unseres Vol¬ kes in ihrem schöpferischen Wirken aus¬ drückt und wie das Antlitzunsrer Städte ein Spiegelbild des Seelen= und Ge¬ mütslebens ihrer Bewohner ist. And aus dieser Liebe zu den Werken der deutschen Vergangenheit erwachte der Wunsch, sie als Zeugen einer hohen und weit zurückreichenden Kulturbetätigung zu erhalten, damit sie beispielgebend weiter wirken können und das Neue, das geschaffen wird, sich volks- und land¬ schaftsgemäß auf den Grundlagen des Alten weiter entwickle. Und da fing man erst an, sich auch in unseren österreichischen Ländern um¬ zusehen, nachdem Nürnberg, Rotten¬ burg, Hildesheim und viele, viele andere deutsche Städtekleinodien schon längst entdeckt waren. Aber auch die deutsch¬ österreichischen Alpenländer besitzen ein Juwel eines künstlerischen und wohler¬ haltenen Stadtbildes in der guten alten Eisenstadt Steyr. Immer lauter dringt in Steyr. der Ruf von der malerischen Schönheit dieser ehrwürdigen historischen Stätte hinaus in die Lande und ruft die frohe Schar der Künstler herbei. Ein kurzer Gang durch die wenigen Straßen der alten Stadt, ein Blick in stillverträumte Höfe, wie sie in dieser Fülle und Schönheit fast nirgends in deutschen Landen wieder zu

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