Seite 6 November 1919 Einiges über die oberöfferreichischen Mundartdichtungen v. Prof. Sregor Soldbacher in Stegr. Jede Provinz liebt ihren Dialekt, Denn er ist eigentlich das Elemenk, in w lchem die Seele ihren Athem schöpft. Goetbe. n einer Zeitschrift, welche ihre Seiten meiner lieben Vaterstadt öffnet, muß wohl oder übel auch ein wenig von der Mundartdichtung ge¬ plaudert werden, zumal wenn man selber einer von der „Zunft“ ist. Ich will nicht eine Geschichte der Mundartdichtung schreiben, so ver¬ lockend dies auch wäre; nur einige Streiflichter will ich auf die Ent¬ wicklung derselben werfen, da es fest¬ steht, daß gerade in unseren Tagen, vielleicht als Folgeerscheinung des überstandenen Weltkrieges einfrisch. fröhliches Schaffen auf diesem Ge¬ biete eingesetzt hat. — Es ist wohl unbestritten, daß Oberösterreich in Bezug auf Mundartdichtung, sowohl was die Zahl der Dichter, als auch was die Bedeutung des von ihnen Geschaffenen betrifft, an der Spitze der deutschen Länder marschiert, was Rosegger gelegentlich bestätigt, indem er irgendwo sagt: „Oberösterreich ist das klassische Land der Mundartdichtung.“ Langsam und zögernd nur hat sich die Mundartdichtung in der Literatur Bahn gebrochen, galt doch noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts der Gebrauch der Mundart für unge¬ bildet und roh und gar in derselben zu dichten hätte wohl niemand gewagt. Erst in jener Epoche, da auch im Schrifttum die Rückkehr zur Natur ge¬ predigt wurde, konnte die Mundartdichtung ihre Fittiche entfalten. Freilich dauerte es viele, viele Jahre, bis dieser Dichtungs¬ gattung, die doch den unendlich reichen Schatz an altem Sprachgut vermittelt, der gebührende Platz eingeräumt wurde, der ihr heutzutage allerdings nicht mehr bestritten wird. Seltsam ist es, daß der Ahnherr der oberösterreichischen Mundartdich¬ ker, der Benediktiner P. Maurus Lindemayr (1723—1783) aus Lam¬ bach, vorwiegend Dramatiker war. Seine Bauernlustspiele gemahnen ein wenig an Hans Sachs'sche Schwänke. Die dramatische Richtung ist in der Mundartdichtung der späteren Jahre nie mehr so zur Geltung gekommen wie bei Lindemayr und ist auch gegenwärtig nur recht spärlich gepflegt. Unter den Mundartdichtern vor Stelz¬ hamer ragt Anton Schosser (1801—1849) weit über die anderen hervor. Wir nennen ihn mit Stolz einen der unseren, denn der Losen¬ steiner Natursänger, der wie keiner vor und nach ihm in den zartesten Tönen die Schönheit der Bergwelt im Enns-, Steyr- und Almtal besungen, schläft am hochgelegenen, in seine geliebten Berge schauenden Friedhof von Steyr. Seine Lieder sind Volksgut geworden für alle Zeiten, das ist wohl das Schönste, was man einem Dichter nachrühmen kann. Fast zur gleichen Zeit wie Schosser stieg am Himmel der Mund¬ artdichtung, alle anderen vor und nach ihm gleichzeitig in den Schatten stellend, die Sonne heimischen Sängertums empor, der „Franz von Piesenham“ Franz Stelzhamer (1802—1874), von dessen Schöpf¬ ungen Bienenstein mit Recht sagt: „Seine Dichtungen sind der vollen¬ detste Ausdruck der Volksseele. Wie keinem anderen, ist es ihm gelungen, sich ganz und gar in das Volk hineinzufinden und aus dem Vollen zu schöpfen.“ Es ist nicht meine Aufgabe, an dieser Stelle eine eingehende Würdigung unseres „Franzl“ zu bringen, nur die eine Behauptung möchte ich gleich vielen anderen hier aufstellen und unterstützen, daß Stelz¬ hamer der bedeutendste deutsche Mundartdichter überhaupt ist, denn an Tiefe und Gehalt erreichen ihn auch Fritz Reuter und Klaus Groth nicht. Erst eine vollständige, bedau¬ erlicherweise noch immer fehlende Gesamtausgabe der Werke Stelz¬ hamers wird seine überragende Mei¬ sterschaft unumstößlich beweisen. Raum und Zeit versagen es mir, die Schar der mit Stelzhamer gleich¬ zeitig oder nach ihm schaffenden Mundartdichter näher zu betrachten oder auch nur die vielen Namen an¬ zuführen. Hoffentlich ist die Zeit nicht ferne, wo ein vollwertiger Mundartforscher und gründlicher Kenner der heimatlichen Sprache eine eingehende Literaturgeschichte die¬ ses bedeutsamen Zweiges deutscher Dichtung ins Leben ruft. — Aus jenen bodenständigen Geistern, welche die nähere Amgebung Steyrs, um die es sich in diesem Aufsatze natur¬ gemäß nur handeln kann, seien als Zeitgenossen Stelzhamers bloß einige Mundartdichter hier hervorgehoben. In Enns, einer der ältesten Städte Oberösterreichs, wurde Karl Adam Kaltenbrunner (1804—1867) geboren, der, obwohl als Vize¬ direktor der Hof= und Staatsdruckerei in Wien lebend, dennoch seine heimatliche Mundart außerordentlich treu und rein bewahr! hatte und in seinen Dichtungen nicht müde wurde, die Schönheit seiner oberösterreichischen Heimat zu preisen und seiner Landsleute Eigenart in köstlichen Ge¬ dichten zu schildern. Das Tal des klaren, smaragdgrünen Steyr¬ flusses, der in Steyr sich mit der Enns vereint, ist reich an Naturschönheiten und seine Be¬ völkerung, welche zur damaligen Zeit die Kleineisenindustrie betrieb, reich an köst¬ lichen Charakteren aller Art. Zwei Mundartdichter des Steyrtales müssen hier wohl genannt werden. Es sind dies Josef Moser (1812—1893) aus Klaus und Norbert Purschka (1813—1898) aus Waldneukirchen. Er¬ sterer ein Arzt des Leibes („Da' Bada' z'Klaus“), letzterer ein Arzt der Seele, haben beide, durch ihren Berr jedenfalls in reichem Maße unterstützt, Großes in der Charakterisierungskunst geleistet. Moser zeichnet seine Gestalten aus dem Volksleben mit sicherem, oft recht scharfem Griffel, Dechant Purschka schaut seinen Landsleuten bis in die Tiefen der Seele, deckt aber über alles den versöhnen¬ den Hauch liebevollen Verstehens und Ver¬ zeihens. Wer Land und Leute, Sitten und Gebräuche des Steyrtales aus jener Zeit kennenlernen will, findet bei Moser und Purschka reiche Ausbeute. — Es erübrigt nur noch, zwei besondere Marksteine in der Entwicklung der Mundartdichtung zu besprechen, denen eine hervor¬ ragende Bedeutung zukommt. — Zu Beginn der achtziger Das alte Ennstor in Steyr. Jahre des vorigen Jahrhunderts faßten drei heimatbegei¬ sterte Männer, welche von der Universität her treue Freunde waren und in der oberösterreichischen Studentenverbindung „Germania“ schon für heimatliche Dichtung tätig waren, den Entschluß, sich zu gemein¬ samer Arbeit zusammenzuschließen und nach und nach die Werke der oberösterreichischen Mundartdichter in würdiger Form herauszugeben und so den breiten Volksschichten zu vermitteln. So entstand der „Stelz¬ hamerbund“, bestehend aus den Herren Regierungsrat Dr. Hans Commenda, in Linz, Regierungsrat Dr. Anton Matosch in Wien und Oberlandesgerichtsrat Dr. Hans Zötl in Efer¬ ding. (Dr. Matosch, selbst ein bedeutender Mundartdichter, starb im Mai 1918). Vom ganzen Lande hervorragend unterstützt, entstand so das Leopoldsbrunnnen am Steyrer Stadtplatz.
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