Physiologus zurück: die Löwen verwi schen damit ihre Spuren, damit der Jäger nicht zu ihrer Wohnung findet. Sol und der Schlangenbiß Sei, die Sonne (Abb. 6), ist eine ge krönte Gestalt, die auf einem Stab eine goldene Scheibe mit Gesicht und Strah len hochhält. Das Rad ihres Wagens zeigt einen Löwen, als Zughere dienen zwei Schimmel. Sie verkörpert unter an derem die rechte Erkenntnis, den Sieg und den Glauben. Auf der Erde kriecht eine Schlange, die eben im Begriff ist, einen nackten Mann in die Ferse zu beißen. Der Mann versucht zu fliehen. Links daneben steht ein anderer, bekleideter Mann, der mit Zeichen der Verwunderung auf die Schlange blickt. Wiederum ergibt sich die Deutung aus dem Physiologus: die Schlange verfolgt den nackten Men schen, den Sünder, während sie den Be kleideten flieht. Allerdings ist die häufi gere Version gerade umgekehrt: übli cherweise greift sie den Bekleideten an und läßt den Nackten in Ruhe. Als nicht recht treffendes Beispiel diente Adam, dem die Schlange nichts anhaben konnte, solange er unschuldig war, und den sie biß, als er sich mit der Sünde be kleidete. Vielleicht können wir gerade aus dieser Szene entnehmen, daß Auf traggeber und Künstler sich bei den Bil dern Gedanken machten und die Bei spiele aus der Tierwelt nicht ungefragt übernahmen. Adam war ja nackt, als er die Sünde beging. Außerdem mochte es schicklicher erscheinen, den Nackten als den Gefährdeten hinzustellen. Dabei sei darauf hingewiesen, daß die Züge des bekleideten Mannes denen des Abtes Wasner auf einem Gemälde gleichen, von dem später noch die Rede sein wird. Wenn dies der Fall ist und es nicht bloß auf eine gewisse Schematisierung der Gesichtszüge zurückzuführen ist, dann mag sich der Abt hier als der Gerechte hingestellt haben, dem das Böse nichts anhaben kann. Der Bezug zu Sol mag darin liegen, daß man in dem bekleide ten Menschen den Gerechten, Gläubi gen zu sehen hat, der über die rechte Er kenntnis verfügt. Venus und die Schlange Venus (Abb. 8) ist eine prunkvoll ge kleidete Dame, die ein Szepter in der fiand hält, doch kann man das Attribut auch als Liebespfeil deuten. Vor ihr steht der blinde, bogenschießende Amor, ein geflügeltes Kind, auf dem Wagen, sie hält ihn sozusagen an der Leine. An den Wagenrädern sind Waage und Stier ab gebildet. Das Gefährt wird von einem Taubenpaar gezogen, den Vögeln der Liebe. Venus steht für die angenehmen Seiten des Lebens, für Genuß und Schönheit. Am Erdboden ist eine Schlange zu sehen, die durch eine Kluft zwischen zwei Steinen kriecht und dabei ihre Haut abstreift. Der Physiologus weiß, daß die alt gewordene Schlange ihre Haut durch Fasten runzelig macht und sie dann ab streift, indem sie durch ein enges Loch kriecht. Dadurch verjüngt sie sich. So soll der Mensch das Kleid der Sünde ab streifen. Die sich häutende und verjüngende Schlange paßt zur Göttin der Schönheit. Den Hintergrund bildet die obligate Landschaft mit Felsen und Gewässer, diesmal ausgestattet mit einer Einsiede lei. Daß sich die Schlange auf das Wasser zu bewegt, könnte eine weitere Physiologus-Weisheit illustrieren: Wenn das Tier trinken will, legt es zuvor sein Gift in ei-
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