OÖ. Heimatblätter 1996, 50. Jahrgang, Heft 1

Wie die Tabelle zeigt, wich Oberösterreich damit deutlich vom Durchschnitt der österreichischen Reichshälfte ab: der Anteil der Betriebskassen war hier unge wöhnlich niedrig, sowohl bei der Anzahl der Kassen als auch der Mitglieder, die Anzahl der Vereinskassen entsprach dem österreichischen Durchschnitt, bei den Mitgliedern übertraf Oberösterreich aber den Durchschnitt um das 2,5fache. Die Erklärung für dieses beachtliche Ergebnis zugunsten der Vereinskassen ist wohl in der bereits dargestellten fialtung der Gebrüder Werndl in Steyr zu finden. Im Jahr 1889 feierte die Linzer Vereinskasse ihr zwanzigjähriges Bestehen. Dieses Ereignis fiel zeitlich zusammen mit einem historischen Datum in der Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung, dem Einigungsparteitag der Sozialdemokratie in fiainfeld zur Jahreswende 1888/1889. Die Linzer Arbeiterbewe gung war an diesem Wendepunkt durch Anton Weiguny in hervorragender Weise beteiligt. Weiguny war sozialpolitischer Referent des Parteitages, aus seiner Feder stammten die Aussagen der Partei zur eben einsetzenden staatlichen Sozialpolihk.^" Er brachte darüber hinaus den Standpunkt der Sozialdemokratie zu den sozialpoli tischen Vorstellungen der Liberalen und Christlich-Konservativen zum Ausdruck. Diese prominente Rolle Weigunys dürfte sich wohl nicht zuletzt auch in der langjäh rigen Erfahrung seines Bruders in der Linzer Vereinskasse begründet haben: Josef Weiguni stand seit 1887 bereits zum zweiten Mal als Obmann (nach 1883) an der Spitze der Kasse. Noch ein zweites historisches Datum traf ebenfalls mit dem Vereinsjubiläum zusammen, die Einführung der Sozialversicherungs-Stammgesetze. Die Jahre unmittelbar vor der Inkraftsetzung des Krankenversicherungsgesetzes brachten die Linzer Kasse dann auch in nicht ganz unerwarteter Weise erhebliche Mitgliederzu wächse. Von 1888 bis 1890 stieg die Mitgliederzahl von 8.672 auf 10.630 und durch brach damit die Schallmauer von zehntausend. Erheblichen Anteil an dieser Ent wicklung hatten die seit der zweiten Novelle zur Gewerbeordnung bestehenden Gewerbeinspektorate, die den Versicherungspflichtigen Unternehmen grundsätzlich die freien Vereinskassen empfahlen.Diese Haltung der Gewerbeinspektorate reflektierte nicht nur den guten Ruf, den die Vereinskassen bei unvoreingenomme nen Beobachtern hatten, sie war darüber hinaus auch ein impliziter Hinweis auf die personelle Zusammensetzung der Inspektorate: einer der prominentesten der damaligen Inspektoren war bekanntlich Victor Adler. Das Krankenversicherungsgesetz wurde im Frühjahr 1888 beschlossen und im Sommer 1889 in Kraft gesetzt. Diese vergleichsweise lange Frist sollten die beste henden Krankenversicherer nutzen, um sich den neuen rechtlichen Bestimmungen Klaus Berchtold (Hrsg.), Österreichische Parteiprogramme 1866-1966. Wien 1967, 137tf, Festschrift Arbeiterkrankenkasse, 10 ff.

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