OÖ. Heimatblätter 1997, 51. Jahrgang, Heft 3/4

Volkstümliche Elemente in der Musik des 19. Jahrhimderts oder Anton Bruckners „Musikösterreichertum" * Von Elisabeth Maier Im Jahr 1946, in einer Zeit, da auch die Kunstwissenschaften nach Kräften am Aufbau einer neuen österreichischen Idenhtät mitzuwirken trachteten, ver faßte ein mir bis dato unbekannt geblie bener Autor^ unter dem Titel Anton Bruckners österreichische Sendung einen Vor trag, aus dem ich das Folgende zitieren darf: . Alle tragfähige und formhildende, auch die in kühne Chromatik eingebettete und noch so komplizierte Melodik geht in ihren letzten Wur zeln wohl auf die Sangharkeit und Ausdrucks kraft des Volksliedes zurück... Die bezaubernde Art, in der der Burgenländer Joseph Haydn die musikalische Seele der österreichischen Land schaft in Klängen eingefangen hat, ist zum un veräußerlichen Besitz der gesamten Menschheit geworden. Das ,Kaiserlied', in dem Ernst, Feier lichkeit und Würde der Menschheitsidee mit dem beispiellosen Charme wienerischer Melo dieerfindung eine mustergiltige Ehe eingegangen sind, ist eine ,Volkshymne' in des Wortes edel ster Bedeutung geworden .. Nach einer kurzen Skizzierung des „verschmitzten Auges" des „wienerischen Schalks" Mozart, der „sein melodisches Sub strat aus dem Volkslied bezieht", nach der „symphonischen Vertiefung des Volksliedes" bzw. der „Vervolkstümlichung (und damit Po pularisierung) des symphonischen Elementes" bei Ludwig van Beethoven fährt der un bekannte Autor fort: „Bleibt noch Franz Schuberts zu gedenken. Es ist, als wollte sich das Musikösterreichertum mit fortschreitender ge schichtlicher Entwicklung verstärken. Er ist der wienerischste von den Vieren, hat nicht nur aus dem Born des Volksliedes geschöpft, sondern ihm durch seine eigene Erfindung neue Quellen erschlossen. Dadurch vermochte seine Musik das Verständnis aller empfindsamen Österrei cher zu erringen .. Soviel zu Bruckners künstlerischen Vorfahren, nun zu Bruckner selbst: Der uns unbekannte Autor nimmt eine Un tersuchung von, wie er sie nennt, „Anton Bruckners typisch österreichischen Schöpfer merkmalen" vor und wendet sich zunächst der Melodiebildung zu, bei der er The men „streng symphonischen Charakters" und solche mit „rhythmisch-tänzerischer Grund haltung" unterscheidet. Beide Gattungen seien jedoch innerlich untereinander ver bunden und bildeten ein „stilistisch unteil bares Ganzes".^ Die großen Melodiebögen Bruckners seien „volksliedhafte Eingebungen im besten Sinn des Wortes", indem sie „moti vische Sangharkeit mit höchster Kunstform des Satzbaues in sich vereinigen". Das nächste * Überarbeitete Fassung eines Vortrages beim Symposium „Anton Bruckner und die Volks musik", veranstaltet von der Stadtgemeinde Vöcklabruck und vom Institut für Volkskultur am 14. September 1996. ' Das erhalten gebliebene Maschinskript ist unsigniert. ^ Gemeint ist damit wohl die bei Bruckner so häufig auftretende Substanzgemeinschaft.

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