wegen „Wehrunwürdigkeit" aus der Wehrmacht entlassen, Hitler persönlich bewahrt ihn vor dem Volksgerichtshof Freislers. Jüngers Sohn fällt gegen Kriegsende. Seit 1950 lebt Jünger in Wilflingen in der Schwäbischen Alb in einem Forsthaus der Familie Stauffenberg. Hier findet er die ihm gemäße Le bensart. Er zitiert Thomas von Kempen: „Nirgendwo fand ich tieferen Frieden als in Wäldern und in Büchern." Nach dem Krieg zunächst Publikationsverbot. Ab 1949 erscheinen zahlreiche Werke, etwa das Kriegstagebuch „Strahlungen", „Eumeswil" und die Tagebücher „Siebzig verweht I-IV", in dessen dritten Band er - am 9. Jänner 1984 - Kubins „Andere Seite" als „epochalen Roman" bezeich net. Als Jünger 90 Jahre alt ist, erscheint noch „Eine gefährliche Begegnung", eine Erzählung - vielleicht ein kleiner Krimi nalroman -, die mit der Novellenkunst Kleists verglichen wird. Zu seinem 100. Geburtstag ergießt sich eine wahre Flut von Publikationen über ihn und sein Werk. Während Kubin - den fast um zwanzig Jahre Alteren - die unbestrit tene Aura der Anerkennung umweht, gilt bereits für Ernst Jüngers Lebzeiten, was Schiller von Wallenstein geschrie ben hat: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakter bild in der Geschichte." Wie kam es zur Begegnung dieser scheinbar so ungleichen Künstler? Sie war zunächst eine briefliche. Ernst Jün ger übersandte im Februar 1921 Kubin ein kleines Gedicht zu dessen Feder zeichnung „Der Mensch'V deren An blick ihn erschütterte: „eine nackte Ge stalt, die mit fliegendem Haar auf einem Spiralband hinabfährt, dessen Anfang und Ende im Dunkel verborgen sind". Hier fand Jünger „die persönliche und die politische Ungewißheit in eine hö here und unabänderliche eingebettet, die sich stärker und doch auch tröstlicher empfinden ließ."^ Auf jenes Gedicht be zieht sich Jünger, als er Kubin acht Jahre später im Brief vom 10. Februar 1929 mitteilt, er möchte einen Aufsatz über Kubins leider zuwenig bekanntes, von ihm sehr geschätztes Buch „Die andere Seite" schreiben. „Und zwar möchte ich vor allem von dem Gedanken dabei aus gehen, daß Sie hier gleichsam seismo graphisch ein Bild entscheidender Vor gänge unserer Zeit vorgezeichnet ha ben." Im Herbst 1937 besucht Jünger Ku bin in Zwickledt. Das ist dokumentiert in dem von Jünger 1975 - gut 15 Jahre nach Kubins Tod - herausgegebenen Briefwechsel. In dem an den Briefwech sel anschließenden „Rückblick" erinnert sich Jünger, daß im August 1914 in den Schaufenstern der Buchhandlungen die berühmt gewordene Federzeichnung Kubins mit dem Titel „Der Krieg" er schienen war. Diese Zeichnung ent stammt einer bereits im Jahre 1903 veröf fentlichten Mappe, war also nicht durch das aktuelle Ereignis inspiriert. Jünger beschreibt das Bild wie folgt: „Da war ein Heer mit Fahnen und Lanzen, in ameisenhafter Verkleinerung sich kaum vom Boden abhebend. Ihm gegenüber ein turmhoher Koloß mit Helm und Schild homerischer Helden, ^ Josef Demmelbauer, „Es ist ein nüchterner Tag über der Welt angebrochen". Warnung bei Hammerstein, Ahnung bei Hofmannsthal, Angst bei Kubin, Zuversicht bei Gertrud Fussenegger. In: OO. Heimatblätter, 47. Jg., H. 2., 1993, S, 132 f. ^ Ernst Jünger - Alfred Kubin, Eine Begegnung (1975), S. 102.
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