Hochland, Heft Steyr, November 1919

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In einer Zeit, die so arm ist wie die unsrige an wahrhaft künst¬ lerischen Straßen= und Stadtbildern, gewinnen die wenigen Städte, die ihre bauliche Eigenart gut erhalten auf unsere Tage K hernbergereterhaben,imimer mehr an Ansehen und Bedeutung. Frühere Jahrhunderte sind durch den künstlerischen Sinn, der den Menschen der Kulturländer innewohnte, berühmt. Ohne Zwang und besondere Vorbildung haben sie aus einem natürlichen ange¬ borenen Schönheitsgefühl heraus das Richtige getroffen, haben alles mit einer gewissen entzückenden Liebenswürdigkeit zu umgeben verstanden und nicht bloß den großen sondern auch den kleinen Dingen des Lebens ihre liebevolle Sorg¬ falt und Aufmerksamkeit gewidmet. So entstanden die durchwegs harmonisch gestalteten Bauwerkeprofaner und kirch¬ licher Richtung, die unser ästhetisches Empfinden so befriedigenden Bürger¬ häuser und Paläste, aber auch die dem Ganzen zugestimmte und angepaßte Inneneinrichtung, von der jedes Stück, ob groß oder klein, nicht nur seinen Zweck ganz erfüllt, sondern auch noch heute durch seine gefällige Form das Auge erfreut. Dies alles war selbstver¬ ständlich und läßt auf ein Zusammen¬ wirken von Bauherrn und Baumeister, von Handwerker und Kunde schließen. Alter Hof Allzeit und überall ist dieses Bestreben und dieses Können, das Zweckmäßige mit dem Schönen zu verbinden, erkennbar. Aus der Not der Zeit wurde diese Liebe zu den schönen alten Dingen, die heute immer mehr Menschen erfaßt, geboren. Als die Flut der Greuel, die uns aller Orten umgaben, aufs höchste gestiegen war, als der letzte Rest des Schönheitsgefühls im bloßen Streben nach Erwerb zu ersticken drohte, da lenkten wir unsere Blicke in ferne Zeiten zurück und aus jedem Winkel und jeder Kammer stiegen unendlich viele Schönheitswerte empor und wirkten befruchtend aufunser Schaffen; eine heiße Liebe und ein in¬ niges Verstehen erwachte in uns. Wir lernten erkennen, wie sich die Eigenart der verschiedenen Stämme unseres Vol¬ kes in ihrem schöpferischen Wirken aus¬ drückt und wie das Antlitzunsrer Städte ein Spiegelbild des Seelen= und Ge¬ mütslebens ihrer Bewohner ist. And aus dieser Liebe zu den Werken der deutschen Vergangenheit erwachte der Wunsch, sie als Zeugen einer hohen und weit zurückreichenden Kulturbetätigung zu erhalten, damit sie beispielgebend weiter wirken können und das Neue, das geschaffen wird, sich volks- und land¬ schaftsgemäß auf den Grundlagen des Alten weiter entwickle. Und da fing man erst an, sich auch in unseren österreichischen Ländern um¬ zusehen, nachdem Nürnberg, Rotten¬ burg, Hildesheim und viele, viele andere deutsche Städtekleinodien schon längst entdeckt waren. Aber auch die deutsch¬ österreichischen Alpenländer besitzen ein Juwel eines künstlerischen und wohler¬ haltenen Stadtbildes in der guten alten Eisenstadt Steyr. Immer lauter dringt in Steyr. der Ruf von der malerischen Schönheit dieser ehrwürdigen historischen Stätte hinaus in die Lande und ruft die frohe Schar der Künstler herbei. Ein kurzer Gang durch die wenigen Straßen der alten Stadt, ein Blick in stillverträumte Höfe, wie sie in dieser Fülle und Schönheit fast nirgends in deutschen Landen wieder zu

1 November 1919 Seite 2 finden sind, eine Rast in geräumigen Bürgerstuben, vollgefüllt mit der Vorväter Hausrat, der unberührt auf unsere Tage herüber gekommen ist, muß im Kenner wie im Laien helles Entzücken wach rufen. Die Stadt ist außerordentlich glücklich gelegen. An der Mündung zweier Flüsse, der Enns und Steyr, hat sie sich festgesetzt und be¬ herrscht seit altersher diese beiden in das Herz der steirischen Alpen vordringenden Verkehrswege. — Die nahen Eisenlager der Steiermark haben hier auch eine rege Indu¬ strie seit Jahrhunder¬ ten zur Blüte gebracht. Die günstige Lage hat schon die traungau¬ ischen Grafen ange¬ lockt, die sich vor bei¬ nahe tausend Jahren auf den diluvialen Schotterterrassen zwi¬ chen den beiden Flüs¬ sen, am spitzen Winkel des Zusammenflusses ihr Schloß hingebaut haben, das trotzig und beherrschend die kleine Welt der Bürgerhäu¬ Stadtplat ser zu seinen Füßen überragt. Und dann haben sich bald große und kleine Häuser an die Hänge des Schloßberges angelehnt und sind emporgekrochen und schauen noch heute mit ihren hohen Giebeln und vorragenden Stockwerken neu¬ gierig und erstaunt auf das Leben herab, das sich Tag um Tag vor ihnen abspielt und sich im Grunde doch nur wenig geändert hat, seit sie stehen. Zwischen den Flüssen und der „Leiten“ blieb nur wenig Platz übrig für die Siedlung der Bürgerschaft und so besteht die alte Stadt im wesentlichen aus einer Straße, die sich da, wo sich der Afersaum etwas weitet, zum Stadt¬ platz ausbreitet. Trotz dieser geringen räum¬ lichen Ausdehnung bietet dieser Teil von Steyr ein Bild reichster Kulturentfaltung; Gothik, Renaissance und Barock wetteifern miteinan¬ der, das Auge des Beschauers zu entzücken. Das Schloß der Lambergs ist mehrmals renoviert und zu Anfang des 18. Jahrhunderts nach einem großen Brand neu aufgebaut wor¬ den. So ist es eine vielfache Mischung ver¬ schiedener Stile. Aus den einzelnen Perioden der Bautätigkeit mit ihrem Gemenge von Motiven tritt dennoch das Barock als führende Linie markant hervor. Durch das wappenge¬ schmückte Tor, das zu den schönsten Teilen des Baues gehört, betritt man den weitgedehnten Hof, in den das Grün des uralten Schlo߬ parkes, der heute der Allgemeinheit als herr¬ licher Stadtpark freigegeben ist, sowie die Bäume, die von der Seite der Steyr her die Hänge des Schloßberges hinanklettern, herein¬ grüßen. Stimmungsvolle Ruhe umfängt uns und durch ein offenes Tor fällt der Blick auf einen Laubengang, der den mächtigen Schlo߬ graben überspannt. Reizvolles Gitterwerk, das von einer hohen Vollendung der Schmied¬ eisenkunst wie aller Orten in der Stadt redet, ziert die Fenster. Aber den Schloß flattern ein paar Tauben auf und von fernher nur tönt der Schall der hundertfäl¬ tigen Arbeit aus den Fabriken, die die uralte Tradition der Eisenarbeit in dieser Stadt fortsetzen, sie wie ein Kranz umschließen, der einzige Laut, der die Stille und den Frieden dieser Stätte unterbricht und eindringlich an die neue Zeit gemahnt. Warmer Sonnenschein liegt über dem Laubengang und wir treten aus dem Schloß hinaus in die alte Berggasse, von der aus sich ein weiter Blick über die Giebel und Türme der alten Stadt hinweg zu den neuen Stadtteilen, bis an das freundliche Hügelgelände und im Hintergrund bis zu dem herrlichen Bergkranz erschließt, der die Stadt im Süden umringt. Jnnigst ist die Stadt mit der Natur verwoben, die überall hereinlugt und uns auf Schritt und Tritt begleitet, auch hinab in die engen Straßen der alten Stadt, in die wir nun eintreten. Ihr Zauber nimmt uns gleich gefangen. Es ist Markt¬ tag und ein frohes Gewimmel von städtischer und ländlicher Bevölkerung erfüllt Straßen und Platz und kennzeichnet sie als Mittelpunkt eines Bauernlandes, das reich an wertvollen Gütern des Bodens ist. Und dazu diese herrliche Amrahmung des lebensvollen Bil¬ des! Der einzig schöne Stadtplatz mit dem ein¬ heitlichen, noch wenig gestörten Gesamtein¬ druck! Auf dem kurzen Weg, den wir durch die Straßen und die Plätze gehen, geben sich die leitenden Stillinien von mindestens vier oder fünf Jahrhunder¬ ten ein Stelldichein und Gothik, Renais¬ sance und Barock wett¬ eifern miteinander in allen Schattierungen, im einzelnen das Beste zu geben und vereint in Steyr. doch ein malerisches Gesamtbild zu bieten. Eine Auswahl da zu treffen, vom Schönen das Schönste zu finden, ist eigentlich so schwer! Den Vorzug vor allen anderen Profanbauten verdient unstreitbar der „Eisenhof“, im Volksmunde das „Bummerlhaus“ genannt. Man frägt sich erstaunt, wie dieses Schmuckkästchen deutscher gothischer Bau¬ kunst mit seinen zierlichen Fensterumrah¬ mungen und Spiybogengesimsen, mit seinem traulichen säulenumschlossenen Hof so unbe¬ rührt auf unsere Tage kommen konnte. Ein gütiges Geschick hat hier gewaltet und dieses Kleinod rein erhalten. Ein paar Schritte weiter und wir stehen vor dem freudigsten und leuch¬ tendsten Barock, das überhaupt, wie selbstver¬ ständlich, am Platz dominiert. Etliche Fassaden, die vom behäbigen Bürgerreichtum Zeugnis geben, reden in ihrem zierlichen, gar nicht auf¬ dringlichen Stuckornament, den leichtgeschwun¬ genen, feinen Linien, den munteren Putten und dem fröhlichen Geranke der Blätter eine Sprache heiterer, sorgloser Lebensauffassung. Und wo die Bürger solcher huldigten, da mußte auch daß Rathaus dies schon nach außen hin kund kun. Es ist in seiner eleganten, gefälligen Bauart des späteren Barock und anklingenden Rococo eine wahre Zierde des Straßenbildes. Wie es so an seinem Platze steht, wo es durch die Wucht der Gewässer der Enns mehr als einmal gefährdet und, mehr als einmal auch niedergelegt, wieder erstanden ist, zeugt es von einer mutigen Lebensbejahung, die das Kenn¬ zeichen des kraftvollen deutschen Bürgertums früherer Jahrhunderte war, das sich trotz Not und Kriegsgefahr, trotz Seuchen und Verfol¬ gung aller Art immer wieder zu neuem Werte schaffenden Leben aufraffte. Die Pilaster, Balustraden und Barockfiguren des Baues sind von hoher Vollendung und schlank streckt der Turm den Doppelaar, als Zeichen der ehemaligen freien Reichs¬ stadt, in die Lüfte. And beiderseits und gegenüber dem Rathaus, Haus um Haus voll prächtiger Motive und origineller Einfälle der Bauherren und Meister der Kelle. And die vielen schmiedeisernen Wirtshausschilder als Beweis, daß das edle Handwerk seit grauer Vorzeit hier eine Heim¬ stätte gefunden hat. Ein Kapitel für sich bilden die alten, wundervollen Höfe der Häuser. Sie gehören meist der späteren Gothik, aber auch der Renaissance an und heimeln außerordentlich durch die von trefflich gemeiselten Steinsäulen getragenen Laubengänge an. Mit Fug und Recht kann man sagen, daß Alter Hof in Steyr.

Seite 3 November 1919 dieser Reichtum an schönen Höfen einzig dasteht. Wie muß sich doch da drinnen das Leben reich und in sich selbst gekehrt abgespielt haben! Seite der Stadtterrasse der zweite hohe Wächter über der Stadt, Bauerngehöfte weithin das Land. Des Bürgers und Arbeiters Fleiß und die herrliche gothische Pfarrkirche mit ihrem zierlichen, himmelan¬ strebenden Turm und der baulich bedeut¬ samen Margareten¬ kapelle Die Wahrzei¬ chen der weltlichen und geistlichen Macht bil¬ den Schloß und Kirche als Gegenstücke über dem Leben in den engen Grenzen einer klein¬ bürgerlichen deutschen Stadt. Und wenn wir an die Gemarkungen der Stadt kommen, sperren überall noch die alten Stadttore den Weg hinaus ins Freie; ge¬ gen Norden, der Stadt Enns zu, das wun¬ derschöne, sgraffittoge¬ schmückte Schnallen¬ tor, gegen Süden die beiden Ennstore an der Bürgerspital reißendsten Stelle des Flußes, gleichzeitig auch als Abwehr gegen die Stürme des Elementes errichtet. Sie schließen eines der schönsten Plätzchen von Steyr ein, das Grünmarktplätzchen mit dem altberühmten Innerberger Getreidespeicher, Ausdauer den Grundstein für ein Werk gelegt, das so lange als einst die Stätte reicher Arbeit und üppigen Bergsegens, wo sich die Erzschätze des Innerberges im Eisenerz aufstapelten, heute das originellste, den alten Werken im Steyrtal die neuen, prunkvollen Arbeitsstätten Stadtmuseum, das man sich denken kann. Und wie es im Innern der Stadt von Herrlichkeiten aller Art auf architektonischem Gebiete wimmelt, so ist es auch draußen in den Vorstädten Ennsdorf und Steyrdorf, nur vieles kleiner und bescheidener. Noch unendlich vieles gäbe es zu berichten. Aber wen dies deutsche Märchen eines Stadtbildes an sich zieht, der nehme den ausgezeichneten Führer des Heimatschutzvereines zur Hand und wan¬ dere nach seiner Weisung! Er wird sich nicht wieder so bald loszureißen vermögen. Anter den kulturellen Mittelpunkten der österreichischen Stammlande ist die alte Eisen¬ stadt nicht die letzte. Grau wie ihre steilgiebe¬ ligen Dächer ist ihre Vergangenheit, die weit in sagenhafte Zeiten zurückreicht, da die Römer eisengepanzert das Ennstal zur Donau herab¬ stiegen und auf diesem uralten Verkehrswege das Erz der steirischen Berge ins flache Land hinausführten. Seither ist hier die Kultur nicht mehr erstorben, bis aus dem kleinen ver¬ träumten Landstädtchen ein achtunggebietender Industrieort geworden ist. Der Name dieser Stadt hat heute guten Klang in mehr als einer Hinsicht. Möge ein gutes Geschick die Stätte, wo bisher die Waffen für den schrecklichen Krieg geschmiedet wurden, in eine bessere, friedvolle Zukunft geleiten, da Werke der Kultur und Völkerversöhnung aus ihr her¬ Schnallentor in Steyr. vorgehen werden. Und rings um sie dehnt sich breit und lachend üppiges Frucht¬ gelände, die Kornkammer des alten Österreich und heute mehr denn And über all dem steht oben an der dem Schlosse entgegengesetzten, je die Hoffnung dieses Staates. Gleich stolzen Burgen beherrschen die des Bauers Kraft, das sind die Quellen, aus denen der Wohlstand der Stadt seit Jahr¬ hunderten floß: Das Erz und das Holz der Berge und die Frucht des schweren Acker¬ bodens. Mehr als die Landeshauptstadt Linz war in früheren Zeiten Steyr in Wahrheit der Vorort des Bauern¬ landes Oberösterreich, wo der Landmann alle Erzeugnisse zu Markte tragen und alle Be¬ dürfnisse des täglichen Lebens decken konnte. In den beiden Flu߬ tälern aber, die sich hier im Winkel treffen, war von jeher der Sitz einer lebhaften Ge¬ werbetätigkeit. — Das niemals feiernde Leben der Arbeit, Esse an in Steyr. Esse erinnert uns, daß sich hier die Industrie ein Heim aufgeschlagen hat. Männer so hart wie der Stahl, der hier geschmiedet wird, haben in Jahrzehnte langer, zäher österreichische Waffenfabrik Weltruf genoß. Mächtig bauen sich neben auf als Zeugen der Bedeutung dieses Unter¬ nehmens. Daneben pochen in den Tälern der Amgebung noch immer die kleinen Hämmer wie einst, da es noch keine Großindustrie gab. Von den modernsten Schießwaffen herab bis zu den aus trauter Kinderzeit herüber¬ klingenden Maultrommeln und den bunt ge¬ färbten Taschenfeiteln wird alles im großen Steyrer Industriebezirke hergestellt. In der Erkenntnis des Wertes des bürger¬ lichen Erwerbslebens hat die Stadt ihrem großen Bürger Werndl ein prächtiges Monument aus Tilgners Meisterhand setzen lassen. Es ist nahe dem eines anderen Mannes, der nicht minder den Namen dieser Stadt bekannt ge¬ macht hat, Anton Bruckners, des sinnigen Komponisten, der hier während einiger Sommer mehrere seiner unsterblichen Werke schrieb. So ist die ernste Arbeit und die heitere Muse nahe beieinander. Die Siedlung mit dem reichen Industrieleben und die Stadt mit dem kleinbürgerlichen Sinn der Bewohner, das Einst und das Heute sind von einander kaum durch mehr als einen Hügel getrennt. Dr. Emmerich Dillewizer. Wen sehnsüchtiger Drang nach den Wundern der Fremde hinaustrieb, Lernt in der Fremde — wie bald! — innigstes Heimatsgefühl. E. Gelbel. Eine Stunde bei (Michael Blämelhuber. eben den vielen landschaftlichen und baulichen Schönheiten, die das alte, von dem internationalen Fremden¬ strome so gut wie gar nicht berührte Steyr aufzuweisen hat, besitzt es in seinem Mei¬ steratelier für Stahlschnitt eine Einrichtung, an der kein Kunstfreund vorübergehen sollte, ohne Einlaß zu heischen. Eine Stunde bei Michael Blümelhuber gehört nicht zu den verlorenen. Das Land Oberösterreich hat mit Unterstützung des Staates und der Stadt im Jahre 1910 dem Meister außer Steyrs Toren ein Heim erbaut, das seinesgleichen nicht bald finden wird. Ein Treppenweg führt zu einem Hügel empor und dort erhebt sich, mit der Rückseite gegen den Berg gelehnt, das Zauberheim des oberöster¬ reichischen Meisters, ein Werk des Ohmann¬ schülers Alfred Rodler. — Dort verwirklicht Michl Blümelhuber den Traum seiner Jugend: Die alte längst vergessene Arbeit des Eisenschnit¬ tes hat er in der Form des wertvollen Stahl¬

Seite 4 November 1919 „Innerderger Stadl“ bel Steyr. schnittes zu neuen Ehren gebracht und zu einer Höhe entwickelt, daß er sich stolz den Meister aller Meister nennen darf. Dem Rundgang durch die bei aller Einfachheit mit auserlesenem Geschmack eingerichteten Wohnräume des Hau¬ ses (es ist von Blümelhuber und seinen Schü¬ lern bewohnt) folgt die Besichtigung des Mei¬ sterateliers und der Werkstätte. Dort wandelt sich Blümelhuber förmlich, dort wird er warm und dann erzählt er wohl auch von seinem Sin¬ nen und Trachten, von seinen früheren und sei¬ nen künftigen Arbeiten. Von den größeren Ar¬ beiten, die er vollendet hat, ist ein Kreuz für Kalksburg zu nennen. Das dornenumwundene Herz des Heilands, daß das Kreuz schmückt, ward in verkleinerter Wiedergabe zu einem An¬ hänger verwendet, den einst die Herzogin von Hohenberg trug. Eine Arbeit von wundervoller Feinheit ist das Messer, das mehrere öster¬ reichische Kavaliere dem Meisteratelier als eine Art Stiftung überlassen haben, das sogenannte Fürstenbergsche Jagdmesser. Ein Amerikaner hätte für dieses Wunderwerk der Stahlschneide¬ kunst 10.000 Kronen auf den Tisch gelegt. Das Messer, an dem Blümelhuber ein volles Jahr gearbeitet hat, zeigt reichsten figuralen und ornamentalen Schmuck, und zwar in einer Rein¬ heit der Ausführung, daß des Staunens kein Ende ist, wie man aus einem Stück härtesten Stahles so kristallfeine Gebilde zu schaffen ver¬ mag. Den Knauf des Messers bildet ein durch¬ brochener Kübelhelm, unten am Ansatz der Klinge ist ein Hirsch zu sehen, der durch Akantus¬ blätter schlüpft, dann Steinbock, Gemse und Adler. — Am die Güte seines Stahles zu er¬ proben, nahm Blümelhuber nach Vollendung seines Werkes einen Hammer, setzte das Mes¬ ser auf eine ziemlich starke Eisenplatte und trieb es mit einem kräftigen Schlag glatt durch das harte Material. Weder Heft noch Klinge des Messers nahmen Schaden. An Arbeit fehlte es dem Meister nie; für den neuen Dom in Linz hat er den kunstvollen Schlüssel ver¬ fertigt, für den Domschatz in St. Peter in Wien, der sich im Laufe der Jahrhun¬ derte manche Plünderung ge¬ fallen lassen mußte und heute unter all seinen Gold- und Silber¬ geräten fast kein einziges wirk¬ liches Kunstwerk enthält, war ein Kreuz bestimmt. Die Entwürfe hiezu zeigen Blümelhuber als Denker von philosophischer Tiefe; sonst wäre es ihm z. B. nicht ge¬ lungen, die Gestalt der Maria Magdalena mit dem Gedanken von der allumfassenden Liebe des Erlösers in so glücklicher Weise zu verbinden, wie er es tatsäch lich getan hat. Als Michael Blümelhuber vor Jahren in Paris weilte, erhielt er von Amerikanern ver¬ lockendste Angebote nach New¬ Vork. Er schlug sie aus, denn er hatte die Empfindung, daß er, der an das Rauschen der Enns gewöhnt ist und seine grünen Berge nicht missen kann, unter den himmelhohen Wolkenkratzern New-Vorks totunglücklich sein würde. Der Liebe zur Heimat hat Österreich es zu danken, wenn der Meister des Stahlschnittes geblieben ist; es soll dankbar an¬ erkannt werden, daß sich Staat und Land auf ihre Pflicht be¬ sonnen und Blümelhubers Pläne in einer Art förderten, die ihn die Anhänglichkeit an sein Vaterland nicht zu einer Quelle bitterer Reue werden ließen. Zu allen Zeiten ist die schwierige Kunst des Stahlschnittes nur von wenigen geübt und wohl von niemand zu so hoher Vollendung geführt worden wie von Michel Blümelhuber. Schon den Römern war die künstlerische Bearbeitung des Stahles geläufig, aber sie mußten sich auf gefällige Formgebung durch Schmieden und die ornamentale Gravierung mit Meißel und Grab¬ stichel beschränken. Auch diese noch einfache Art der künstlerischen Stahlbearbeitung ging mit dem Antergang des römischen Weltreiches in den Zeiten der Völkerwanderung scheinbar ver¬ loren. Sie tauchte erst wieder auf im 13. Jahr¬ hundert, einige Meister erreichten im Schmieden, Treiben und Gravieren eine hohe Vollkommen¬ heit, die sich z. B. an den prächtigen Türbe¬ chlägen der Notre=Dame=Kirche in Paris fest¬ stellen läßt. Doch blieb auch da die Gravierung bei der nur linearen Verzierung stehen. (Ab¬ rigens nahm die eigentliche Gravierung des Stahles als Druckplatte von Bildern erst seit 1820 bedeutenden Aufschwung). Vom ersten Grad des Stahlschnittes, der linearen Stahlgravierung, die landläusig Stahl¬ stich genannt wird, gelangte man allmählich auf die zweite Stufe des Stahlschnittes: zum Relief¬ stahlschnitt, bei dem der Stahl mittels Stichel, Meißel und Bohrer auf kaltem Wege wirtlich geschnitten“ wird. Diese mühsame Technik kam erst in den Zeiten der Renaissance in Aufnahme aber auch da wagten sich nur wenige Künstler Deutschlands und Italiens an sie heran. Im¬ merhin sind uns aus jener Epoche eine Reihe wahrer Prachtstücke von Stahlschnitt, in Relief erhalten geblieben. Noch seltener sind die Stahl¬ arbeiten im Vollfigurenschnitt, in dem sich haupt¬ sächlich nur die deutschen Meister Thomas Rucker (Augsburg) und Gottfried Beygebe (Nürnberg) mit besonderem Erfolg zu betätigen vermochten. Der letzte Sieg über die schwierige und mühsame Technik wurde erst nach Jahrhunderten erkämpft: in unseren Tagen. Der Steyrer Michel Blümelhuber brachte die vollfigürliche und dann durchbrochene Stahlarbeit, die sogenannte à jour=Technik, zu einer bisher unerreichten Blüte. Der Stahl, den der Meister verwendet, ist der weltbekannte Böhler-Stahl von Kapfenberg im steirischen Erzgebirge, dessen Härte so hoch¬ gradig ist, daß er nur mit Korundpulver oder mit Diamantstaub geschliffen werden kann. Die kostbaren Werkzeuge, mit denen sich dieses Ma¬ terial bearbeiten läßt verfertigt und härtet sich der Meister selbst nach eigenem Verfahren. 688O Mein' Datastadt! Du mein liabs, mein alts Steyr Voll Gassln und Stiagn; So liab liegst in Tal drinn, Wia a Kind in da Wiagn. Ja, a Kind in da Wiagn! Los, wia's treuherzi plauscht. Willst ös hern, geh na abi, Wo's Wassa z'sammrauscht Va da brünndlklarn Steyr, Va da wiesngrean Enns. Wannst ma noh so a Playl woaßt, Büabl, aft nenn's! Aba schau Di' voneh An Eichtl noh um; Os is ja so liabli Am d'Stadt umadum. Voll Acka und Obstbam Agsögnts Paradeis. And stöllst Di' wo dani Auf a Flöckerl a freis, Aft grüaßen Di' d'Berg! A ganza Kroas volla Pracht. Van Traunstoan zan Schneeberg, Daß da 's Herz völli' lacht. Und unt' liegt mei Stadtl, Altö Häusa, gachö Stiagn, Liegt drinnat im Landl Wia a Kind in da Wiagn! Gregor Goldbacher,

November 1919 Seite 5 Hans ontiller. Ein Giroler Vildhauer in Stegr. Das „Bummerlhaus“ in Steyr. alte Eisenstadt Steyr hat schon 5 32h auf viele Künstlernaturen ihren un¬ G * widerstehlichen Zauber ausgeübt und mancher ist schon diesem Wer¬ ben des schönheitsvollen Städtchens an Enns und Steyr erlegen und hat für kürzere oder längere Zeit hier Rast gemacht. So ist es auch mit dem Tiroler Bildhauer Hans Pon¬ tiller, einem der begabtesten und zukunfts¬ reichsten Künstler, über die das herrliche, an Künstlern wahrhaft nicht arme Land Tirol ver¬ fügt. Durch Schickungen aller Art aus der Heimat in die Fremde gekommen, ist der junge, schaffensfrohe Künstler in der Reichshauptstadt und in Oberösterreich rasch bekannt geworden, bekannter als seinen eigenen Landsleuten, ob¬ gleich er an seinem Landl, an dessen Bergen und Bewohnern mit tausend Fasern hängend, ihnen durch seine Abstammung und das Kraft¬ volle in seinen Werken nahe steht. Hans Pontiller 1887 in Jenbach im sanges¬ frohen Unterland geboren, verbrachte seine Jugend in Hall, der alten Bergknappenstadt und Münzstätte, die mit ihren wundervollen Architekturen, dem mächtigen Hintergrund des Bettelwurfmassivs, von dem sie sich türmereich abhebt, auf sein künstlerisches Auge und Gemüt den ersten tiefen Eindruck gemacht hat. Es waren die unberührten, für ursprüngliche Eindrücke empfänglichsten Jahre bis zum 14., die er dort verlebte. Wie so viele große Künstler hat auch Pontiller die rauhe Schule des Handwerkes mitgemacht; er wurde Kunsttischler. Und was er da an technischer Fertigkeit, an Genauigkeit und Sauberkeit der Arbeit, was er in diesen arbeitsreichen und mühevollen Jahren beson¬ ders an Vertrautheit mit dem Material ge¬ lernt hat, es kam ihm später, als er sich vom Hand¬ werk losmachte und die selbständige Künstler¬ laufbahn einschlug, zugute und ist wohl heute noch in seinem Schaffen erkennbar als jene Note, die von Verantwortlichkeit vor dem eigenen Gewissen und Durcharbeitung des Vorwurfes bis zum äußersten spricht. Waren es doch auch gewissenhafte Männer, die es mit ihrem Handwerk und mit ihrer Kunst ge¬ nau nahmen, die seine ersten Schritte auf der künstlerischen Laufbahn begleiteten und tief ihre Spur eingeprägt haben, nämlich Kunstmaler Raffeiner und Bild¬ hauer Penz in Schwaz. Es war sein Jugend¬ traum und seine Sehn¬ sucht, diesen Männern, die er seit seiner Kind¬ heit kannte, nachzueifern und sie, zu denen er als unerreichbare Mei¬ ster aufblickte, zu er¬ reichen. So vergingen die Schwazer Lehrjahre in reicher, stiller Arbeit. Nach vollendeter Lehr¬ zeit ging er dann nach Innsbruck, wo der junge Mann die Staatsgewer¬ beschule durch einein¬ halb Jahre besuchte und von dort nach Wien an die Kunstgewerbeschule und endlich an die Aka¬ demie der bildenden Künste. Seine Lehrer waren Barwig und in der Spezialschule Bitterlich. Schon an der Akademie bekam Pontiller einige erste Preise, so für die hier reproduzierten Werke: „Eva“ und für „Aeneas“. So kam der große Krieg und mit ihm für die schaffende Künstlerwelt eine schwere Zeit. Auch für unseren jungen Künstler sollte sie einen Wendepunkt in seinem Leben bedeuten. Die österreichische Waffenfabriksgesellschaft in Steyr bestellte bei ihm, auf dessen Arbeiten einige kunstverständige Verwaltungsratsmit¬ glieder dieses Unternehmens aufmerksam ge¬ worden waren, einen überlebensgroßen Waf¬ fenschmied, der als Wahrzeichen der Zeit des Weltkrieges in der Halle der neuen Schie߬ stätte der Waffenfabrik in Steyr steht. So kam Pontiller nach Steyr, wo ihn dann noch weitere Aufträge festhielten. Die in dieser Zeitschrift reproduzierten Plastiken Pontil¬ lers geben uns ein in kurzen Amrissen gezeich¬ netes Bild des Entwicklungsganges des Künst¬ lers und zeigen auf, was er erstrebt, wie er seine Kunst als ernste Lebensarbeit auffaßt, wie strenge er mit sich zu Werke geht und welche souveräne Beherrschung des Materials er be¬ reits erreicht hat. Pontiller ist von der Holzbildhauerei ausgegangen und hat sich im Stein und auch in Bronze vielfach schon in großen und kleinen Arbeiten versucht. Er ist in allen Materialen zu Hause und hat sich so einen weiten Spielraum seines künstlerischen Schaf¬ fens gesichert. In seinen ersten größeren, selbständigen Arbeiten, die er, der mittellose Kunstschüler, der um der Existenz willen schaffen mußte, in Angriff nahm, zeigt sich noch stark der male¬ rische Einfluß; die Holztechnik ist zwar auch schon zum sicheren Besitztum seines Könnens geworden, aber die Nachwirkungen seiner Tiro¬ ler Lehrzeit in der Praxis der Werkstätte sind noch unverkennbar. Ziemlich derselben Entwick¬ lungsstufe gehört der „Hlg. Martin“ an, bei dem aber die Rassigkeit des Materials, des wei¬ chen Holzes, glücklich zum Ausdruck kommt. Seine künftigen künstlerischen Wege betritt Pontiller bereits in der Plastik des „Putten mit dem Lamm“, in Birnholz ausgeführt, wo bereits das Material zum beherrschenden Mittel der Ausdrucksart des Künstlers wird und sich die Komposition bindet und einfügt. In den reitenden Alanen“, einem Relief, gehter bereits einen Schritt weiter. Sich in der Masse auszuleben, war ihm aber vor allem im Wehr¬ mann, dem „Steyrer Waffenschmied“. möglich, Kraft und Stärke, die Eigenschaft des Waffenschmiedes früherer Jahrhunderte, mußte in der Plastik zum Ausdruck gebracht werden. And so wirkt diese massige kraft¬ strotzende Figur, die weit über Lebensgröße hat, auf uns nicht drückend, sondern erfüllt uns in ihrer Geschlossenheit mit Zuversicht in ihre Stärke. Eine Arbeit von besonderer Schwierig¬ keit, die sich aber gerade durch den Rhyth¬ mus des Aufbaues charakterisiert, war die Aeneasgruppe, der unter acht Konkurrenten der „Kaiserpreis“ zuerkannt wurde. Ein Gegen¬ stück zum „Aeneas“ ist der „Christophorus“ der allerdings nur Modell geblieben ist. „Eva“ ist wieder ein Beispiel der Komposition ins Ma¬ terial. In die festgesetzten Maße eines vorhan¬ denen Steinblocks mußte das Werk sich einfü¬ gen. Der „Hubertus“ in Ebenholz zeigt bereits alle Vorzüge des Künstlers: Beherrschung des Materials, rhythmischen Aufbau, Herausar¬ beiten des Typischen. Das sind einige Beispiele der Kunst Pon¬ tillers, die uns noch viel Schönes verspricht. Sein Heimatland Tirol kann mit berechtigtem Stolz auf seinen Sohn in der Fremde blicken. p. Obergasse in Steyr.

Seite 6 November 1919 Einiges über die oberöfferreichischen Mundartdichtungen v. Prof. Sregor Soldbacher in Stegr. Jede Provinz liebt ihren Dialekt, Denn er ist eigentlich das Elemenk, in w lchem die Seele ihren Athem schöpft. Goetbe. n einer Zeitschrift, welche ihre Seiten meiner lieben Vaterstadt öffnet, muß wohl oder übel auch ein wenig von der Mundartdichtung ge¬ plaudert werden, zumal wenn man selber einer von der „Zunft“ ist. Ich will nicht eine Geschichte der Mundartdichtung schreiben, so ver¬ lockend dies auch wäre; nur einige Streiflichter will ich auf die Ent¬ wicklung derselben werfen, da es fest¬ steht, daß gerade in unseren Tagen, vielleicht als Folgeerscheinung des überstandenen Weltkrieges einfrisch. fröhliches Schaffen auf diesem Ge¬ biete eingesetzt hat. — Es ist wohl unbestritten, daß Oberösterreich in Bezug auf Mundartdichtung, sowohl was die Zahl der Dichter, als auch was die Bedeutung des von ihnen Geschaffenen betrifft, an der Spitze der deutschen Länder marschiert, was Rosegger gelegentlich bestätigt, indem er irgendwo sagt: „Oberösterreich ist das klassische Land der Mundartdichtung.“ Langsam und zögernd nur hat sich die Mundartdichtung in der Literatur Bahn gebrochen, galt doch noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts der Gebrauch der Mundart für unge¬ bildet und roh und gar in derselben zu dichten hätte wohl niemand gewagt. Erst in jener Epoche, da auch im Schrifttum die Rückkehr zur Natur ge¬ predigt wurde, konnte die Mundartdichtung ihre Fittiche entfalten. Freilich dauerte es viele, viele Jahre, bis dieser Dichtungs¬ gattung, die doch den unendlich reichen Schatz an altem Sprachgut vermittelt, der gebührende Platz eingeräumt wurde, der ihr heutzutage allerdings nicht mehr bestritten wird. Seltsam ist es, daß der Ahnherr der oberösterreichischen Mundartdich¬ ker, der Benediktiner P. Maurus Lindemayr (1723—1783) aus Lam¬ bach, vorwiegend Dramatiker war. Seine Bauernlustspiele gemahnen ein wenig an Hans Sachs'sche Schwänke. Die dramatische Richtung ist in der Mundartdichtung der späteren Jahre nie mehr so zur Geltung gekommen wie bei Lindemayr und ist auch gegenwärtig nur recht spärlich gepflegt. Unter den Mundartdichtern vor Stelz¬ hamer ragt Anton Schosser (1801—1849) weit über die anderen hervor. Wir nennen ihn mit Stolz einen der unseren, denn der Losen¬ steiner Natursänger, der wie keiner vor und nach ihm in den zartesten Tönen die Schönheit der Bergwelt im Enns-, Steyr- und Almtal besungen, schläft am hochgelegenen, in seine geliebten Berge schauenden Friedhof von Steyr. Seine Lieder sind Volksgut geworden für alle Zeiten, das ist wohl das Schönste, was man einem Dichter nachrühmen kann. Fast zur gleichen Zeit wie Schosser stieg am Himmel der Mund¬ artdichtung, alle anderen vor und nach ihm gleichzeitig in den Schatten stellend, die Sonne heimischen Sängertums empor, der „Franz von Piesenham“ Franz Stelzhamer (1802—1874), von dessen Schöpf¬ ungen Bienenstein mit Recht sagt: „Seine Dichtungen sind der vollen¬ detste Ausdruck der Volksseele. Wie keinem anderen, ist es ihm gelungen, sich ganz und gar in das Volk hineinzufinden und aus dem Vollen zu schöpfen.“ Es ist nicht meine Aufgabe, an dieser Stelle eine eingehende Würdigung unseres „Franzl“ zu bringen, nur die eine Behauptung möchte ich gleich vielen anderen hier aufstellen und unterstützen, daß Stelz¬ hamer der bedeutendste deutsche Mundartdichter überhaupt ist, denn an Tiefe und Gehalt erreichen ihn auch Fritz Reuter und Klaus Groth nicht. Erst eine vollständige, bedau¬ erlicherweise noch immer fehlende Gesamtausgabe der Werke Stelz¬ hamers wird seine überragende Mei¬ sterschaft unumstößlich beweisen. Raum und Zeit versagen es mir, die Schar der mit Stelzhamer gleich¬ zeitig oder nach ihm schaffenden Mundartdichter näher zu betrachten oder auch nur die vielen Namen an¬ zuführen. Hoffentlich ist die Zeit nicht ferne, wo ein vollwertiger Mundartforscher und gründlicher Kenner der heimatlichen Sprache eine eingehende Literaturgeschichte die¬ ses bedeutsamen Zweiges deutscher Dichtung ins Leben ruft. — Aus jenen bodenständigen Geistern, welche die nähere Amgebung Steyrs, um die es sich in diesem Aufsatze natur¬ gemäß nur handeln kann, seien als Zeitgenossen Stelzhamers bloß einige Mundartdichter hier hervorgehoben. In Enns, einer der ältesten Städte Oberösterreichs, wurde Karl Adam Kaltenbrunner (1804—1867) geboren, der, obwohl als Vize¬ direktor der Hof= und Staatsdruckerei in Wien lebend, dennoch seine heimatliche Mundart außerordentlich treu und rein bewahr! hatte und in seinen Dichtungen nicht müde wurde, die Schönheit seiner oberösterreichischen Heimat zu preisen und seiner Landsleute Eigenart in köstlichen Ge¬ dichten zu schildern. Das Tal des klaren, smaragdgrünen Steyr¬ flusses, der in Steyr sich mit der Enns vereint, ist reich an Naturschönheiten und seine Be¬ völkerung, welche zur damaligen Zeit die Kleineisenindustrie betrieb, reich an köst¬ lichen Charakteren aller Art. Zwei Mundartdichter des Steyrtales müssen hier wohl genannt werden. Es sind dies Josef Moser (1812—1893) aus Klaus und Norbert Purschka (1813—1898) aus Waldneukirchen. Er¬ sterer ein Arzt des Leibes („Da' Bada' z'Klaus“), letzterer ein Arzt der Seele, haben beide, durch ihren Berr jedenfalls in reichem Maße unterstützt, Großes in der Charakterisierungskunst geleistet. Moser zeichnet seine Gestalten aus dem Volksleben mit sicherem, oft recht scharfem Griffel, Dechant Purschka schaut seinen Landsleuten bis in die Tiefen der Seele, deckt aber über alles den versöhnen¬ den Hauch liebevollen Verstehens und Ver¬ zeihens. Wer Land und Leute, Sitten und Gebräuche des Steyrtales aus jener Zeit kennenlernen will, findet bei Moser und Purschka reiche Ausbeute. — Es erübrigt nur noch, zwei besondere Marksteine in der Entwicklung der Mundartdichtung zu besprechen, denen eine hervor¬ ragende Bedeutung zukommt. — Zu Beginn der achtziger Das alte Ennstor in Steyr. Jahre des vorigen Jahrhunderts faßten drei heimatbegei¬ sterte Männer, welche von der Universität her treue Freunde waren und in der oberösterreichischen Studentenverbindung „Germania“ schon für heimatliche Dichtung tätig waren, den Entschluß, sich zu gemein¬ samer Arbeit zusammenzuschließen und nach und nach die Werke der oberösterreichischen Mundartdichter in würdiger Form herauszugeben und so den breiten Volksschichten zu vermitteln. So entstand der „Stelz¬ hamerbund“, bestehend aus den Herren Regierungsrat Dr. Hans Commenda, in Linz, Regierungsrat Dr. Anton Matosch in Wien und Oberlandesgerichtsrat Dr. Hans Zötl in Efer¬ ding. (Dr. Matosch, selbst ein bedeutender Mundartdichter, starb im Mai 1918). Vom ganzen Lande hervorragend unterstützt, entstand so das Leopoldsbrunnnen am Steyrer Stadtplatz.

November 1919 Seite 7 Sammelwerk „Aus da' Hoamat“, in welchem in einer stattlichen Reihe von Bänden hauptsächlich die Werke der bedeutenderen verstorbenen Mundartdichter mit reichem Bildschmuck und volkstümlichen Ver¬ konungen enthalten sind. Ein wahrer Strom echtester Heimatsliebe fließt aus diesen trauten Volksbüchern über das ganze Land. Der zweite Markstein in der Ent¬ wicklungsgeschichte der oberöster¬ reichischen Mundartdichtung ist ein Vierteljahrhundert nach der Grün¬ dung des „Stelzhamerbundes“ ge¬ setzt worden Ich meine die Grün¬ dung des „Bundes der ober¬ österreichischen Mundart¬ dichter“ durch den Schreiber dieser Zeilen und Karl Mayer in Linz, im Jahre 1909. Im Jahre 1910 erschien das erste Jahrbuch des Bundes unter dem Titel „Hoamatgsang", welches alle 5 Jahre herausgegeben werden soll. (1915 erschien es in¬ folge des Weltkrieges nicht). Der zweite Band 1920 erscheint zu Weih¬ nachten 1919. Der „Bund ober¬ österreichischer Mundartdichter“ ist eine ideale satzungslose Vereinigung aller im Lande geborenen, in Mund¬ art Schreibenden. Das Ziel des Bundes ist die Pflege und Verbrei¬ tung guter, zeitgenössischer Mundartdichtung. Näheres über die weiteren Absichten des Bundes sind aus dem Nachworte des 1. Bandes „Hoamat¬ gsang“ zu ersehen. Im nächsten Jahre erscheint voraussichtlich eine von dem steirischen Dichter, Alfred Maderer in Mannheim verfaßte Literaturge¬ schichte, welche zum erstenmale der Mundartdichtung in Oberösterreich eine eingehende Würdigung zukeil werden lassen wird. Eines aber sei gesagt: es keimt, grünt, blüht und reift reichlich im Garten der ober¬ österreichischen Mundartdichtung. Die unvergleichliche Schönheit des Landes, Eigenart und Sitten seiner Bewohner wecken immer neue Sänger. Heimat und Mundart gehören zusammen wie Mutter und Kind. Laßt sie uns heilig halten! „Oan wöcka, oan schröcka, Oan höbn und oan lögn, Dös alls muaß a Gsang Mit sein Klang vamögn!“ Atelier Blümelhuber in Steyr. (Mlütterchens Oterbekerze. Erzählung von Jepp Gleimfelsen. r war bereit zu sterben. Weshalb? —— Er fand, daß für ihn kein Schicksalswandel mehr eintreten könne, der den Todeswunsch Anabänderlichen. zu ersticken vermöge. — In einem Alter von kaum 9 24 Jahren bereits im Bewußtsein vollständiger psychischer Erschöpfung leben, heißt eigentlich schon — tot sein. Zu einer Zeit die Flinte in's Korn wer¬ fen, in der Andere erst beginnen, der Welt Rechte abzufordern, abzuringen; sich einzugestehen: „Dein Leben ist höchstens noch einige Gramm Pulver wert, dazu eine Kugel“. nennt man eine Dummheit — nicht nur Feigheit. Und trotzdem, Richard war nicht feige, auch nicht dumm. Er war nur — müde. Es gibt eine Müdigkeit, die man als Vorbote baldiger Erlösung durch den Tod hinnehmen darf, hin¬ nehmen soll. Das Schicksal wirft uns bedingungslos der Schwäche in die Arme und diese lähmt den Lebens¬ willen; man stirbt mehr oder weniger rasch ab in ihrer Amstrickung. Der junge Mann, von dem ich das Nachfolgende erzähle, saß in seinem, nur spärlich erhellten Zimmerchen und dachte über das Nächstliegende nach. Dabei war er nicht im geringsten geistigen Hemmungen ausgeliefert. Im Ofen brannte und knisterte, wie er sich selbst sagte, das letzte Feuer. Eine Art Galgenhumor hatte ihn veran¬ laßt, seine Ahr um etliche Kronen zu verkaufen. Dafür wurde noch Holz besorgt und etwas zum Abendessen. Dies war vorüber. — Rasch verglim¬ mende Kienholzfunken sengten schwarzbraune Punkte und Flecke in den Fußboden. Durch den Kaminschlot pfiff der naßkalte Februar¬ wind seine unheimlichsten Liedlein in die Ohren des Todes¬ kandidaten. — „Singe, höhne, verspotte mich“, stöhnte dieser. „Bald Gleiche kun“ dankenwirren. Plötzlich rankte sich durch die Seele die Frage: Ob es denn wirklich innersten. —— Aberstürzt, unerwartet, kam sie daher. klügelt, was zu geschehen habe. Richard hatte bereits vor Tagen den Entschluß gefaßt zum nun Damals hatte er sich eingestanden: „Im Tode findest du endlich dein Recht. Sterben ist jenes heilige Geheimnis, das alles ausgleicht. Sterben ist nichts anderes als wieder einmal Rück¬ kehr in den Zustand der Befreiung von allen irdi¬ schen Belastungen“. Was war denn zu verlieren? Arm wie eine Kirchenmaus und menschenscheu wie ein zaghaftes Kind, stand er mutterseelen¬ allein im Leben. Die Anderen hatten ihn so weit gebracht. Man schlug ihn fast unausgesetzt mit Ruten. Freilich, ab und zu wurden die Reiser mit Rosenblättern umhüllt. Rutenstreiche bleiben immer Ruten¬ streiche! Mitunter nannte man sie: wohlmeinende Warner vor einer allzu optimistischen Lebensauffassung. — Und weil er nun weder gegen diese noch gegen anderes, das die an ihm herum Nörgelnden abgestellt wissen wollten, erfolgreich anzukämpfen ver¬ mochte, so dachte Richard an den frei¬ willigen Tod. Die Allmacht hatte ihn mit Willen zum Durchhalten nicht reich¬ lich bedacht. Er nahm die Sache jedoch an¬ fänglich leichter, als sie in jenem Augenblicke sich ausnahm, in dem die Mordwaffe vor ihm lag. Es kamen ihm mit einmal allerlei Bilder in die Quere. Die mußten noch durch¬ lebt werden. - Er sah sich als ganz jungen Menschen, gleich nach der Matura. Die Freude hatte jedwedes Gleich¬ gewicht verdrängt. Er stand als glückselig Hoffender, das blinde Vertrauen in die Mitmenschen als Schutz¬ Michael Blümelhuber. patron, noch nicht kampfmüd, zwischen Selbstsucht und Hast im Ringen um ein halbwegs sorgenloses Dasein. O! er verspürte und begriff noch lange Zeit hindurch nichts von diesen schon ist alles zu Ende, dann kannst Du über meinem Grabe das Weggenossen der meisten Menschen. Heute fragte er sich: „Hat sich von allen deinen hoffnungsgeschwellten Träumen auch nur „einer“ erfüllt Das Wörtchen „Grab“ riß ihn aus den unterschiedlichsten Ge= im nackten Leben?“ „Nein, Nein!“ schrie Richard in das Zimmer hinein und erwachte dabei aus seinem Nachsinnen. Dadurch entgingen ihm aber auch Erinnerungsbilder die den Ansatz notwendig sei, daß er sterbe. Sie bemächtigte sich seines Aller=, nahmen zum Belebenden, Erfrischenden, Beruhigenden. Statt ihrer machte sich das Erinnern breit an Jahre des Hungers, Und, es war doch längst schon bestimmt, bis auf das Kleinste ausge= des Elends, der bittersten Enttäuschungen. Er verabschiedete es mit kurzem, hohltönigem: „Auch überstanden!“

Seite 8 November 1919 Was dann später noch folgte, waren lichtscheue Verzerrungen einer aufgepeitschten Fantasie. Nicht mehr „Grau in Grau“ sah er alles vor sich, sondern „Schwarz in Schwarz“. Dazwi¬ schen flammte immer gieriger das, von ihm selbst ausgesprochene Todesurteil auf: „Richard Sturm muß sterben!!“ — „Es sei also!“ rief er und griff rasch nach dem Revolver. Wie kalt der sich anfühlte. — Eisig kalt! — Nun kam ihm aber in den Sinn, noch alle Papiere zu ordnen. Die Reise die er an¬ treten wollte, schloß die Rückkehr aus. Böse Nachreden gegen die es später kein sich selbst vertei¬ digen mehr gab, mußten hintan¬ gehalten werden, so lange hiezu noch Gelegenheit und Zeit vor¬ handen war. Beim Durchsehen von Brief schaften, Aufsätzen und Familien¬ papieren, stieß er auf eine läng¬ liche Kartonschachtel, die von einem schwarzen Seidenbande kreuzweise umschlungen war. Der Anblick dieses Gegenstandes machte den armen Burschen zit¬ tern. Später, als er die Schachtel öffnete, begann er zu schluchzen. Aber es war mehr ein Weinen nach Innen. Dies schmerzt am tiefsten. Es sengt immer stärker brennende Male in das Herz. Hastig faßte er nach dem Inhalt der Schachtel: eine angebrannte Wachskerze. „Mütterchens Ster¬ bekerze“ flüsterte Richard und be¬ trachtete voll Inbrunst das Stück Wachs. — Schmerzvollste Erin¬ nerungen knüpften sich daran. Diese Kerze hatte auf einen wack¬ ligen Tischchen gebrannt, als Sturm der eben Verschiedenen die Augen für immer schloß und die heißesten Küße auf die nun ganz Das Kreuz von Kalksburg. kalten Lippen preßte. Niemand war damals im Mansardenstübchen zugegen gewesen als er und sie, seine¬ heilige Tote. Der Abend war hereingebrochen und hatte ein, aus Dämmer¬ licht gewobenes Netz geworfen über die unter großen Schmerzen entschla fene Dulderin. Das Flackern der Flammen rief allerlei Sinnestäuschungen hervor. Einmal war ihm, als sehe er die Lippen der Verstorbenen ganzleicht zittern: ein andermal gerieten die gefalteten Hände in Bewegung. Es schien, sie wollten sich heben um ihn zu segnen. Richard war sich der Täuschungen vollauf be¬ wußt, trotzdem nahm er sie dankbar hin als ob es Wahrheit, Wirklichkeit sei, was er zu sehen ver¬ meinte. Er träumte sich damit in das Weiterleben der Seligen hinein und glaubte zuversichtlich daran, daß sein braves Mütterchen nun den Lohn gefunden hatte, für ein beinahe sechzigjähriges, dem viel Dul¬ den und Ertragen geopfert gewesenes, Frauenleben. Das Knarren der schmalen Holztreppe hatte ihn aus seinem Weltabgewendetsein gerissen. Der Armenarzt war gekommen die Totenschau rasch ab¬ zutun. Die Antersuchung und nachher die Beileids¬ worte nahmen nicht viel Zeit in Anspruch. Was gab es für Dr. Kummer auch viel zu sagen? Freilich, er wußte ganz gut, daß die beiden stets in größter Eintracht mit¬ sammen gelebt und auch gedarbt hatten. Besonders die Mutter, um dem Sohne den Besuch der Hoch¬ schule zu ermöglichen. Er, um Mütterchen doch ab und zu ein Stücklein Fleisch in den Topf zu bringen. All dies und noch viel, viel anderes, kam Richard Petschaft. m. Blämelhuber. in Erinnerung, als er die Kerze in den Hals einer leeren Flasche steckte und hernach anzündete. Beschlossen war: Sie sollte auch ihm die Sterbekerze sein. Richard öffnete beide Fen¬ sterflügel und sah lange zum Himmel hinauf. Daraus wurde ein Gespräch zur Mutter, die er dort oben irgendwo geborgen wähnte. „Bald komme ich auch!“ begann er. „Gott wird mir die Tat verzeihen. Ich habe gerungen so lange als möglich; weiter kann ich es nicht mehr. Verzeihe auch Du mir, Mütterchen!“ Ein greller Hilfschrei, zwei, dreimal wiederholt, riß Richard aus seinem Leben in anderen Welten. Als er sich über die Fen¬ sterbrüstung hinausneigte, hörte Sturm Röcheln, dazwischen hinein Drohen. „Beim Schuhmacher Leuthold ist etwas los“, überlegte Richard, schwang sich aber auch schon auf den Söller hinab, der in Mannes¬ höhe unter seinem Fenster hin¬ lief. In der Stube des Meisters rangen zwei Menschen auf Tod und Leben. Ohne Zögern drückte Richard das Fenster ein und warf sich als Dritter in den blutbe¬ spritzten Knäuel. Lange währke der Kampf, endlich überwältigte der junge Mensch den Mordgesellen, hielt ihn so lange fest, bis Nachbaren zu Hilfe kamen. Bald nachher war der Verbrecher gefesselt und der Gendarmerie übergeben.Doch konnte man den Schwerverwun¬ deten nicht allein lassen. Die Leute baten Richard, er möge so lange beim Meister bleiben, bis dieser ins Spital überführt werden könne. Er willigte ein. Als er mit den Besinnungs¬ losen allein war, fiel ihm aller¬ dings sein Vorhaben ein. Er sagte sich: „Ob ich in der Nacht hinüber¬ M. Blümelhuber. gehe oder erst gegen Morgen, was tut es? Ein noch geleistetes gutes Werkchen kann mir sicher nicht schaden. —“ Der Tag graute bereits, als die Leute vom Spital kamen um den Verwundeten abzuholen, mit ihnen die Gerichtskommission. Während Leuthold auf die Tragbahre gelegt wurde, erhielt Sturm die Weisung, im Laufe des Vormittages beim Gericht zu erscheinen. Mittag war vorüber, als er am Arm eines älteren Herrn das Amtsgebäude verließ. Im Stehen bleiben sah der Führende dem Geschwächten, Ab¬ gematteten. Ausgehungerten, fest in die Augen; dann stellte er die Frage: „Sie waren also wirklich entschlossen, Ihrem jungen Leben ein vorzeitiges Ende zu bereiten?“ „Ja, Herr!“ lautete die kurze Antwort. „Ich wollte sterben. Daß es nicht zur anfangs festgesetzten Stunde durchgeführt wurde, daran ist nicht Wankelmut schuld, oder gar Feigheit. Ich fand die Sterbekerze meiner Mutter, alles andere kam dann nach und nach als Schicksalsverkettungen gegen mein Vorhaben“. Heute ist Dr. Richard Sturm einer der frucht¬ barsten Dichter. In seinem Arbeitszimmer steht unter einem Glassturz, in einem Silberleuchter, „Mütterchens Sterbekerze“ und, —— man kann die Ausleiung nicht belächeln, „Richard Sturms Brieföffner. Lebensretterin“. I. Blümelhuber.

November 1919 Mein liabligs, alts Stadtl, Voll Löbn und voll Lust Liegst hiebei ban Gebirg, Wiar a Kind an da Brust. Hast viel hinter deina, Noh mehra vor dir, Bist alt, und doh jung, Wiar a Bam ön da Blüah. Wiar a Bacherl, a freundligs Dös tausend Jahr rinnt, Wiar an eisgraba Mensch, Den sein Herz hellauf brinnt. Iteyr. con Rarl Mayer. Rechts und links va dein' Gschloß Rauschen d' Wassa vabei, Und an Gruaß va da Alm Tragt bal d' Enns zua, bal d' Stey'. Ma zwengt sö durch d' Enga, Aft gibt 's oan an Riß, Und aft hat ma gnua Platz, Wann — nöt Wochamarkt is! Rundum hochö Dacha, Und 's Rathaus mit'n Turm, Dös röckt sö und broat't sö, Dös hat an schön' Furm! Seite 9 Dö uralin Häusa, Dö Gassln und Stiagn, Dö sö allö zöhn Schriat Am an Eck umibiagn .... Und d'Pfarrkircha obnad, Dö habns aso baut, Als wia wann sö a Henn brav Am d' Singerl umschaut. Gehst hin woda wöll, Schaust da was da wöll an: Alls alt und alls guat, Und drum gfreust' di ah dran. Das Begräbms des Comikers. Skizze aus dem Bühnenleben von Geopold Churner. er erste Akt ging zu Ende. Plötzlich trat eine Stockung ein. — Man hörte den Kapellmeister abklopfen, das Orchester ging in Mißtönen aus¬ einander. Die Darsteller, die eben noch plau¬ dernd in den Kulissen standen, eilten erschreckt an ihre Plätze. Ein unterdrücktes Rufen und Flü¬ stern, ein zielloses Laufen, Kulisse auf und ab. Der Inspizient kam atemlos und überrannte Solodarsteller und Statisterie, Chormädchen und Theaterarbeiter in Hemdärmeln. Es war, als wenn eine Herde in Anruhe und Verwirrung gerät. — Endlich rief jemand halblaut und durchdrin¬ gend: „Vorhang herunter!“ Die Arbeiter zogen an dem Seile, der Vor¬ hang fiel. Alles drängte bestürzt zur Szene hin. Dort hoben sie einen bewußtlosen Mann in einem bunten Kostüm auf und trugen den schwer Atmenden in das „Konversationszimmer“ Man schnitt ihm die großen „Vatermörder“ durch und öffnete die Kleidung. Anter der Per¬ rücke, die man dem Darsteller abnahm, kam strähniges, nasses Haar zum Vorschein. Ein Kollege rieb die Schläfen des Besinnungslosen mit Essig und Wasser ein. „Wie kam denn das Unglück?“ fragte er die blonde Soubrette mit dem kecken Florentiner¬ hut. Das Mädchen stand noch ganz verstört vor Angst: „Wir begannen eben das Duett, als er plötzlich stockte,“ erzählte sie. „Ich glaubte, er wäre im Text nicht sicher — da griff er in die Luft, taumelt und sinkt um.“ „Und blieb das Publikum ruhig?“ „Im Anfang ja — einige lachten sogar; sie glaubten natürlich an eine neue Nuance unseres Komikers. Erst als sie meine Aufregung bemerk¬ ten, wurden sie unruhig.“ Der Theaterarzt trat rasch ein. Mit ihm der Direktor. Immer mehr Personal drängte nach. Der Arzt prüfte Puls und Herzschlag des Bewußtlosen und machte ein bedenkliches Gesicht. „Wir wollen den Kranken entkleiden. Viel¬ leicht helfen mir einige Herren. Die übrigen Herrschaften möchte ich ersuchen, das Zimmer vorerst zu verlassen.“ Der kleine Raum entleerte sich langsam. Sie zogen dem Teilnahmslosen das karritierte Kostüm aus, die gelbseidenen Kniehosen, den blauen Dienerfrack und lösten die entzweige¬ schnittenen Vatermörder, die wie Windmühlen¬ flügel in die Luft standen. Ein Kollege rieb dem Kranken die Schminke ab und entfernte die ge¬ klebte Nase. Sie war kupferrot und von unmög¬ llicher bizarrer Größe. Die lustige Hanswurst¬ maske verwandelte sich langsam in ein fahles Krankengesicht. „Ein Herzschlag! Ich habe wenig Hoff¬ nung,“ sagte der Arzt, Der Direktor war inzwischen mit dem Re¬ gisseur auf die Bühne gegangen. Ein Ersatz für den erkrankten Darsteller war nicht vorhanden. Der Regisseur hatte also dem Publikum mit¬ geteilt, daß wegen plötzlicher Erkrankung des Darstellers Heider die Gesangsposse „Immer lustig“ nicht zu Ende gespielt werden könne. „Force majeure,“ sagte der Direktor im Bureau zu seinem Sekretär und änderte das Repertoir der nächsten Tage. Aber sehr unan¬ genehm! — 1200 Mark brutto! — Wenn das Malheur wenigstens nach dem zweiten Aktpas¬ siert wäre, dann brauchte ich keine Billets zurück¬ zunehmen. Das Reichsgericht hat den Fall un¬ längst entschieden. Aber so .... 1200 Mark brutto! —— — So ein Dech! Aber... force majeure. Dagegen schützt kein Vertrag!“ Vor dem kleinen Bühnenausgange standen die Kollegen und einige Neugierige und bespra¬ chen das Ereignis. An der Auffahrtsrampe verlöschten die Lichter. Die Neugierigen entfernten sich lang¬ sam. Nur an der schwach erleuchteten Bühnen¬ tür huschten dunkle Schatten. Mit den Kollegen des Erkrankten wartete ein junger Mensch mit einem gutmütigen dicken Kindergesicht. Es war der Freund des Verunglückten, der einzige, so viel man wußte. Der junge Mensch wollte zu dem Kranken. Aber man riet ihm ab. Jede Aufregung sei ge¬ fährlich und der Arzt wünschte strengste Ruhe. Er wartete bekümmert weiter. So oft im Innern eine Tür schlug, wendete er sich jäh um und starrte bang in das Dunkel des Flurganges. „Sagen Sie, lieber Knutzke, war Ihr Freund denn in letzter Zeit leidend?“ fragte ein Kollege. „Er klagte manchmal über Beklemmungen und Angstzustände. Aber die hatte er stets vor einer neuen Rolle. Krank fühlte er sich nicht. Er hätte mir sicher etwas gesagt.“ „Er war herzleidend,“ sagte der hagere Cha¬ rakterspieler mit großer Bestimmtheit. Schon vor zehn Jahren — als wir in Brünn engagiert waren, machte sich das Abel bemerkbar. Im Korridor entstand eine Bewegung. Der Arzt kam die Treppe herunter, begleitet vom Direktor und dem Regisseur Die Wartenden bildeten eine Gasse. „Ich muß Ihnen leider die traurige Mit¬ teilung machen, daß Ihr Kollege Heider soeben gestorben ist,“ sagte der Arzt. Er gab noch einige Aufklärungen über die Art der Erkran¬ kung, dann grüßte er und bestieg eine Droschke. Langsam entfernten sich die übrigen. Nur Knutzke stand noch seitwärts von der Laterne. Er schneutzte sich einigemale mit trompetenartigem Geräusch, so daß ein Vorübergehender, der mit sich selbst sprach, in seiner Anterhaltung gestört wurde und ärgerlich aufblickte. Aber als er sah, daß dem dicken Menschen, der da an der Laterne stand, die Tränen über die Backen liefen. ging er seines Weges, schüttelte mehrmals den Kopf und nahm seine Selbstgespräche wieder auf. Knutzke war mit dem Kastellan des Thea¬ ters zu seinem Freunde hinaufgegangen. Er hielt Wache, bis der Tote abgeholt wurde. In einer Droschke gab er ihm noch ein gutes Stück das Geleite. In zehn offenen Wagen fuhren die Kollegen des Verstorbenen durch die langen Vorstadt¬ straßen zum Friedhof. Im ersten Wagen saß der Direktor, der Regisseur und der Sekretär des Melpomene-Theaters. Sie blickten ernst und würdig auf die Vorübergehenden. Dann kamen die ersten Fächer. Der hagere Charakter¬ spieler fuhr mit der blonden Soubrette, die mit ihrem Kollegen auf der Bühne stand als er zu¬ sammenbrach. Sie trug eine elegante Trauer¬ robe; aber an jenem Abend sah sie in ihrem hellen Kostüm mit dem Florentinerhut vorteil¬ hafter aus. Die Trauer paßte nicht zu ihrem lustigen Gesicht mit dem kecken Stumpfnäschen. Im vorletzten Wagen saßen Hans Knutzke und zwei Kollegen des Toten. Knutzke hatte sich dem „Väterspieler“ und dem „jugendlichen Komiker, angeschlossen. Die Beiden hatten am besten von seinem Freunde gesprochen. Auf Knutzkes mächtigem Schädel saß ein kleiner schmaler Zylinderhut, der in gar keinem Verhältnis zu dem massigen Körperbau stand. Die schwarze Kleidung des Väterspielers schil¬ lerte bedenklich in anderen Farben. Des Abends, im Rampenlicht, wenn er die reichen hartherzi¬ gen Väter oder den Onkel aus Amerika dar¬ stellte, der im letzten Akt dem bedrängten Liebes¬ paar rechtzeitig mit der vollen Brieftasche bei¬ steht, sah sein Gehrock sicher noch leidlich aus. Aber das Tageslicht vertrug er nicht mehr. Schlimmer noch stand es mit dem Zylinder. Der hatte rötlich -rostbraune Flecken. Aber der Väterspieler wußte sich zu helfen. Immer wenn die Sonne aus dem schweren Gewölk, das am

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