OÖ. Heimatblätter 1997, 51. Jahrgang, Heft 3/4

angesprochene Kriterium ist die Harmo nik. „Daß Anton Bruckner einer der reichsten und vielfältigsten Harmoniker der nachwagnerschen Zeit gewesen ist, bedarf wohl keines Be weises, läßt sich jedoch mit Worten allein schwer belegen. Er vertritt die österreichische, in der phantasievollen Auszierung, Ausschmückung und Umdeutung der Hauptstufen durch stell vertretende Klänge als Träger der gleichen ,Funktion' im besondern wienerische Seitenlinie der Richtung des deutschen Zeitgenossen ... Nach dem Gesagten wird sich der Leser bereits eine ungefähre Vorstellung von Anton Bruck ners musikalischem Osterreichertum machen können ... Musikösterreichertum ist ein Syn onym für Qualität ..Und in konkretem Bezug auf Bruckner: Es sei hier „vorerst die Leichtigkeit des technischen Handgelenks zu rühmen, die mit Grazie einen Einfall zu Papier bringt, um dessen Gestaltung sich andere ver geblich bemühen - eine typische Ligenart des österreichischen schöpferischen Musikers, der mit seinen Gaben verschwenderisch um sich wirft ..Weiters sei Bruckner auch ein Musterbeispiel für einen „im Gefühl für musikalische Architektonik verankerten forma len Ordnungssinn, der den Österreicher aus zeichnet ..besitze „drittens den Sinn für Farbnuancen und Wohlklang", der „Ausdruck einer Gemütstiefe sei, die den Österreicher für die Musik besonders befähigt". Und voller Genugtuung schliefst der Autor seine Analyse: Es könne „gesagt werden, daß An ton Bruckner das Spiel gewonnen" habe, er beginne „volkstümlich zu werden, zum Natio nalheros österreichischer Musik emporzusteiSoweit der unbekannte Verfasser über Anton Bruckners österreichische Sendung im neu erstarkenden österreichischen Nationalgefühl, für das es gelte, „das Selbstbewußtsein zu stärken, das Gefühl des Stolzes auszulösen, Angehöriger des Volkes zu sein, dem als einer der Größten im Reich der Tonkunst Anton Bruckner angehört". Nichts liegt mir ferner, als die vor 50 Jahren gewilS brennend notwendige päd agogische und therapeutische Absicht solcher Worte abwerten zu wollen. Die Lauterkeit dieser Absicht, nämlich die Wunden eines jahrelang geknechteten Landes zu verbinden, verdient unsere Achtung und unseren Respekt. Dennoch ist die darin enthaltene Vereinnahmung Anton Bruckners vom fachlichen Stand punkt aus nicht haltbar. Diese illegitime Vereinnahmung widerfährt jedoch nicht nur Bruckner, sondern auch anderen Meistern und ihren Werken, so gleich zu Beginn des Aufsatzes Joseph Haydn und seiner Kaiserhymne, in der der Autor „Ernst, Feierlichkeit und Würde der Mensch heitsidee" und einen typischen „wieneri schen Charme" hört. Diese Hymne ist, wie wir inzwischen wissen, eine sogenannte „wandernde Melodie"ß ich selbst entdeckte sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts in ei ner Sammlung von Lautenstücken Jac ques de Saint Lucs, des Hoflautenisten Prinz Eugens,^ der sie vielleicht auf ei nem der Kriegszüge „eingefangen" hatte. Er gab dem Stück den Titel Pour endormir les enfants (Um die Kinder einzuschläfern). Auch bei Bruckner ist die gewalt same Vereinnahmung für einen engum schriebenen regionalen musikalischen Ausdruckscharakter nicht haltbar. Eine Für genauere Angaben sei auf das Buch Franz Grasbergers, Die Hymnen Österreichs. Tutzing 1968, verwiesen. ^ Genaueres zu Person und Werk Saint Lucs in: Elisabeth Maier, Die handschriftlich überliefer ten Tabulaturen für Lauteninstrumente des 17. und 18. Jahrhunderts aus dem Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek mit dem Wiener Lautenbuch des Jacques de Saint Luc (mschr. Diss., Wien 1972).

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