Große Perspektive - menschliches Tempo und Maß Alles im Umbruch - das macht uns zu schaffen, der große Schwung ging verloren, die Stimmung ist labil. In dieser Lage ist volkskulturelle Arbeit schwieriger geworden, aber nicht weniger wichtig! Es geht da auch um eine Neuorientierung. Erinnern wir uns, etwa bis in die sechziger und frühen siebziger Jahre herrschte ein zuversichtlicher Glaube an grenzenlosen Fortschritt, alles schien erreichbar durch den Einsatz von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Viele Ziele wurden erreicht, erreichte Ziele aber bewegen nicht mehr. Die rasante Steigerung des Einsatzes von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft hat uns bewußtgemacht, daß sie neben wün schenswerten auch genug negative Wirkungen und Risiken mit sich bringen. Der grenzenlose Fortschrittsglaube wurde mittlerweile von Skepsis abgelöst, zum Teil sieht man in den bisherigen Instrumenten erhoffter grenzenloser Befreiung die Aus löser apokalyptischer Zerstörung. Von einem Straßengraben in den anderen zu fah ren, ist aber kein Fortschritt. Vielmehr geht es um eine fällige Relativierung und Wei terentwicklung der typisch neuzeitlichen Einstellungen: von unterscheidungsfähi gen Menschen gesteuert, leisten Wissenschaft, Technik und Wirtschaft wertvollste Dienste. Die Lösung aller Probleme, völlige Befreiung, Unsterblichkeit, läßt sich aber nicht durch menschliche Leistung, auch nicht mit höchstentwickelter Wissenschaft, Technik und Wirtschaft erzwingen. Es gilt, wie oben skizziert, auch den ganz anderen humanen Dimensionen wie Mitmenschlichkeit, Schenken und Empfangen, dem Unverwaltbaren und Unverzweckbaren Raum zu verschaffen und sie entsprechend zu pflegen. Weiters ist wahrzunehmen, daß auch Grenzen, Unverfügbares, Schwäche, Leid, Altern und Sterben wesentlich zu unserem Leben gehören. Verdrängen, Verschleiern, Kompen sieren hilft nicht, sondern schadet. Unsere Ghance und Aufgabe ist vielmehr, diese pathischen Elemente und Dimensionen anzunehmen und in eine wahrhaft humane Lebenskultur zu integrieren. Recht betrachtet, ist das Begrenzte durchaus nicht minderwertig, sondern kostbar. Denken wir zur Veranschaulichung etwa an Wasser; Solange man es unbe grenzt, im Uberfluß hat, schätzt man es nicht besonders, vergeudet es oft gedanken los. Wenn Wasser knapp wird, lernt man es schätzen und pflegt einen sorgfältigen, kultivierten Umgang damit. In der Wüste ist ein Becher Wasser kostbarer als Gold. Analoges gilt für alle Güter des Lebens. Die Wahrnehmung der Begrenztheit kann also Kultivierung geradezu stimulieren. Illusionäre Grenzenlosigkeit verführt zu Leichtfertigkeit, Vergeudung und Zerstörung. Nutzen wir die Ghance, an Grenzen qualitativ zu wachsen und zu reifen! Mit dem Hinweis auf das Begrenzte als menschliches Maß komme ich zum Schluß: Ich habe „das Ganze", die schwierigen Anspannungen unserer aktuellen Lage als Aufgabenstellungen für volkskulturelle Arbeit vor Augen gestellt. Das könnte „Fernzielbeklemmung", Lähmung, verspannte Gesichter bewirken. Ich bin überzeugt, wir brauchen den Blick auf die großen Horizonte und umfassenden Auf gabenstellungen. Ohne sie wären wir irrelevante „Zwergerl" am Rand. Und ohne
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