ten das Vermögen der Sprache verloren. Fast alle waren nackt, die robusteren Männer stießen die schwächeren Weiber in die Aasflut, wo sie, von den Ausdün stungen betäubt, untergingen. Der große Platz glich einer gigantischen Kloake, in welcher man, mit letzter Kraft, einander würgte und biß und schließlich veren dete. - Verrenkte Arme und Beine, ge spreizte Finger und geballte Fäuste, ge blähte Tierbäuche, Pferdeschädel, zwi schen den langen gelben Zähnen die wulstige blaue Zunge weit vorgestreckt, so schob sich die Phalanx des Untergan ges unaufhaltsam vorwärts. Greller Lichtschein flackerte und belebte diese Apotheose Pateras.' Patera ist tot." Deutungen hatte „Die andere Seite", wie gesagt, vor jener Andreas Geyers, S. 92 ff., nach vielen Richtungen provo ziert: Ernst Jünger sah darin ein Spiegel bild des Absterbens der Habsburger monarchie, die Überwältigung einer müde gewordenen Kultur durch den „Amerikanismus", einer ausschließlich am Geldverdienen orientierten Zivilisa tion. Auch eine psychoanalytische Deu tung konnte nicht ausbleiben. Eine subtile und sich mit Ernst Jün gers intuitiver Auffassung der „Anderen Seite" deckende Interpretation gibt Wer ner Hofmann (Fundstelle bei Geyer, S. 93, Fn. 10): So wie die Habsburger monarchie in ihren letzten Jahren schon wegen der auseinanderstrebenden Na tionalitäten ohnmächtig war und sich daraus aufbäumend durch die 1908 voll zogene Annexion Bosniens und der Her zegowina zu befreien suchte, so ent sprach sie dem Traumreich Pateras. Und der Tod des greisen fernen Kaisers Franz Joseph verwob sich mit dem Ende der Monarchie so wie der Untergang des Traumreiches mit dem Tod Pateras. Das Bemerkenswerte an der „Ande ren Seite" sei, so Jünger, daß hier ein Tastvermögen von empfindlichster Fein heit, lange bevor ein „Zauberberg" ge schrieben wurde, den langsamen Angriff der Verwesung, ihr unterirdisches Krie chen erfaßt, ihre auflösende Unerbitt lichkeit, ihre Schauder, ihre Visionen, ihre verräterische Süßigkeit. In der „Stu die zum Untergang der bürgerlichen Welt", als die Jünger im Vorwort zu „Blät ter und Steine" seinen 1931 erschienenen Aufsatz „Die Staubdämonen" charakteri siert, geht er ausführlich auf Kubins zeichnerisches Werk ein und wiederholt darin die Diagnose, die er aus der „An deren Seite" gezogen hat: „Kubin er kennt am Untergang der bürgerlichen Welt, an dem wir tätig und leidend teil nehmen, die Zeichen der organischen Zerstörung, die feiner und gründlicher wirkt als die technisch-politischen Fak ten, die auf der Oberfläche angreifen."' Jüngers frühe Schriften nach „In Stahlge wittern" hatten ihn in nationale Kreise geführt. Hitler bietet ihm schon 1927 ein Reichstagsmandat für die NSDAP an. Jünger lehnt ab. Mit dem Erscheinen des „Abenteuerlichen Herzens" 1929 nähert sich die politische Agitation Jüngers ih rem Ende und wird durch eine Art magi scher Zeit- und Kulturkritik abgelöst, „Magisch": Das meint das Einfließen ei ner Traumwelt in die Realität. Es ist die Atmosphäre, die Jünger in den „Staub dämonen" am zeichnerischen Werk Ku bins so eindringlich wie kenntnisreich beschrieben hat. Kubin fällt dabei Jün gers „magischer Tiefblick" auf und seine ^ Wie Anm. 2, S. 117.
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