OÖ Heimatblätter 2010 Heft 3/4

226 Für Lenau, der mehrmals bei seinem Altmünsterer Dichterfreund Leopold Matthias Schleifer lebte und die idyllische Berg- und Seenlandschaft über alles liebte – er wollte sich am Traunkirchner Seeufer niederlassen – war die Besteigung des Traunsteins (1831) ein persönlicher Triumph, er zählte dieses Erlebnis zu seinen größten, vergleichbar mit seiner späteren Schiffsreise nach Amerika. In der ersten Szene seiner dramatische Dichtung „Faust“ (2. Fassung, 1844) wird Faust eingeführt als Naturforscher, der in seinem unbedingten Wissensdrang auf einem gefährlichen Felsgrat hoch hinauf klettert, um Naturdinge zu sammeln. Sein Begehren ist, der Natur ihr Geheimnis „abzufordern“. Eine innere Stimme mahnt ihn wegen seiner Vermessenheit, Gottes Schöpfung bis ins Innerste begreifen zu wollen – dieses Begreifen werde dem Menschen erst nach seinem Tod gewährt. Als er abzustürzen droht, rettet ihn ein plötzlich über ihm auftauchender Gebirgsjäger – es ist Mephistopheles, der ihn durch seine weiteren Lebensstationen begleitet. Der Teufelspakt soll Faust übermenschliches Wissen garantieren, Mephistopheles aber führt ihn in Schuld und Verzweiflung hinein, Fausts Selbstmord ist Fausts Verdammnis. Eine äußerst krasse Horror-Szene, in der Fausts verderbenbringende Sündhaftigkeit dramatisch exemplifiziert erscheint, ist in „Faust“ die nächtliche Szene vor dem Inselkloster am See: Mephistopheles erinnert Faust an seine glühende Liebe zu einer Nonne und holt vor seinen Augen aus der Tiefe des Sees das Skelett eines Säuglings an die Oberfläche: Es ist das ermordete Kind der geliebten Nonne, dessen Vater Faust war. oder Regionen identifiziert werden können, Kunstlandschaften – sie stehen in einem neuen, fiktionalen Kontext, durch den sie ihre Bedeutung gewinnen. Die Spannweite reicht von einer idealen Symbolhaftigkeit bis zum anschaulichen, bildhaften Schauplatz historischer und fiktionaler Geschehnisse – hier in polarer Gegenüberstellung fokussiert: von einem „locus amoenus“ (= Lustort) bis zu einem „locus terribilis“ (Ort des Schreckens), um die Schemata antiker Topoi in erweiterter und modifizierter Form auf Texte der „Moderne“ zu applizieren. Kontrastive Bilder der TraunseeLandschaft: Lenau – Stifter – Ransmayr Traum und Alptraum einer Literaturlandschaft: Das Gebiet um den Traunsee ist eine literarisch mehrfach konnotierte Region: Nikolaus Lenau, den wir als einen Nicht-Oberösterreicher hier als Gast gelten lassen können, Adalbert Stifter und in der Gegenwartsliteratur Christoph Ransmayr, der ja aus der Region um Gmunden stammt, und dort auch zeitweise lebt, haben dieser berühmten Landschaft ihre poetische Signatur gegeben. Wir beschäftigen uns in diesem ersten Abschnitt mit folgenden Texten: Nikolaus Lenau in seinem dramatischen Gedicht „Faust“, Adalbert Stifter in der Erzählung „Feldblumen“ und Christoph Ransmayr im Roman „Morbus Kitahara“. Es geht dann weiter mit Franz Rieger und Marlen Haushofer.

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