OÖ. Heimatblätter 1997, 51. Jahrgang, Heft 3/4

bestätigen und vertiefen diese Erkenntnisse. Es geht um folgende Zusammenhänge; In „normalen" Zeiten mit moderatem Veränderungstempo erfolgt die individuelle und kollektive Persönlichkeitsentwicklung als Hineinwachsen in und Geprägtwer den durch eine bestimmte Kultur. Man wird nicht Mensch im abstrakten Sinn, son dern konkret Österreicher, Japaner, Russe usw. Trotz mancher Reibereien (vor allem in der Pubertät) wächst man relativ unproblematisch in die geltende Eebensform hinein, in die vorhandenen Ansichten, Werte, Regeln seiner Heimat, seines Glau bens, konkret in Orientierung an den Eltern, Eehrern, Seelsorgern, Freunden und Vorbildern. Radikale Umbrüche wie jetzt bringen es mit sich, daß Erziehende, alle Vorbilder und Autoritäten unsicher sind, was noch gilt bzw. was wie im Hinblick auf die sich ändernden Verhältnisse geändert werden muß, wie jetzt gelebt werden sollte. Die Identitätsfindung und Lebensorientierung, die Entwicklung stabiler, belastbarer Persönlichkeiten ist daher in Umbruchszeiten tendenziell erschwerU^ Es kommt individuell und gesellschaftlich zu einer problematischen Schere zwischen ver ringerter Belastbarkeit und erhöhter Belastung. Weil man - verunsichert und wenig belastbar - komplizierte Neuorientie rungen und anstrengend-langwierige Wege schlecht „aushält", neigt man zu allzu einfachen Deutungen und „Lösungen": Man träumt sich zurück in die „vergoldete" Vergangeneit oder in eine utopisch-ideale Zukunft, man neigt zu Schwarz-WeißMustern, religiösen und profanen Fundamentalismen, zu persönlicher und politi scher Polarisierung mit projektiven Alleinschuld-Zuweisungen zur jeweils anderen Seite. Die skizzierte persönliche und psychosoziale Lage trägt wesentlich zum Schrumpfen der Perspektive bei. Das Interesse und Engagement für das Gemein wohl ist rückläufig, es kommt zur Entsolidarisierung, man zieht sich auf die eigene Gruppe bzw. auf die eigenen Interessen zurück. Das zeigt sich in akhven bis aggres siven Formen in der Brutalisierung der ökonomischen und sozialen Auseinanderset zungen, in der Ausrichtung auf schnelle Erfolge ohne Rücksicht auf Schäden, man setzt verstärkt auf defensiv geschlossene Identität (neue Nationalismen, AusländerPhobie) ... Ebenso beachtlich sind die passiven bis depressiven Formen: Antriebslosigkeit, Entscheidungsschwäche, Selbstbemitleidung (in den ehemals kommunisti schen Nachbarländern wird trotz ungleich schwierigerer Verhältnisse viel weniger gejammert als bei uns), Rückzug in vertraute Kleingruppen und in den Privatbereich. Auch die „postmoderne Beliebigkeit" gehört in diesen Zusammenhang. Johann Baptist Metz hat es bissig einmal so formuliert: „Hier stehe ich, ich kann auch anders. Ich bin nie bloß meiner eigenen Meinung. Alles geht, auch das Gegen teil." Derartige Haltungen können Ausdruck des mühsamen Tastens im Ubergang ' Vgl. dazu U. Beck (Hg.): Kinder der Freiheit. Frankfurt H997. - G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt 1993. - R. Bly: Die kindliche Gesellschaft. Über die Weige rung, erwachsen zu werden. München 1997. - Immer noch sehr beachtenswert: H. Klages: Wertorien tierungen im Wandel. Rückblick, Gegenwartsanalyse, Prognose. Frankfurt ^1985.

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