OÖ. Heimatblätter 1997, 51. Jahrgang, Heft 3/4

Drei gleichzeitige (Ver-)Störungen: Ende der österreichischen Gemütlichkeit? Nach Jahrzehnten einer sehr erfreulichen Entwicklung unseres Landes, ver gleichsweise ruhiger und wohlhabender Verhältnisse auf unserer „Insel der Seligen", werden wir ziemlich plötzlich und unvorbereitet von rauhen Winden und Stößen durchgerüttelt: Die Trennmauer quer durch Europa und Österreichs Sonderrolle sind weg Da ist erstens die dramatische Veränderung in Europa durch die Auflösung des totalitären Marxismus und des Sowjetimperiums 1989/90 zu nennen. Ohne gro ßen Krieg - das ist geschichtlich einmalig - brach dieses mächtige, totalitäre Impe rium zusammen, die Völker in unserer Nachbarschaft wurden frei, die Trennmauer quer durch Europa fiel, die Absperrungen, auch riesige und höchst gefährliche mili tärische Rüstungen auf beiden Seiten konnten abgebaut werden. Das ist an sich eine weltgeschichtlich einmalige Chance, ein Kairos, aber für uns in Österreich war damit die durchaus komfortable Sonderlage (die militärischen Risiken haben wir ver drängt) im Windschatten der Ost-West-Trennmauer vorbei. Die geopolitische und kulturpolitische Lage Österreichs mitten in Europa im Schnittpunkt der Wege, Ein flüsse und Interessen, die unsere Geschichte, unsere Kultur und Mentalität geprägt hat, ist wieder in aller Intensität und Schärfe spürbar. Erinnern wir uns an die Formu lierung unserer Bundeshymne: „heißumfehdet, wild umstritten, liegst dem Erdteil du inmitten". Ob das anschließende „einem starken Herzen gleich" stimmt, muß sich noch herausstellen. Vorerst reagiert unsere Bevölkerung auf diesen Umbruch zum Unbe quemen, Ungeschützten, Ausgesetzten überwiegend verstört, ja beleidigt. Das ist verständlich, aber nicht hilfreich, sondern lähmend. Diese neue alte Lage ist eine Herausforderung für unsere Wahrnehmungs- und kulturelle Gestaltungskraft! Bedenken wir: Der Reichtum der österreichischen Kultur erwuchs wesentlich aus den Begegnungen und Auseinandersetzungen der verschiedenen Traditionen und Kräfte in der Mitte Europas! Verspätete Integration in die „Baustelle Europa" Zweitens bringt die verspätete Integration in die „Baustelle Europa" schmerz liche Umstellungs- und Anpassungsprozesse mit sich. Erinnern wir uns: Schon vor rund 30 Jahren wollte sich Österreich an der europäischen Integration beteiligen, aber damals scheiterte dies am sowjetischen „Njet". In der Zwischenzeit ist in den Stammländern der Europäischen Union das Zusammenwachsen schrittweise erfolgt, bei uns geht es jetzt für viele bisher geschützte Bereiche schockartig schnell. Es kommt noch dazu, daß die politisch Verantwortlichen die Menschen darauf nicht vorbereitet haben. Man hat - wie in der Wirtschaftswerbung üblich - nur die Vor teile herausgestellt und den Aufwand, das Schwierige verschwiegen. Es geht dabei gar nicht nur um den Wirtschaftsbereich, sondern um schwierige Umstellungen im Bewußtsein, im Empfinden, Denken und Handeln insgesamt, um eine Umstellung

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