OÖ. Heimatblätter 1997, 51. Jahrgang, Heft 3/4

Aber man wird sich trösten müssen, daß dies wohl nie anders der Fall sein wird und wohl auch nicht wünschenswert ist. Erstens soll auch für spä tere Generationen noch historische Arbeit blei ben, und zweitens sind die „erschöpfenden" Dar stellungen meist nicht so attraktiv und nicht so gut lesbar wie die vorliegende. Erwin M. Ruprechtsberger hat in höchst kompetenter Weise die antike Geschichte der Stadt beigesteuert, schon das Gestaltungsprinzip des ganzen Bandes vorgebend, nämlich ein Bild der Gesamtentwicklung der Region und der Zeit plastisch vor Augen treten zu lassen: von der poli tischen Geschichte über die Religionsgeschichte bis zur Alltagsgeschichte. Der Rezensent, selbst nur interessierter Leser der antiken Geschichte und nicht selbst in diesem Bereich aktiv for schend, kann nur zusammenfassen, daß man rö mische Provinzialgeschichte selten so spannend aufbereitet vorgesetzt erhält. Was den von Willibald Katzinger beigesteu erten Mittelalterteil betrifft, so besticht er durch seine originelle Einordnung in den allgemeinen Verlauf der österreichischen Geschichte. Willibald Katzinger referiert nicht, er interpretiert, und dies auf höchst eigenständige Weise. Dies bedingt, daß sich durchaus unterschiedliche Einschätzungen und fachliche Kontroversen daraus ergeben kön nen. Aber man hat nach der Lektüre das befriedi gende Gefühl, nicht nur die Geschichte einer Re gion nunmehr besser zu verstehen, sondern auch zum Weiterdenken und Weiterforschen angeregt zu werden. Von Johannes Ebner stammt die Darstellung der Ennser Geschichte in der Frühneuzeit: Auch Ebner bemüht sich, Enns in den Kontext der allge meinen Entwicklung einzuordnen. Neues erfährt man über die Ennser Donaubrücke, über die Ge genreformation in Enns, über Versuche von Indu strieansiedlungen. Ein kleines Beispiel aus der Fülle von neu sich ergebenden Fragestellungen sei aufgeworfen: Die von Johannes Ebner auf Seite 187 angeführte Wiedertäufergemeinde „in einer Taverne in Moos bei Enns" wird von der diesbe züglichen Forschung bislang in der Regel als „Ta verne am Moos" bei Weyer an der Enns lokali siert, die als ein Zentrum der Wiedertäufer galt. Ob hier eine Lokalisierung auch bei den Bauern in Moos bei Enns (etwa dem Espelmayrhof) möglich ist, wäre von der Forschung weiter zu prüfen. Die Ennser Geschichte im 19. und 20. Jahr hundert wird von Willibald Katzinger als Lehr stück vorgeführt, wie eine Stadt Chancen ver säumt und wie trotz hervorragender Standortbe dingungen und historischer Startvorteile kaum eine industrielle Entwicklung und kaum eine kul turelle Zentralortbildung eingetreten ist. Enns hat als „älteste Stadt" Österreichs bis heute keine hö here Schule. Enns hat kaum Unternehmer. Die Ennser Sparkasse geriet in der Zwischenkriegszeit in den Strudel der Bankenzusammenbrüche und hinterließ der Stadt einen riesigen Schuldenberg. ParadigmaHsch ist auch die Geschichte der Ennser Verkehrssituation: Enns erhielt zwar im Unter schied zu Steyr einen Westbahnanschluß, als Ver kehrsknotenpunkt machte ihm aber St. Valentin bald den Rang streitig. In dieses Kapitel gehört auch, daß Enns im Unterschied zu Steyr, Gmunden oder Linz erst mit mehr als zwanzigjähriger Verspätung in das Zeitalter der Elektrizität eintrat. Erst in der letzten Sitzung des Jahres 1918 be schloß der Stadtrat die Einführung der elektri schen Beleuchtung. Noch zu Beginn des 20. Jahr hunderts wurden die Stadtkanzleien mit Kienspä nen beleuchtet. Dann führte man im ersten Jahr zehnt des 20. Jahrhunderts, als längst überall die Elektrizität triumphierte und ihr die Zukunft ge hörte, eine Gasbeleuchtung ein. Erst im Mai und Juni 1919 war es dann soweit, daß elektrisches Licht im Stadtamt und in einigen innovationsfreu digen Gast- und Kaufhäusern eingeleitet werden konnte. Katzinger bietet für das Enns des 19. und 20. Jahrhunderts viele neue und informative Ein blicke: die Geschichte der Ennser Zuckerfabrik, des Lagerhauses, der Molkerei, die Geschichte der Gablonzer, des Sparkassenzusammenbruchs etc. Allerdings hätte es auch Betriebe gegeben, über die man gern mehr erfahren hätte: Etwa über die Geschichte der Firma Eisenbeiss oder auch über das mißglückte Projekt der Industrieansiedlung von Betrieben der Chemie Linz im Ennser Raum, die von Katzinger nur unter dem in den Zeitun gen extensiv abgehandelten Aspekt der Umwelt problematik und der Bürgerinitiativen angespro chen wird. Es zeigt sich auch am Beispiel dieser Ennser Stadtgeschichte, daß die österreichische Stadtge schichtsforschung den Umgang mit neueren und neuesten Entwicklungen methodisch wie inhalt lich nicht so sicher im Griff hat wie den mit der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Situation.

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