Steueramt gestempelt und versiegelt. Es war ein wichtiges Buch: Es ist schön gebun den, mit Faden geheftet, das Vorsatzblatt am Bug mit einem Leinenstreifen verstärkt, mit einem schützenden Lederstreifen am unteren Rand des Einbandrückens und eines Teils des Vorder- und Rückendeckels. Die Schnittflächen des Buchblocks sind marmoriert. Trotz jahrzehntelangen Gebrauchs hat die Bindung kaum an Spannung verloren. Sieben Jahre vor dem ersten Krieg wurde das Buch zusammen mit einem weiteren, einem ersten Band gekauft. Erst nach achtundzwanzig Jahren wurde es, für neunzehn Jahre, benutzt. Dann trat Johann Pammer in den Ruhestand. Obwohl das Buch nicht wie eine Erzählung zu lesen ist, sagt es doch vieles darüber, wie Johann Pammer lebte und wie er sein Einkommen verdiente. Freilich war die Schneiderei nicht die einzige Quelle für den Lebensunterhalt der Familie. Wie viele andere Handwerkerfamilien auf dem Land lebte die Familie des Straglinger Schneiders auch von einer kleinen Landwirtschaft, dazu betrieb Johann Pammer eine kleine Kaffeerösterei. Die Landwirtschaft bestand aus einigen Acker- und Wie sengrundstücken, zu denen für einige Zeit noch weiterer Grund dazugepachtet wurde. Auf diesen Flächen baute die Familie Erdäpfel an, von denen sie einen Teil selbst verbrauchte. Auf der restlichen Fläche wurde das Futter für drei Kühe und drei Schweine erzeugt. Auch ein Obstgarten befand sich beim Haus; aus ihm kamen Ribisel, Kirschen, Äpfel, Birnen, Reineclauden, Zwetschken und Mostobst. Das edlere Obst wurde von Theresia Pammer an Kunden in der Steyrermühl, an Arbei ter und vor allem Angestellte, verkauft, auch Milcherzeugnisse wie Rahm, Butter, Buttermilch und Topfen fanden dort ihre Abnehmer. Den Most trank die Familie selbst oder schenkte ihn an Gäste aus, die dazu aus der Steyrermühl nach Stragling kamen. Einige Tage im Jahr mußte Robot für einen benachbarten Bauern geleistet werden, im Austausch für das von ihm bereitgestellte Trinkwasser und das Um ackern des Landes der Familie; auch für den gepachteten Grund wurde Robot geleistet. Das Getreide, das die Familie benötigte, stammte aus dem Ertrag der Kaffeerösterei. Johann Pammer röstete Weizen und Roggen, die ihm von Bauern der Umgebung gebracht wurden. Als Entgelt behielt er einen Teil des Getreides zurück. Es war so viel, daß die Familie kein zusätzliches Getreide kaufen mußte. Das Einkommen, das die Schneiderei der Familie verschaffte, kam nicht nur aus der Arbeit, die Johann Pammer mit der Anfertigung der Kleidungsstücke hatte. Eine zusätzliche Einnahme kam aus der Vermittlung des verwendeten Stoffes und Zugehörs. So wie viele andere Schneidermeister führte auch Johann Pammer eine Kollektion mit Musterstoffen, die er seinen Kunden vorlegte und aus der diese ihre Auswahl treffen konnten. Dieser Katalog stammte von einem Wiener Tuchhandels haus namens Silesia, das bis zur Besetzung unseres Landes durch die Deutschen und der Vertreibung der jüdischen Besitzer die Zweigstelle eines tschechoslowaki schen Unternehmens war. Dieses Unternehmen war noch im vorigen Jahrhundert im österreichischen Schlesien gegründet worden und war auf die Belieferung von Schneidereibetrieben spezialisiert. Seine Kundschaften waren über die österrei chisch-ungarische Monarchie verteilt, seine Kataloge erschienen in deutscher, italie nischer, ungarischer, tschechischer, kroatischer und polnischer Sprache. Nach dem
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