OÖ. Heimatblätter 1998, 52. Jahrgang, Heft 3/4

Saar-Kapitel mit „Ferdinand von Saar und die Würde des Untergangs".) Die Erzählungen Saars stehen wohl in einem gesellschaftlich-politischen Be zug, seine volle Hinwendung gilt aber dem einzelnen mit seinem Schicksal. Saar-Kenner wie Adalbert Schmidt und Hermann Kunisch verweisen auf die of fenbar von seiner Darwin-Lektüre beein flußte Zwangsläufigkeit der Entwicklung seiner Charaktere. Saar selbst spricht in der „Geigerin", davon, „daß der Mensch nichts anderes ist als eine Mischung geheimnisvoll wir kender Atome, die ihm schon im Keime sein Schicksal vorausbestimmen". Dem entspricht die Ansicht von Gumplowicz, „daß auf moralischem Gebiete das soziale Leben weder Rückschritt noch Fortschritt aufweist und daß wir die Frage des Dichters: Warum schleppt sich blutend, elend Unter Kreuzlast der Gerechte, Während glücklich als ein Sieger Trabt auf hohem Roß der Schlechte? nur damit beantworten können, daß die Natur, die Allschöpferin, sich um solche Lappalien nicht kümmert."" Damit sind wir bei Gumplowicz. In seiner österreichischen Kultur- und Gei stesgeschichte hat der Amerikaner (!) William M. Johnston" dem Sozialdarwi nisten Gumplowicz gemeinsam mit Gu stav Ratzenhofer sowie dem berühmten Houston Stewart Chamberlain ein eige nes Kapitel gewidmet. Was wir heute „Sozialdarwinismus" nennen, meint die Übertragung der bio logischen Entdeckungen Darwins auf die gesellschaftliche, also soziale Ent wicklung. So wie sich die Annahme ei ner fortschreitenden Evolution als Weg zum Fortschritt deuten läßt, so kann aus Darwins Entdeckungen schwerpunktar tig auch das Ende des göttlichen Schöp fungsgedankens, der Wegfall eines Welt zieles, abgelesen werden. Diese pessimi stische Form des Sozialdarwinismus ver focht Gumplowicz mit Schärfe und stili stischem Glanz. Nicht die Menschen als Individuen, sondern Menschengruppen - er nennt sie „Rassen" - treten in den „Kampf ums Dasein"; im innerstaatli chen Bereich, indem die siegreiche Gruppe die unterlegene unterdrückt und für sich arbeiten läßt, im zwischenstaatli chen Bereich, indem der eine Staat den anderen in die Knie zwingt. Damit ist auch dem Klassenkampf im Innern eine sozialdarwinistische Deutung gegeben. Dieser Kampf werde, meint Gumplo wicz, ein dauernder sein, er bringe aber keinen allgemeinen menschlichen Fort schritt; die zunächst erfolgreichen Klas sen oder „Rassen" müßten in der Folge wiederum anderen weichen. Das An schauungsmaterial für seine Theorie lie ferte ihm der Nationalitätenstreit in der Monarchie. " In: Brix (FN 9), S. 271. Brix merkt hiezu an (S. 65/66): „Dies gilt uns heute als inhumanes Denken. Jedenfalls reichen die Folgen dieser na turalistischen Soziologie bis zur Rechtfertigung der Gaskammern des Dritten Reiches. Die Ak tualität dieser Gedanken hat deren politischen Mißbrauch in Betracht zu ziehen." Titel der amerikanischen Originalausgabe (1972): The Austrian Mind - An Intellectual and Social History 1848-1938, deutsche Aus gabe 1974, S. 324 ff.

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