Buchbesprechungen Otto Lackinger: 50 Jahre Industrialisierung in Oberösterreich, 1945-1995 (1938-1988). Linz: Universitätsverlag Rudolf Trauner, 1997. 410 Sei ten. Otto Lackinger, der langjährige Leiter des Statistischen Dienstes der Oberösterreichischen Landesregierung, ist wohl wie kein zweiter beru fen, eine Darstellung der Entwicklung Oberöster reichs zum Industrieland zu geben. Er hat ein um fangreiches Datenmaterial ausgewertet und zum Teil völlig neu erschlossen und die österreichische Industriestatistik einer kritischen Hinterfragung unterzogen. Auf dieser Basis zeichnet er die langfristigen Entwicklungslinien der Industrialisierung des Bundeslandes nach. Er bleibt aber nicht bei einer Industriegeschichte stehen, sondern liefert eine Geschichte der gesamten Wirtschaft des Landes, pointiert, sich nicht um ein eigenes Urteil herum drückend, aber immer streng den Daten entlang. Lackinger ist es zu danken, daß er sehr ener gisch mit jenem Märchen eines durch den An schluß Österreichs an Deutschland im Jahre 1938 und durch die nationalsozialistische Wirtschafts politik initiierten oberösterreichischen Wirt schaftswunders aufräumt. Er ist zwar nicht der er ste, der kritisch darauf hinweist, daß das Jahr 1938 nicht jener tiefe Einschnitt war, der Oberösterreich zu einem modernen Industrieland gemacht hat. Schon vor ihm hat Josef Moser in seiner hervorra genden Dissertation, die gedruckt unter dem Titel „Oberösterreichs Wirtschaft 1938 bis 1945" (Stu dien zur Wirtschaftsgeschichte und Wirtschafts politik 2, hg. von R. Sandgruber/H. Matis, Wien 1995) erschienen ist, schon ähnliches zeigen kön nen. Die Arbeit Otto Lackingers sollte ursprüng lich die Industrialisierung Oberösterreichs in den fünf Jahrzehnten von 1938 bis 1988 behandeln. Im Laufe der Forschungen kam der Autor aber zu dem Schluß, daß im Jahr 1945 wohl sehr viel grundlegendere und langfristig viel bedeutendere Entscheidungen getroffen wurden als 1938 und daß das Jahr 1995 mit dem EU-Beitritt ebenfalls eine wesentlich tiefgreifendere Periodengrenze darstellt als das belanglose 1988, das sich nur aus der runden Gleichsetzung mit 1938 ergibt. So ent stand der merkwürdige und fürs erste etwas irri tierende Titel mit den zwei 50-Jahr-Ferioden, ei nerseits 1945 bis 1995 und dazu die in Klammer gesetzte 1938 bis 1988. Die Herstellung der Vergleichbarkeit der Da ten war wohl eines der schwierigsten Probleme und verdienstvollsten Ziele dieser Studie. Lackin ger setzt sich intensiv mit den Abgrenzungskrite rien zwischen Industrie und verarbeitendem Ge werbe auseinander. Er hat die von der Arbeiter kammer Wien erstellte „Statistik der Beschäftig ten in Deutsch-Österreich nach dem Stande vom 31. März 1938" für Oberösterreich ausgewertet und hat die im Archiv der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse erfaßten Versichertenstände der einzelnen Industriebetriebe als Vergleichs werte zu den nach anderen Kriterien erstellten Be triebszählungsdaten herangezogen. Auf dieser Basis kann er einerseits einen durchaus bemer kenswerten wirtschaftlichen Aufwärtstrend in der Industrie in den letzten Jahren vor 1938 feststellen, etwa in den Steyr-Werken, in der Textilindustrie, in den Steinbrüchen oder in der Sensen- und Messerindustrie. Andererseits zeigt seine Analyse des Zustandes im Jahre 1938 die inselförmige Konzentration der Industriestandorte auf Steyr und Linz inmitten eines industriefreien, noch ein deutig landwirtschaftlich strukturierten Raums. Oberösterreichs Industrie vor 1938, so der Schluß Lackingers, war keineswegs so unbedeutend, wie dies in den meisten Publikationen und Aussagen behauptet wurde und wird. Das Jahr 1938 war mit Sicherheit nicht das Jahr Null, mit welchem die In dustrialisierung Oberösterreichs einsetzte. Zentral für die Aussage des gesamten Buches ist Lackingers vernichtende Bilanz der nationalso zialistischen Gründungstätigkeit und der Folgen des Krieges: „Wieso angesichts einer solchen Bi lanz das Jahr 1938 als .Beginn der Industrialisie rung Oberösterreichs' bezeichnet wurde (und vielfach noch wird), ist nur mit der kritiklosen Übernahme der NS-Propagandaphrasen nach der Okkupation 1938 erklärlich." Lackinger verweist zur Untermauerung seiner Periodisierung auf den Ersten Weltkrieg, wo die Steyr-Werke während der Kriegszeit mehr als 15.000 Beschäftigte er reichten und eine moderne Automobilfabrik auf bauten, aber niemand auf die Idee gekommen wäre, dies als Beginn der Industrialisierung Ober österreichs zu bezeichnen. Sehr wichtig ist Lackingers Hinweis auf die Position des Mühlviertels in der nationalsozialisti-
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2