erreicht... Es wird ein Stück aufgeführt werden, wogegen die Französische RevoluHon nur wie eine harmlose Idylle er scheinen möchte." Die Französische Revolution hatte den Rückzug der Religion markiert, die durch Jahrhunderte auch die utopischen Bedürfnisse der Menschen befriedigt hatte, sie hinterließ ein seelisches Va kuum. „Die Erschütterung der überweltli chen Autorität Gottes in der Entwick lung des Ideologieverdachts von Kant zu Marx" - so die Uberschrift zum ach ten Kapitel von tdelmuth Plessners „Ver spätete Nation" - war die Folge. Die an die Stelle der Religion getre tene Ratio konnte ihren Rang nicht auf Dauer behaupten. „Vernunft und Wis senschaft, des Menschen allerhöchste Kraft", wie es im „Faust" heißt, wurden in den Strudel der verschiedensten Irra tionalismen gezogen, tauchten aus ihm wieder auf und sehen sich nach den Schrecken zweier Weltkriege und im atomaren Menetekel mit einem Newage-Gefühl konfrontiert. Ent-Ideologisierung und Re-ldeologisierung folgen einander unter wechselnden Vorzeichen. Das 20. Jahrhundert gebiert höchste (naturjwissenschaftliche Leistungen und bleibt doch - im politischen Denken - „Zeit der Ideologien" (K. D. Bracher). Pragmatismus, Pluralismus, Wertre lativismus, Ökonomismus, also relativ weltanschauungsneutrale Begriffsin halte, etwa in der Erscheinungsform der „großen Koalition" in Österreich, haben die Ideologien stets geschwächt. Aber aus jeder Ermattung ist die Ideologie in den unterschiedlichsten Gewandungen zu neuem Leben erstarkt. Dann verliert der Austausch von Argumenten in zivili sierter Form seine Kraft, das Bekenntnis hafte, ja die Demonstration, tritt an seine Stelle. Die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts halten uns wie die endgülhg abgestorben geglaubten Zeiten der Religionskriege die Erfahrung vor Au gen, wohin es kommt, wenn die totale Idee dominiert und die Normen gesitte ten Zusammenlebens grob verletzt. Das Bewußtsein von der vielfachen Bedingt heit totaler Welterklärungen fordert, an die Stelle weltanschaulicher Selbstge wißheit die Bereitschaft treten zu lassen, den jeweiligen - eigenen oder fremden - Standpunkt nur als mehr oder minder gut bestätigte, versuchsweise Annahme (Hypothese) aufzufassen, die einer fort währenden Kritik und Erprobung ausge setzt bleibt, die - mit Karl Popper zu sprechen - ständig dem Risiko einer spä teren Falsifizierung ausgesetzt ist. Diese Methode des Versuchs und Irrtums, also von „trial and error", vorweggenommen im Goethe-Wort, daß „derjenige, der sich mit Einsicht für beschränkt erklärt, der Vollkommenheit am nächsten (ist)", wird allerdings von denen nicht angenom men, deren Bemühen es ist, „ideolo gisch" nur Bestätigungen des eigenen Standpunktes zu suchen und Infrage stellungen als Angriff, im Politischen als Aggression, zu disqualifizieren. Wenn in diesem Sinn - nach der überspitzten Formulierung Nietzsches - Überzeugungen gefährlichere Feinde der Wahrheit sind als Lügen, sind wir hier zwar zur Skepsis aufgerufen, haben uns aber vor dem landläufigen totalen Skep tizismus zu hüten. Es gibt nämlich, wie Schnitzler im „Buch der Sprüche und Bedenken" schreibt, zweierlei Skepsis; „Die eine Art: Zweifel um jeden Preis, die andere: nichts ohne Prüfung
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