November 1919 Seite 10 S Heneas=Gruppe. Eod. Plastiken von H. Dontiller. Putte. Himmel dahinjagte, hervorkam, nahm er den Hut unauffällig ab; wenn es sich wieder ver¬ dunkelte, setzte er ihn gravitätisch auf. Der „jugendliche Komiker“ war tadellos nach der neuesten Mode gekleidet. Der kleine Knirps sah putzig=geckenhaft aus und war wie aus einem satirischen Witzblatt herausgeschnitten. Im letzten Wagen kamen die Kränze. Es waren prächtige darunter. Weithin sichtbar leuchteten die Goldbuchstaben eines Lorbeer¬ kranzes: „Meinem unersetzlichen Mitgliede. Die trauernde Direktion!“ Ein anderer Kranz trug die Inschrift: „Anserem lieben unvergeßlichen Kollegen, dem trefflichen Menschen und echten Künstler. Die Kollegen!“ Etwas versteckter lag ein kleiner Kranz mit der Inschrift: „Meinem besten Freunde! Während der Fahrt wurde viel von dem Toten gesprochen. Nur Gutes natürlich. Wie das immer so ist. Auch seine Schrullen, seine Sonderlingsmanieren wurden entschuldigt. Selbst, daß er mehr Bildung und Wissen besaß, als sie alle zusammen, verziehen sie ihm heute. Denn er war tot — unschädlich ... Ein Abglanz jener Verklärung fiel auch auf den guten Hans Knutzke. Seine Freundschaft und Hingabe an den Verstorbenen fand man geradezu rührend. Und gerade diese Freundschaft war die Zielscheibe ihres Spottes gewesen. Erst vor einigen Tagen am Stammtisch der „Geselligen“, als der hagere Charakterspieler mit trockenem Sarkasmus der Tischrunde erzählte, daß Heider mit dem harmlosen jungen Menschen nur so freundschaftlich verkehrte, weil er dessen Lachen nicht entbehren konnte. Dieses dröhnende, alles übertönende Lachen! Wenn Knutzke lachte, dann lachte das Publikum mit. And Knutzke lachte sehr leicht. Wenn die Stimmung noch ganz flau war, lachte Knutzke schon Tränen. Sein Freund brauchte nur die Nase aus der Kulisse vorzustecken, dann erscholl vom dritten Rang schon ein fürchterliches Gelächter. And so entstand jene Wechselwirkung, die man „Stimmung“ nennt. Denn die auf der Bühne wurden ungezwungener und freier. Be¬ sonders Heider... Denn es muß gesagt werden, er war ein vortrefflicher Mensch mit umfassender Bildung, hatte Philologie studiert und war dann, seinem unbezwinglichen Drange folgend, zur Bühne gegangen. And er nahm es sehr ernst mit seiner Kunst. Zu ernst vielleicht. Aber als Ko¬ miker besaß er einen Fehler:er war nicht komisch. Man konnte nicht so recht über ihn lachen. Man blickte zu sehr in seine Werkstatt, merkte, wie er sich quälte, um eine heitere Wirkung zu erzielen. Wohlwollende Beurteiler nannten sein Spiel „maßvoll und dezent". Heider war auch schriftstellerisch tätig. Er hatte zwei Werke über seine Kunst geschrieben, die ernste wissenschaftliche Beachtung fanden. Nur auf der Bühne wollte es ihm nicht glücken. Mehrmals war er früher dem ominösen Kündigungsparagraphen zum Opfer gefallen. Da gelang es ihm, sich am Melpomene¬ Theater eine ganz geachtete Stellung zu machen. Aber er verdankte sie hauptsächlich seiner stren¬ gen Pflichterfüllung — und seiner kleinen Gage Und die Eingeweihten wußten es: der Direk¬ tor suchte seit langem einen Ersatz für Heider. „Ich muß einen Komiker haben, der komisch ist, und keinen, der Bücher über die Komik schreibt,“ soll er erst vor einigen Tagen ge¬ äußert haben. Das lange Ringen um den Erfolg war an Heider nicht spurlos vorübergegangen. Er war ein verbitterter einsamer Junggeselle geworden. Aber er glaubte felsenfest an seine vis comica. Und Knutzke, der kleine, dicke Postbeamte, ebenfalls. Und so waren die beiden Freunde geworden. Der Geschmack des Publikums war nur durch öde Possenreißer verbildet. Sein Tag mußte auch noch kommen. Der große Lacherfolg nach dem er sich sein Leben lang gesehnt, würde nicht ausbleiben. Große Hoffnung setzte er auf die Rolle, die seine letzte geworden. Er hatte Knutzke vorher jede Nuance mitgeteilt. Der schüttelte sich vor Lachen. „Das wird dein größter Lacherfolg,“ sagte er in unerschütterlichem Optimismus. Nun war es anders gekommen. ... Der Friedhof war erreicht. Die Wagen hielten. Die blonde Soubrette führte bereits das Taschentuch an die Augen, als sie die ersten Gräber sah. „So etwas ist mir schrecklich,“ sagte sie zu ihrem Begleiter, der ihr aus dem Wa¬ gen half. Sehr traurig und kummervoll sah auch der Charakterdarsteller aus. Der Sekretär hatte ihm eben anverkraut, daß von dem Rollennach¬ laß Heiders ihm der „Eingebildete Kranke“ zu¬ fiele, und diese Mitteilung hatte seine alte Freundschaft wieder angefacht. Er nahm meh¬ rere Kränze und trug sie zum Grabe. Einige Theater=Habitués, Leute, die überall dabei sein müssen, warteten bereits. Als der Zug sich aufstellte, ging ein kurzer Platzregen nieder. Aber die Sonne strahlte weiter. „Auch das noch,“ sagte die Soubrette und weinte noch mehr. Der Väterspieler war in großer Verlegen¬ heit. Regen und Sonnenschein, darauf war er mit seinem Zylinder nicht vorbereitet. Er atmete auf, als die Beerdigung ihren Anfang nahm und sein Kopf endgültig unbedeckt bleiben konnte. Als die Soubrette den Sarg sah, vor dem der Geistliche einherschritt, war sie einer Ohn macht nahe... Der Pastor sprach kluge taktvolle Worte. Aber große rednerische Begabung war ihm ver¬ sagt. Er versprach sich sehr oft. And die Rede war sehr lang Dann sprach der Direktor. Er schritt feier¬ lich zum Grabhügel und legte seinen Kranz nieder. Dann blieb er einige Zeit stehen und blickte wehmutsvoll in das offene Grab. And dann begann er zu sprechen. Pathetisch und feierlich. Er nannte den Verstorbenen einen „Wohltäter der Menschheit“ einen „Seelen¬ arzt", der Tausende gesund gemacht hätte durch die göttliche Gabe seines Humors und seiner bezwingenden Komik. Und sein Tod wäre ein großer Verlust für alle; den größten Verlust aber hätte er als Direktor erlitten. And der Künstler sei gestorben, wie der Soldat auf dem Schlachtfelde, in Ausübung seines Be¬ cufes
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