Die Mappe meines Großvaters Von Michael Pammer Wenn man von Gmunden nach Schwanenstadt fährt und dabei die Haupt straße vermeiden will, kann man über Ohlsdorf in Richtung Steyrermühl fahren. Kurz vor Steyrermühl wendet man sich nach links auf Aichlham zu, um von dort den Weg über Desselbrunn zu nehmen. Dabei kommt man durch Pennesdorf, die am weitesten nördlich gelegene Ortschaft im Gemeindegebiet von Ohlsdorf. Pennesdorf besteht aus sieben Häu sern, unter ihnen drei Bauernhöfe, die mit einem weiteren Haus das eigentliche Pen nesdorf bilden und in manchen älteren Quellen auch Pennesdorf-Dorf genannt wer den. Die anderen drei Häuser werden zwar gewöhnlich ebenfalls zu Pennesdorf gerechnet, liegen aber etwas abseits und bilden in Wirklichkeit eine eigene Ortschaft mit dem Namen Stragling. Eines der drei Straglinger Häuser wird heute manchmal das Schneiderhaus genannt, obwohl es diesen Namen herkömmlicherweise nicht als Hofnamen getra gen hat. Die Bezeichnung geht auf meinen Großvater zurück, der den Beruf eines Herrenschneiders ausübte und in diesem Haus fünf Jahrzehnte seines Lebens ver brachte. Er selbst hieß Johann Pammer. Er war der einzige Schneider, der das Schnei derhaus jemals besessen hat. Im Grundbuch heißt das Haus die Behausung im Bach. Mit seiner ersten Frau Maria war der Schneidermeister in das Straglinger Haus gezogen, das damals seinen Schwiegereltern gehörte. Nach dem Tod des Schwiegervaters war dessen Witwe die alleinige Besitzerin. Johann Pammer blieb auch dort, nachdem seine Frau im Jahr des Kriegsausbruchs gestorben war. Fünf Jahre später heiratete er neuerlich: Theresia Eder war Bedienstete bei einem Bäcker meister in Ohlsdorf gewesen und übersiedelte nun nach Stragling. Die Eheleute kauften jetzt das Haus von der alten Frau, die als Auszüglerin noch die kurze Zeit bis zu ihrem Tod im Haus blieb. Aus der ersten Ehe gingen zwei Kinder hervor, von denen das ältere, ein Sohn, ebenfalls den Beruf eines Schneiders erlernen und bis zu seinem Ruhestand ausüben sollte. Auch eines der drei Kinder, die aus der zweiten Ehe stammten, erlernte dieses Handwerk, jedoch ohne Lust. Dieser Zweitälteste Sohn des Schnei ders hätte den Beruf eines Friseurs vorgezogen, doch fand er in der wirtschaftlichen Not dieser Jahre keinen Lehrherrn. So lernte er beim Vater dessen Handwerk. Er fiel im Krieg. Mein Großvater wurde fünfundsiebzig Jahre alt. Unter den Dingen, die er bei seinem Tod im Jahr 1958 hinterlassen hat, befindet sich ein Buch, in dem in seiner Handschrift alle Geschäfte vermerkt sind, die er in den letzten Jahrzehnten seines Lebens mit seinen Kunden abgeschlossen hat. Es ist das Hauptbuch des Schneider meisters; mit durchnumerierten Seiten, ein Dokument für die Behörden und vom
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