Heimatland Nr. 52 - 1932

tränenfreudiger Rührung zu mir sagte: „Es ist alles noch gerade so, wie ich es als sechsjähriger Bub ge¬ sehen und gehört habe. In unserer Heimat gab es in früheren Zeiten viele derartige Krippenspiele, allein sie sind bis auf wenige verschwunden, die Figuren modern auf Dach¬ böden oder schlummern in Museen, erst in den letzten Jahrzehnten haben die Volkskundler) auf den großen Wert dieser Krippendarstellungen aufmerksam ge¬ macht und sich bemüht, die alten Spiele wieder leben¬ dig werden zu lassen; so wird gegenwärtig das Sankt Pöltner Krippenspiel in Wien wieder aufgeführt. In Oberösterreich ist wohl das Steyrer Kripperl das ein¬ zige, das in ununterbrochener Spielfolge seit alter Zeit bis auf den heutigen Tag diese naive, aber bodenständige Volkskunst groß und klein vermittelt. In früheren Jahren in verschiedenen Gasthäusern der Vorstädte Ennsdorf und Steyrdorf beheimatet, ist das Kripperl durch den Verein „Heimatschutz" erwor¬ ben und in dem berühmten Renaissancebau des alten Innerbergerspeichers, der auch das städtische Museum birgt, in einem äußerst stimmungs¬ vollen Raume untergebracht wor¬ den. Der Bühnenvorhang zeigt ein etwas verblaßtes Bild des Golfes von Neapel, vielleicht als Erinne¬ rung an die berühmten italienischen Krippen, die noch heute auf dem Hügel San Martino den Beschauer entzücken. Erwartungsvoll drängen sich die Kinder in den niedrigen Bän= ken, endlich ertönt ein Glockenzei¬ chen, der Raum wird finster, aus dem Innern des streng verschlosse¬ nen Heiligtumes erklingt ein Lied, dann rauscht der Vorhang in die Höhe, in feierlichen Tönen schlägt es Mitternacht, über die Bühne ver¬ breitet sich magisch blaues Licht und der Nachtwächter mit Laterne und Hellebarde singt sein Wächter¬ lied: „Alle meine lieben Herren und Frauen, laßt euch sag'n, Der Hammer, der hat zwölfi g'schlagen! Gebts acht aufs Feuer und aufs Licht, Daß heut Nacht koan Unglück g'schacht. Hat zwölfi g'schlagen." Da kommt aber schon ein lusti¬ ger Hanswurst, der seinen Hals willkürlich verlängern kann, erschreckt damit den Nachtwächter und narrt ihn auf alle mögliche Weise, bis er richtig arretiert und ins Gefängnis am „Fisolenberg“ geführt wird. Drei Figurengruppen aus dem Steyrer Kripper Die Hirten (oben), die Bergknappen (Mitte) und die Schiffleute (unten) Ein Teil der folgenden Szenen ist nun je nach der Spielzeit verschieden und lehnt sich eng an die be¬ treffende Kirchenzeit an. Es würde hier zu weit füh¬ ren, den Aufbau der Bühne, die Einrichtung und die Beschaffenheit der meist holzgeschnitzten Figuren, de¬ ren Zahl vierhundert überschreitet, eingehend zu schil¬ dern. Nur eigene Anschauung kann hier wirklich rich¬ tigen Einblick in das alte Spiel vermitteln und es mehren sich erfreulicherweise die Besuche Erwachsener von auswärts, um dieses Überbleibsel guter alter Volkskunst auf sich wirken zu lassen. Im Aufbau des Steyrer Krippers können wir nach doppelter Hin¬ sicht eine Dreistufigkeit feststellen: Räumlich in der Unterbühne mit dem religiösen Kern, in der Mittel¬ bühne mit den Handwerkerszenen und in der Ober¬ bühne, typische Steyrer Bürgerhäuser darstellen, mit den städtisch=bürgerlichen Puppenspielszenen, zu der als eine Art Anhang noch die Rückbühne für die ländlichen Szenen tritt. Zeitlich zeigt sich uns die Dreistufigkeit im religiösen Beginn des Spieles, im darauffolgenden mechanischen Handwerkertreiben und 819

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