OÖ. Heimatblätter 2011 Heft 1/2

139 (dtv 6063, S. 581–584) die Gleichheit als das Kennzeichen des heraufziehenden, von Industrie und Verstädterung geprägten Massenzeitalters erkannt: Die Menschen lieben sie beharrlicher als die Freiheit; die Gleichheit ist jedem spürbar und allen zugänglich. Voll sicht = und spürbar wurde sie – und damit enden die alten Untertänigkeitsverhältnisse und sinken die alten Vorrechte zu Boden – mit dem Zerfall der alten Monarchien im Ersten Weltkrieg. Das lässt auch die Liebe zur Heimat, in der nun alle „vor dem Gesetz“ gleich sind, wachsen. Doch der Weg in eine bessere Zeit für alle stand bald nicht mehr allen offen: „Der Staat ist ein Mittel zum Zweck. Sein Zweck liegt in der Erhaltung und Förderung einer Gemeinschaft physisch Hinter diesen Verfolgungen durch den Staat steht die Grundvorstellung vom „richtigen“ Staat. Staat und Politik durchdringen einander. Solange das Religiös-Theologische im Mittelpunkt stand, hatte der Satz cuius regio, eius religio (s. oben) einen politischen Sinn.26 Später gewannen das Nationale, übersteigert ins Rassische, und das Ökonomische die Mitte. Das nötigte den Staat der Industriegesellschaft zur Daseinsvorsorge. Immer muss der Staat zuerst „gedacht“ werden, daher gab es von Plato bis in unsere Tage stets „Staatsdenker“,27 und es wird sie auch in Zukunft geben, denn die Marx’sche Vorstellung vom Absterben des Staates28 nach dem „Endsieg“ des Sozialismus ist wohl eine Utopie. Die Gleichheit vor demGesetz Die Idee, welche die letzten zwei Jahrhunderte umstürzend beherrscht hat, ist die der Gleichheit. Art. 2 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aus 1867 enthält den einen Satz: „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich.“ Und Art. 7 der Bundesverfassung 1920 interpretiert diesen Satz dahin, dass durch ihn Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses ausgeschlossen sind. Ähnlich die Weimarer Verfassung von 1919. In seinem beeindruckenden Buch „Über die Demokratie in Amerika“ (Bd. 1: 1835, Bd. 2: 1840) hat Alexis de Tocqueville (1805–1859)29 die Umwälzung der bestehenden gesellschaftlichen Umstände – auch für Europa – in eine neue, auf die Gleichheit aller gegründete Gesellschaftsform analysiert und hierbei 26 S. dazu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), Nachdruck 1963, S. 86/87. S. dort auch S. 20–26 zumVerhältnis von Staat und Politik. 27 Neuestens: Voigt/Weiß (Hg.), Handbuch Staatsdenker. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2010. 462 Seiten, geb., € 45,30. Das Buch enthält nach einer Einleitung die Staatsdenker in alphabetischer Reihenfolge (S. 11–452) und die Autoren (S. 453– 462). Wer sich daran stoßen sollte, dass Platon, Augustinus, Kant u. a. „zusammen mit Stalin und Hitler in ein Buch gesperrt sind“ (so formulierte Walter Schätzel in der Einführung zu seiner Textauswahl über den Staat), der bedenke den folgenden Satz: „Zweifellos haben die Staatsmänner selbst viel zutreffender über Politik geschrieben als die Philosophen. Denn da sie die Erfahrung zur Lehrmeisterin hatten, haben sie nichts gelehrt, was für das praktische Leben unbrauchbar wäre.“ Dieser Satz des Philosophen Spinoza, Tractatus politicus, 1677, gilt allerdings nicht für Hitlers „Mein Kampf“, da Hitler zur Zeit der Abfassung der beiden Bände (Bd. I erschien 1925, Bd. II 1927) noch keine Staatsfunktion innehatte. 28 Zu Marx und Engels: Gehring in Handbuch Staatsdenker (FN 27), S. 276–280. 29 Zu Tocqueville: Hidalgo imHandbuch Staatsdenker (FN 27), S. 424–429.

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