Heimatland Nr. 52 - 1932

Heinz Rosenau=Eferding: Der „Heampel“ Eine Kindheitserinnerung Es geht doch jedem Menschen so: Bisweilen tau¬ chen aus dem Gewirr der unrastigen Gegenwarts¬ dinge die bunten Träume der Kindheit auf, beleben sich mit Gestalten, Gesichtern und Ereignissen und gehen so wie einst an uns vorbei, uns beglückend oder erschreckend. Da sind nicht nur die Wesen aus der Märchenwelt, sondern auch Menschen, die ein¬ mal mit uns lebten, gute und böse, schöne und häßliche. Und verbanden wir nicht vordem gut mit schöne, und häßlich mit böse? Glück¬ lich, wer einmal so wie ich und die Gefährten meiner Kindheit erfahren durften, daß auch in einem hä߬ lichen, verschrumpften und kaum menschenähnlichen Körper eine schöne, gute und mitleidige Seele wohnt... Denn so einer war der „Heampel“! Kein Mensch in meiner kleinen Stadt wußte recht, wie er mit sei¬ nem bürgerlichen Namen hieß. Was tat es auch zur Sache? Ich glaube, sogar auf dem Stadtamt, von wo er sich allwöchentlich eine kleine Unterstützung holte, hatte man seinen richtigen Namen seit Jahren nicht mehr genannt. Heute weiß ich wohl, warum er der „Heampel“ hieß! Seiner kleinen, verschrumpften Ge¬ stalt und seinem humpelnden Gang nach! Im Dialekt klang es ungefähr wie „Heampel“. Und dabei blieb es. Als ich ihm das erstemal begegnete, ging ich eben das dritte Jahr in die Schule. Ich weiß noch genau, wie mich und meine Kameraden, die wir eben auf der Straße eine lebhafte Debatte über das richtige Kugel¬ scheiben abführten, gewaltiger Schreck durchfuhr, als der Hempel, den ein großer Buckelkorb noch hä߬ licher und zwergenhafter machte, vor uns auftauchte. Jeder von uns hatte schon allerlei über den Heampel gehört. War es das Gerede eines törichten Kinder¬ mädchens, das einem von uns erzählt hatte, daß der Hempel die bösen Kinder um Mitternacht aus dem Schlafe hole und sie im Stadtgrabenbach ertränke, oder war es unser ständig schlechtes Gewissen; kurz um, wir standen erst einen Augenblick lang mit offe¬ nen Mäulern und schlotternden Knien da und stoben dann wie der Wirbelwind auseinander und ver¬ schwanden in einer Haustür der Nachbarschaft. Vorsichtig und scheu lugten wir von dort aus auf die Straße. Keiner von uns aber sah, wie müde der Hempel an uns vorbeitrottete und wie traurig seine Augen waren, als er uns so plötzlich verschwin¬ den sah. Der lange Franz vom Fleischhauer aber machte seinem zurückkehrenden Mut Luft und schrie über¬ laut: „Hempel, Kinderfresser, pfui, pfui! Da drehte sich der Verhöhnte um und drohte zu unserem größten Schrecken mit seinem derben Kno¬ tenstock. Erst als er schon lange außer Sicht war, wagten wir uns wieder auf die Straße. Das war unsere erste Begegnung mit dem Heampel. Seit jenem Tage aber war es bei uns eine abgemachte Sache, daß der Heampel wirklich das war, wofür er galt, als Kindermörder und böser Geist, der allen Menschen Schlechtes antat, und es war für uns selbst¬ verständlich, daß wir ihn ärgerten und höhnten, wo immer wir ihn antrafen. Natürlich nur, wenn wir in genügender Anzahl beisammen waren. Allein hätte es ja keiner gewagt, ihn auch nur schief anzusehen. Jeder ging ihm aus dem Weg, wenn er ihn von wei¬ tem kommen sah, und erst, wenn er wieder außer Hörweite war, geschah es zumeist, daß plötzlich der häßliche Ruf: „Hempel, pfui, Hempel, pfui!" ihm nachklang. Damit sei nicht gesagt, daß wir der Ausbund von Schlechtigkeit waren; wir waren eben nicht anders, wie alle Buben, die, irregeleitet, irgend etwas, das nach ihrer Ansicht als hassenswert erschien, mit dem konsequenten Eifer der Jugend verfolgten und belä¬ stigten. Galt denn nicht von jeher alles das für schlecht und böse, was häßlich und unschön war? Die Mehr¬ zahl von uns hatte nun einen fixen Begriff vom Schönen, das nur gut sein konnte, und vom Hä߬ lichen, das nicht anders als schlecht sein konnte! Und war der Heampel nicht abscheulich häßlich? Er hatte ein Gesicht, das aussah wie eine Krampus¬ larve auf einem Vogelgesicht, einen herabhängenden Schnauzbart, lange, schlotternde Hände, krumme, dürre Beine und einen aufgeschobenen Rücken? Und dazu sein Buckelkorb, ohne den man ihn nie sah, und einen derben Stock, mit dem er in der Luft herum¬ fuchtelte, wenn wir ihn ärgerten? So kam es, daß wir seit jener ersten Begegnung den Hempel zu den Teufeln in Menschengestalt zählten, den man verfolgen und unschädlich machen müsse. Diese Stimmung gegen ihn verdichtete sich, als einige von uns zu Nikolo des darauffolgenden Jahres vom Krampus arg mitgenommen worden waren. Der wilde Sinn, denn die Häßlichkeit des Krampus in uns aufstachelte, anstatt beschwichtigte, übertrug sich auf unserer Abneigung gegen den Heampel. Mich wundert es heute, daß damals von unseren Eltern niemand aufmerksam wurde, wie hartnäckig und systematisch wir dem Heampel das bißchen Leben er war ein armer Einleger — schwer machten. Nach Weihnachten verfolgten wir ihn sogar unter dem Schutze der frühen Dunkelheit bis an sein kleines Häuschen, das an der äußersten Stadtgrenze, in der Nähe des alten Stadtgrabens lag. Nur der Umstand, daß wir uns doch ein wenig zu fürchten begannen, hielt uns vor Gewalttätigkeiten ab. Aber unser Rache¬ geist — wir glaubten mit einer Überzeugung, über die ich noch heute staune, die Kinder rächen zu müssen, die dem Hempel zum Opfer gefallen waren — schlief nicht. So kam das neue Jahr. An einem kalten Jänner¬ nachmittag waren meine Kameraden und ich am Eis¬ lausplatz, der vom altem Stadtgrabenbach mit Wasser versorgt wird, versammelt. Ach, was war das für eine wundervolle Eisbahn! Daneben lief die Stadtgraben¬ allee und die hohen Mauern der alten Stadtbefesti¬ gung schlossen den Teich gegen die Stadt hin ab. An jenem Tage waren alle anwesend, die sich zur Gruppe des „schnellen Hirsches“ — wir lasen bereits India¬ nergeschichten —, des langen Franz vom Nachbar¬ Fleischhauer, rechneten. Wir warteten nur noch auf Fortsetzung des Artikels auf Seite 828 825

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