OÖ. Heimatblätter 1996, 50. Jahrgang, Heft 1

hierher geschafft und in ihrer alten Ord nung wieder aufgebaut. Das Mobiliar entspricht diesen Wohnungen - Großvä terhausrat, aus allen Ecken und Enden der Weit zusammengesucht, wurmsti chig, zerschlissen, verstaubt - so wie man es liebt, wenn man, von verblaßten Farben und unbestimmten Gerüchen umgeben, sich seinen Träumereien hin geben will. Träumer sind es auch, die in dieser Stadt, die stets von dichten Nebeln um schlossen ist, von einem mächtigen We sen, Patera genannt, versammelt worden sind, fiöchst sensible Naturen, Dämme rungswesen, absonderliche Spezies der Gattung Mensch, wie sie am Ende alter, verbrauchter Familien aufzutreten pfle gen, verschrobene Rentiers, verwelkte Lebemänner, hysterische Frauen, man nigfaltige Gestalten, die von Goya, Daumier, Dore oder Felicien Rops gezeichnet sein könnten, bilden eine Gesellschaft, die äußerlich vielleicht nicht sonderlich von der einer kleinen Provinzstadt ver schieden ist. Nur tritt das Unsinnige ei nes verbrauchten und stockig geworde nen Lebens, die durch den Mangel an Aufgaben und Werten hervorgerufene Verantwortungslosigkeit, das Grauen volle einer zufällig gewordenen Existenz deutlicher hervor. Das kündet sich an, indem die anfänglich noch vorhandene Wirklichkeit des Lebens immer tiefer in den trügerischen Abgrund des Traumes versinkt. Die Grenzen der Persönlichkeit, die sittlichen und gesellschaftlichen Werte lösen sich auf. Das Zufällige dringt zerstörend in jede Zelle ein, der Raum verwischt sich, die Zeit ver schwimmt, das Nebensächliche und selbst das Läppische wird bedeutungs voll. Der Dämon dieser seltsamen Land schaft ist Patera, ein mächtiger Geist, dessen Kraft das Leben der Traumstadt speist. Das Leben der Menschen ist ein Traum, den Patera in hunderttausend Gestalten träumt. Aber dieser regierende Geist ist krank, und in demselben Maße, in dem er verfällt, breitet sich in der Stadt das Chaos aus. Die eigentliche Leistung des Romans besteht nun darin, daß die Erkrankung und das Absterben einer überpersön lichen Macht bis in die kleinsten Einzel züge des ihr unterworfenen Lebensge bietes hinein verfolgt und sichtbar ge macht wird. Selbst die unbelebte Mate rie ist diesem rätselhaften Prozeß unter worfen, so treten in den Gebäuden Risse und Sprünge auf, Möbel und Bücher zerfallen zu Mehl, gewebte Stoffe lösen sich in einen feinen Schimmel auf. Gleichzeitig teilt sich gesellschaftlich die Traumstadt langsam in eine Vielheit an archistischer Individuen auf, die den noch durch die Tatsache verbunden sind, daß sie gemeinsam, jeder auf seine Art, demselben Untergang zutreiben. Zuweilen werden alle blitzarhg zu Bo den gestreckt: Patera hat einen Anfall ge habt. Gut wird geschildert, wie fast bis zuletzt die gesellschaftlichen Formen be stehen bleiben, nur füllen sie sich mit im mer phantastischeren Inhalten aus. End lich erfolgt der absolute Zusammen bruch; ,Von dem hochgelegenen französi schen Viertel schob sich langsam wie ein Lavastrom eine Masse von Schmutz, Abfall, geronnenem Blut, Gedärmen, Tier- und Menschenkadavern. In diesem in allen Farben der Verwesung schillern den Gemenge stapften die letzten Träu mer herum. Sie lallten nur noch, konn ten sich nicht mehr verständigen, sie hat-

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