Heimatland Nr. 52 - 1932

Schlossermeister Georg Gstöttner in Linz, ein aufrechter Katholik, ist am 20. Dezember 90jäh¬ rig gestorben Fortsetzung des Artikels „Der Heampel“ von Seite 825 die kleine Mizzi, der Schwester des dicken, gutmütigen Pepi, die wir alle ins Herz geschlossen hatten und der wir heute die Kunst des Schlittschuhlaufens beibrin¬ gen wollten. Vom Kirchturm schlug es eben vier Uhr. Da entdeckte der blonde Hans vom Gasthof „zur eisernen Hand, den Hempel, der langsam die Allee herabkam. Gespannt schauten wir ihm entgegen Irgend etwas lag in der Luft, das sich nun lösen mußte. Der lange Franz machte Witze, um unsere aufsteigende Angstlichkeit zu verdrängen und wir scharten uns wie eine Herde aufgeregter Schafe um ihn. Mit einer Kaltblütigkeit, die wir alle anstaunten und die unsere Bewunderung für ihn ins Unge¬ messene hob, befahl er: „Angriff zuerst mit Schnee¬ ballen, dann nach Notwendigkeit mit Eisbrocken Uns schauderte gelind. Das prickelnde Gefühl der Angriffslust aber gewann über unser Gewissen die Herrschaft, dazu kam noch die Erkenntnis, daß es ja gewissermaßen ein Gericht für die unschuldig durch den Hempel dahingeopferten Kinder galt, von denen wir freilich nur unbestimmte Vorstellungen hatten. Denn selbst der lange Franz hatte uns noch keine be¬ stimmte Namen nennen können. Immer näher kam der Ahnungslose. Schon hoben sich unsere Hände, um die vorbereiteten Wurfwaffen auf ihn loszulassen, da geschah etwas Unerwartetes. Von der anderen Seite der Allee lief in diesem Augenblick die kleine Mizzi auf den Eisplatz zu. Jetzt mußte sie mit dem Heampel zusammentreffen. Und sie fürchtete ihn doch so sehr, denn wir hatten sie in 828 das teuflische Vorleben des Heampels eingeweiht. Das mußte verhindert werden, daß er sie erschreckte. „Los!“ befahl der lange Franz. Acht feste Buben¬ hände schleuderten festgefrorene Schneekrusten auf das herankommende Männlein. Klatschend fielen die Brocken auf den Buckelkorb und einer davon traf den Hempel an den Kopf. Er schien zu bluten. Aber was war mit der Mizzi? Furchtbarer Schreck lähmte uns. Ein Eisstück hatte sich anscheinend bis zu ihr ver¬ irrt und sie am Kopf getroffen. Sie war lautlos auf den hartgefrorenen Alleeweg hingefallen. Ehe wir noch wußten, was jetzt geschehen sollte, war der Heampel schon bei dem kleinen Mädchen. Nahm seinen Buckelkorb ab und kniete nieder. Un¬ schlüssig sahen wir zu. Mühsam hob der Heampel die kleine Mizzi auf und legte sie behutsam in seinen großen Korb, nahm ihn wieder auf den Rücken und stapfte keuchend davon, ohne uns nur eines Blickes zu würdigen. Ihm selber tropfte langsam das Blut von der Stirne. Um Gottes Willen, wohin ging der Heampel mit unserer kleinen Freundin? Hatte er Böses mit ihr vor? Wir glaubten noch immer nicht den hilfreichen Gesten und sorgenden Blicken, die wir eben am Hempel beobachtet hatten. „Nachkommen!“ sagte der lange Franz. Nun wußten wir auch schon, wohin der Heampel mit sei¬ ner kleinen Last ging. Zu seinem Häuschen, das nicht weit vom Eislaufplatz lag. Wir folgten ängstlich und aufgeregt etwa hundert Schritte entfernt nach. Kein Mensch hatte außer uns den Vorgang bemerkt, denn alles hatte sich lautlos abgespielt. Da sperrte schon der Heampel die Haustür auf und verschwand im Häuschen. Nun eilten wir rasch nach und belagerten vorsichtig die zwei kleinen Fen¬ ster. Doch, was wir jetzt sahen, warf alles über den Haufen, was sich in uns an eingeredetem Hasse und bösen Vorurteilen gebildet hatte. Der Heampel hatte Klein=Mizzi auf sein armseli¬ ges Bett gelegt und rieb mit einer Flüssigkeit ihre Stirn. Da schlug sie die Augen auf. Erst waren sie groß und erschreckt, als sie den Heampel über sich gebeugt sah, dann aber sagte der Heampel etwas, was wir nicht verstanden und ein frohes Lächeln glitt über ihr blasses Gesicht. Und wie in plötzlicher Eingebung schlang sie ihre Armchen um seinen Hals und küßte seinen struppigen Kopf. Der Heampel aber weinte leise. Wir sahen den langen Franz, unseren Anführer, böse an. Stumm stand der bei uns am Fenster und schlug die Augen nieder. Etwas Schweres kämpfte in ihm! Das erkannten wir an seinem zuckenden Gesicht. Dann sagte er barsch: „Wer noch etwas gegen den Heampel hat, kriegt es mit mir zu tun! Da löste sich der böse Bann von unserer Seele. Der lange Franz und ich nahmen uns an der Hand und betraten das Häuschen des Heampel. Er hörte uns nicht, als wir eintraten. Wir wollten reden, brachten aber keinen Laut heraus. Er aber verstand die bittende, stumme Sprache unserer Augen: „Gehts heim, Kinder“, sagte er, „und glaubts

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