Freilich: Was in der jeweiligen Ideo logie positiv, also politische Idee, was ne gativ, also Ideologie im abschätzigen Sinn ist, darüber streiten die Menschen, je nach Standpunkt. Die Geschichte der Zwischenkriegs zeit mit ihrem Lagerdenken, das ein Uberspringen der Lagermauern kaum zuließ, oft nachhaltig beschworen und beklagt, zeigt, daß sich die einen im Be sitz der Wahrheit wähnen, die anderen jedoch in der Ideologie befangen sehen, und dies wechselseitig. (Das Standard werk von Hans Barth trägt den bezeich nenden Titel „Wahrheit und Ideologie".) Wenn wir im herkömmlichen, wenig differenzierenden Sinn von Ideologien, „Bündeln geschichtlicher Ideen" oder Weltanschauungen bzw. politischen Ideen sprechen, so treten sie ab der Fran zösischen RevoluHon in Erscheinung wie Liberalismus, Konservatismus, Sozialis mus und den mannigfachen Nationalis men auf. Otto Brunner kennzeichnet sie idealtypisch so: „Sie wollen aus ihren Ursprüngen heraus Wissenschaft sein und sind das auch in erheblichem Maße. Sie behaup ten aber auch, auf unaufhebbaren Geset zen, sei es des wirtschaftlichen Zusam menlebens, sei es der geschichtlichen Entwicklung zu fußen, und damit wer den sie schon zur Weltanschauung, zur Metaphysik ... Und endlich sind es poli tische Programme, zumal politische Par teienanweisungen zum Handeln ... Was ihnen aber, diesen Bündeln verschieden artiger Elemente, die innere Einheit gibt, ist ein utopisches Element, ein eigentüm licher ,Geschichtsglaube', der in diesen Ideologien stärker oder schwächer wirk sam ist." Zu der Ideologien eigentümlichen Entwicklung eines vollständigen Weltbil des hat die klassische deutsche Philoso phie Wesentliches beigetragen und hie bet die Spannung zwischen Theorie und politischer Praxis, hie das innere Reich, dort die garstige Politik, verschärft. Carl Friedrich von Weizsäcker hat hiefür in seinem geistvollen Vortrag „Der deut sche Titanismus" Texte von Hölderlin und Heine angeführt. Bei Hölderlin heißt es, man solle nicht über ein Kind spot ten, das auf einem Steckenpferd „muhg und groß sich dünkt". Dann vergleicht der Dichter die Deutschen mit dem spie lenden Kind: Denn, ihr Deutschen, auch ihr seid Tatenarm und gedankenvoll. Oder kömmt, wie der Strahl aus dem Gewölke kommt. Aus Gedanken die Tat? Leben die Bücher bald? Dann zitiert Garl Friedrich von Weiz säcker aus Heines Schrift über Religion und Philosophie in Deutschland (1834). Das Gewittergleichnis hört sich hiebei so an: „Lächelt nicht über meinen Rat, den Rat eines Träumers, der Euch vor Kanti anern, Fichteanern und Naturphiloso phen warnt. Lächelt nicht über den Phantasten, der im Reiche der Erschei nungen dieselbe RevoluHon erwartet, die im Gebiete des Geistes stattgefun den. Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig, und kommt etwas langsam herangerollt; aber kom men wird er, und wenn Ihr es einst kra chen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt: der deutsche Donner hat endlich sein Ziel
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