OÖ. Heimatblätter 1997, 51. Jahrgang, Heft 3/4

Österreich" heraus. Wegen seiner Mit gliedschaft in der NSDAP seit 1943 (!) verlor er als „Minderbelasteter" seinen Lehrstuhl an der Universität Wien. 1954 wurde er an die Universität Hamburg berufen, wo er bereits 1957 Dekan und 1959/60 Rektor war. Der - scheinbare - Spezialist österreichischer Landesge schichte, der das Allgemeine aus dem Besonderen entwickelte, machte Kar riere. Der deutsche Staatsrechtler Hel mut Quaritsch hat jüngst „Otto Brunner - Werk und Wirkungen" in der imposan ten Festschrift für den Wiener Staats rechtler Günther Winkler eindrucksvoll dargestellt (S. 825 ff., bei Springer in Wien 1997 erschienen, rund 1.320 Seiten, S 1.995,-). In der Folge soll an einem „großen" Thema, einem Ewigkeitsthema, gezeigt werden, daß Otto Brunner, aus dem gleichsam Familiären schöpfend, auch ein Geschichtsphilosoph war. In seiner 1968 in zweiter Auflage er schienenen Aufsatzsammlung „Neue Wege der Verfassungs- und Sozialge schichte" findet man den ursprünglich in der „Neuen Rundschau" (1954) abge druckten Essay „Das Zeitalter der Ideo logien", der wie folgt beginnt: „Im Frühjahr 1798 waren im Weißen Saal des Berliner Schlosses die Stände der Mark Brandenburg versammelt, um dem neuen König Friedrich Wilhelm III., wie seit Jahrhunderten, die Erbhuldi gung zu leisten. Da trat in diese wohlfrisierte und ge puderte Gesellschaft in ihren glitzernden Uniformen ein Mann im schlichten Bür gerrock, mit einer enormen dreifarbigen Schärpe um den Leib. Er war der Ge sandte der Französischen Republik, und es war der Abbe Sieyes, der 1789 die Schrift über den Dritten Stand, eine der großen Programmschriften der Revoluhon, veröffentlicht hatte, in der er diesen Dritten Stand zur Nation erklärt und den Privilegierten das Existenzrecht ab gesprochen hatte. Man kann verstehen, daß das Erscheinen dieses Mannes mit einem leisen Raunen von den Versam melten aufgenommen wurde. Der Teil nehmer, der uns von dieser Szene er zählt, Friedrich Ludwig von Marwitz, muß in Sieyes geradezu physisch die Verkörperung einer Gegenwelt empfun den haben; er sagt, es war ein Mann mit einem Kanaillengesicht und einem schwarzen (das heißt ungepuderten) Kopf, der hier eintrat. Marwitz war einer der leidenschaftlichsten und geistig be deutendsten Vertreter eines ständischen Wesens im Kampf gegen den Despotis mus des absoluten Staates und der Re volution. Er hat daher auch gegen die Staatsreform Preußens im nächsten Jahr zehnt, vor allem gegen den Fürsten Har denberg gekämpft; seine Abwehr rich tete sich hier, wie er in seinen Schriften sagt, gegen die ,heimatlosen Theoreti ker', gegen ,die Ideologen und Philoso phanten'." Marwitz (1777 bis 1837), Vorbild für Berndt von Vitzewitz in Fontanes „Vor dem Sturm", verwendete das Wort „Ideologie" im abschätzigen Sinn. „Ideo logen" nannte man die Vertreter einer Philosophenschule zu Ende des 18. Jahr hunderts, welche eine neue Sozialwissenschaft auf der Basis der Naturwissen schaften begründen wollten; sie waren Vorläufer der „Soziologie" des August Comte, ihr bekanntester Vertreter, heute nur mehr Fachgelehrten geläufig, war Destutt de Tracy. Eine der folgenreichsten Wandlun gen erfuhr das Wort Ideologie bei Karl Marx und Friedrich Engels in ihrer Früh-

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