OÖ. Heimatblätter 2011 Heft 1/2

138 Und als der Krieg ausgelitten war und die Waffen endlich schwiegen, da setzte etwas nicht minder Schreckliches ein: die Vertreibung.“ Der Staat als Verfolger Primäre Aufgabe des Staates ist der Schutz der Staatsangehörigen gegen innere und äußere Bedrohung. Tatsächlich haben Staaten sie aber zunächst, weil andersgläubig – Stichwort: Konfessionskriege –, später als „Abweichler“ von der politisch vorgegebenen Linie – so regelmäßig in totalitären Regimes: Beispiel: Republikflucht aus der einstigen DDR – oder aus rassischen Gründen – Stichwort: Judenverfolgung im NS-Regime – verfolgt und ihnen die Freiheit, ja das Leben genommen oder sie „nur“ aus der Heimat vertrieben. Zum Auswandern25 zwang vor allem wirtschaftliche Not, im 20. Jahrhundert die politische Verfolgung. „Flucht und Vertreibung in der Literatur nach 1945“ skizziert Gertrud Fussenegger24 die mörderischen Wanderzüge der 20. Jahrhunderts in meisterhafter Kürze. Im Gedenken an diese große Schriftstellerin sei dieser Abschnitt – leicht gekürzt – wiedergegeben: „… In unseren Ländern hat bereits im Ersten Weltkrieg eine starke Migrationswelle eingesetzt. Was sollte die Bevölkerung auch anderes als flüchten, dort wo die Armeen gegeneinander stießen? Gar dort, wo der Stellungskrieg das Land bis auf den Grund verwüstete? Und nicht alle kehrten später zurück. Die Revolution in Russland hat zahllose Emigranten in alle Richtungen außer Landes gefegt. Und was sich bei den Umstürzen im Fernen Osten begeben hat, das wage ich mir gar nicht auszumalen. In unserem Raum begann schon vor 1939 eine merkwürdige Wanderbewegung in Form der sogenannten Rückführung der Volksdeutschen. … Aus welchen Gründen das geschah? Vielleicht, um mit dem männlichen Anteil der Volksgruppen die eigene Wehrkraft zu stärken; vielleicht, um der These vom „Volk ohne Raum“ Nachdruck zu verleihen; möglicherweise sogar, um diesen Splittergruppen künftige Repressalien zu ersparen … Mit Kriegsbeginn setzten dann erst recht Massenbewegungen ein. Da waren Millionen Soldaten von einer Front zur anderen zu werfen. Da waren die Deportationen der Juden – ein grauenhaftes Kapitel. Da waren dann auch die Kriegsgefangenen, die zu Millionen anfielen, die Bombenflüchtlinge, die aus den zerstörten Städten aufs Land gebracht und verteilt werden mussten, die Verschickungen der Kinder und so fort. 24 S. 21–30, hier: S. 23. In Bezug auf ihre böhmischen Romane schickt Gertrud Fussenegger ihren „heimatschriftstellerischen Erfahrungen“ einige Daten voraus: „Ich bin … keine Vertriebene im engeren Sinne des Wortes. Als Tochter eines k. u. k. Offiziers Vorarlberger Herkunft und einer deutschen Pilsnerin bin ich, was einstmals ein Tornisterkind genannt wurde. … So bin ich zwar im Vaterhaus meiner Mutter in Pilsen geboren, aber sofort nach Galizien gebracht worden; 1914 mit der Mutter wieder nach Böhmen zurückgekehrt, geflüchtet vor der sich nähernden russischen Front. Meine ganze Kindheit und Jugend … war ein ständiges Pendeln zwischen Böhmen und dem alpinen Österreich, Vorarlberg, Tirol, später auch München. Ichmaturierte in Pilsen, promovierte in Innsbruck, meine ersten Bücher erschienen in Potsdam, spätere in Jena, dann in Salzburg, Stuttgart, Graz …“ (S. 27/28). 25 Vgl. das bei von Krockow (FN 18) S. 19 zitierte Auswandererlied von Ferdinand Freiligrath.

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