Hochland, Heft Steyr, November 1919

November 1919 Seite 7 Sammelwerk „Aus da' Hoamat“, in welchem in einer stattlichen Reihe von Bänden hauptsächlich die Werke der bedeutenderen verstorbenen Mundartdichter mit reichem Bildschmuck und volkstümlichen Ver¬ konungen enthalten sind. Ein wahrer Strom echtester Heimatsliebe fließt aus diesen trauten Volksbüchern über das ganze Land. Der zweite Markstein in der Ent¬ wicklungsgeschichte der oberöster¬ reichischen Mundartdichtung ist ein Vierteljahrhundert nach der Grün¬ dung des „Stelzhamerbundes“ ge¬ setzt worden Ich meine die Grün¬ dung des „Bundes der ober¬ österreichischen Mundart¬ dichter“ durch den Schreiber dieser Zeilen und Karl Mayer in Linz, im Jahre 1909. Im Jahre 1910 erschien das erste Jahrbuch des Bundes unter dem Titel „Hoamatgsang", welches alle 5 Jahre herausgegeben werden soll. (1915 erschien es in¬ folge des Weltkrieges nicht). Der zweite Band 1920 erscheint zu Weih¬ nachten 1919. Der „Bund ober¬ österreichischer Mundartdichter“ ist eine ideale satzungslose Vereinigung aller im Lande geborenen, in Mund¬ art Schreibenden. Das Ziel des Bundes ist die Pflege und Verbrei¬ tung guter, zeitgenössischer Mundartdichtung. Näheres über die weiteren Absichten des Bundes sind aus dem Nachworte des 1. Bandes „Hoamat¬ gsang“ zu ersehen. Im nächsten Jahre erscheint voraussichtlich eine von dem steirischen Dichter, Alfred Maderer in Mannheim verfaßte Literaturge¬ schichte, welche zum erstenmale der Mundartdichtung in Oberösterreich eine eingehende Würdigung zukeil werden lassen wird. Eines aber sei gesagt: es keimt, grünt, blüht und reift reichlich im Garten der ober¬ österreichischen Mundartdichtung. Die unvergleichliche Schönheit des Landes, Eigenart und Sitten seiner Bewohner wecken immer neue Sänger. Heimat und Mundart gehören zusammen wie Mutter und Kind. Laßt sie uns heilig halten! „Oan wöcka, oan schröcka, Oan höbn und oan lögn, Dös alls muaß a Gsang Mit sein Klang vamögn!“ Atelier Blümelhuber in Steyr. (Mlütterchens Oterbekerze. Erzählung von Jepp Gleimfelsen. r war bereit zu sterben. Weshalb? —— Er fand, daß für ihn kein Schicksalswandel mehr eintreten könne, der den Todeswunsch Anabänderlichen. zu ersticken vermöge. — In einem Alter von kaum 9 24 Jahren bereits im Bewußtsein vollständiger psychischer Erschöpfung leben, heißt eigentlich schon — tot sein. Zu einer Zeit die Flinte in's Korn wer¬ fen, in der Andere erst beginnen, der Welt Rechte abzufordern, abzuringen; sich einzugestehen: „Dein Leben ist höchstens noch einige Gramm Pulver wert, dazu eine Kugel“. nennt man eine Dummheit — nicht nur Feigheit. Und trotzdem, Richard war nicht feige, auch nicht dumm. Er war nur — müde. Es gibt eine Müdigkeit, die man als Vorbote baldiger Erlösung durch den Tod hinnehmen darf, hin¬ nehmen soll. Das Schicksal wirft uns bedingungslos der Schwäche in die Arme und diese lähmt den Lebens¬ willen; man stirbt mehr oder weniger rasch ab in ihrer Amstrickung. Der junge Mann, von dem ich das Nachfolgende erzähle, saß in seinem, nur spärlich erhellten Zimmerchen und dachte über das Nächstliegende nach. Dabei war er nicht im geringsten geistigen Hemmungen ausgeliefert. Im Ofen brannte und knisterte, wie er sich selbst sagte, das letzte Feuer. Eine Art Galgenhumor hatte ihn veran¬ laßt, seine Ahr um etliche Kronen zu verkaufen. Dafür wurde noch Holz besorgt und etwas zum Abendessen. Dies war vorüber. — Rasch verglim¬ mende Kienholzfunken sengten schwarzbraune Punkte und Flecke in den Fußboden. Durch den Kaminschlot pfiff der naßkalte Februar¬ wind seine unheimlichsten Liedlein in die Ohren des Todes¬ kandidaten. — „Singe, höhne, verspotte mich“, stöhnte dieser. „Bald Gleiche kun“ dankenwirren. Plötzlich rankte sich durch die Seele die Frage: Ob es denn wirklich innersten. —— Aberstürzt, unerwartet, kam sie daher. klügelt, was zu geschehen habe. Richard hatte bereits vor Tagen den Entschluß gefaßt zum nun Damals hatte er sich eingestanden: „Im Tode findest du endlich dein Recht. Sterben ist jenes heilige Geheimnis, das alles ausgleicht. Sterben ist nichts anderes als wieder einmal Rück¬ kehr in den Zustand der Befreiung von allen irdi¬ schen Belastungen“. Was war denn zu verlieren? Arm wie eine Kirchenmaus und menschenscheu wie ein zaghaftes Kind, stand er mutterseelen¬ allein im Leben. Die Anderen hatten ihn so weit gebracht. Man schlug ihn fast unausgesetzt mit Ruten. Freilich, ab und zu wurden die Reiser mit Rosenblättern umhüllt. Rutenstreiche bleiben immer Ruten¬ streiche! Mitunter nannte man sie: wohlmeinende Warner vor einer allzu optimistischen Lebensauffassung. — Und weil er nun weder gegen diese noch gegen anderes, das die an ihm herum Nörgelnden abgestellt wissen wollten, erfolgreich anzukämpfen ver¬ mochte, so dachte Richard an den frei¬ willigen Tod. Die Allmacht hatte ihn mit Willen zum Durchhalten nicht reich¬ lich bedacht. Er nahm die Sache jedoch an¬ fänglich leichter, als sie in jenem Augenblicke sich ausnahm, in dem die Mordwaffe vor ihm lag. Es kamen ihm mit einmal allerlei Bilder in die Quere. Die mußten noch durch¬ lebt werden. - Er sah sich als ganz jungen Menschen, gleich nach der Matura. Die Freude hatte jedwedes Gleich¬ gewicht verdrängt. Er stand als glückselig Hoffender, das blinde Vertrauen in die Mitmenschen als Schutz¬ Michael Blümelhuber. patron, noch nicht kampfmüd, zwischen Selbstsucht und Hast im Ringen um ein halbwegs sorgenloses Dasein. O! er verspürte und begriff noch lange Zeit hindurch nichts von diesen schon ist alles zu Ende, dann kannst Du über meinem Grabe das Weggenossen der meisten Menschen. Heute fragte er sich: „Hat sich von allen deinen hoffnungsgeschwellten Träumen auch nur „einer“ erfüllt Das Wörtchen „Grab“ riß ihn aus den unterschiedlichsten Ge= im nackten Leben?“ „Nein, Nein!“ schrie Richard in das Zimmer hinein und erwachte dabei aus seinem Nachsinnen. Dadurch entgingen ihm aber auch Erinnerungsbilder die den Ansatz notwendig sei, daß er sterbe. Sie bemächtigte sich seines Aller=, nahmen zum Belebenden, Erfrischenden, Beruhigenden. Statt ihrer machte sich das Erinnern breit an Jahre des Hungers, Und, es war doch längst schon bestimmt, bis auf das Kleinste ausge= des Elends, der bittersten Enttäuschungen. Er verabschiedete es mit kurzem, hohltönigem: „Auch überstanden!“

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