OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 4

Gewordene mußte von Haus zu Haus ziehen und konnte der Reihe nach in jedem der Häuser der Gemeinde für ein paar Tage Kost und Quartier beanspruchen. Ein Gefühl von Geborgenheit und „Heimat" konnte da schwerlich entstehen. Bis 1938 kannte das österreichische Recht das von der jeweiligen Geburtsgemeinde ausge stellte Heimatrecht. Nach 1945 wurde es durch eine einheitliche Staatsbürgerschaft und ein alle Staatsbürger erfassendes soziales Netz ersetzt. Mit der Seßhaftigkeit verschmolzen Mensch und Boden, Haus und Hof, Bürgerrecht und Bürgerhaus. Die Heimat entstand aus dem Besitz von Haus und Boden. Die Besitzlosen waren von vornherein heimatlos und fremd. Die Bedrohung für die Besitzenden kam zuvorderst von den Besitzlosen, von den nicht Seßhaften, von den Durch- und Zuwanderern, von den „Zigeunern" und „Juden", von den Unbekannten und Unbehausten, aber auch von den Städtern und Kapitalisten, von den Lohnarbeitern und Proletariern. Heimatlose Gesellen Man braucht nur Peter Roseggers Bauernromane und Heimaterzählungen zu lesen, um genug zu erfahren von dem als bedrohlich empfundenen Einbruch der „städtischen Kapitalisten" in die „ländliche Waldheimat". Das Kapital hat tatsächlich etwas Vaterlandsloses und Grenzüberschreitendes an sich. Es kennt keine Grenzen. Es unterscheidet sich vom Boden eben durch die Mobilität, sowohl durch die Beweglichkeit im Raum wie durch die Möglichkeit der Vermehrung und Akkumula tion über die Zeit hinweg. Schon Adam Smith beschrieb die Kapitalisten als Kosmo politen, die keiner Nation Bürger sind. Dem „Finanzcosmopoliten" sei es gleichgül tig, ob er an diesem oder an einem anderen Orte wohnt, heißt es in dem vielbändi gen Lexikon, das von Johann Georg Krünitz um die Wende vom 18. zum 19. Jahr hundert herausgegeben wurde. Franpois Quesnay, der Begründer der ökonomi schen Denkschule der Physiokraten, sah in den Kapitalisten Leute, „die weder König noch Vaterland kennen". Greift man zum Kommunistischen Manifest, das Karl Marx und Friedrich Engels 1848 herausgaben, so kann man auch dort deutlich diese Vorstellung vom Verlust der Heimat durch den Kapitalismus herauslesen: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhält nisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpfen, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen, als das nackte Interesse, als die gefühllose bare Zahlung ..." Man möchte fast meinen, Marx und Engels weinten hier dem Feudalismus eine dicke Träne nach. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte auch Wilhelm Heinrich Riehl, einer der führenden konservativen Publizisten des deutschen Bürgertums und einer der Begründer der Volkskunde, die Vorstellung von der Heimatlosigkeit von den Kapitalisten auf die Proletarier über tragen.

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