OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 4

Sind hier Chancen enthalten, über die Verirrungen, die mit dem Mißbrauch des Heimatbegriffs so häufig verbunden waren, hinauszukommen, oder fordert Hei mat neuerlich tragischen Tribut? Werden hier politische Lösungen geboten, die durch die Nähe zu den Betroffenen Kompetenz und rasche Entscheidung, fern von den langen Wegen der Zentralbürokratien, mit sich bringen, oder entsteht ein neuer Kirchturmshorizont, der die gewählten Entscheidungsträger letztlich völlig immobil macht? Wird die multikulturelle Gesellschaft der Regionen Wirklichkeit, oder geht neuerlich das Gespenst des Nationalismus um, blutig und unmittelbar vor unseren Augen auf dem Balkan, etwas verhaltener im ehemaligen Ostblock, unter der Decke auch im Westen und wenig wahrgenommen, aber nicht weniger massiv, in der Drit ten und Vierten Welt? Heimat und Fremde Eine Vielfalt von Bedeutungen liegt in dem Wort „Heimat" versteckt, in das alles eingeflossen zu sein scheint, was die „deutsche Seele" an Sentimentalität und Nostalgie aufzubringen vermag, von Heimweh bis Heimatfilm, von Heimatmelodie bis Heimkehr. Heimat ist aber nicht etwas, was, wie uns oft vorgemacht wird, für den deutschen Sprachraum spezifisch wäre, auch wenn manche Sonderwege der deutschen und österreichischen Geschichte natürlich ihre Spuren hinterlassen haben. Die Vorstellung vom Wert der Heimat wird überall von Sehnsüchten getra gen, in die weit zurückliegende Kindheitsträume und diffuse Wunschvorstellungen hineinprojiziert werden. Der Rückzug in die Vertrautheit und Uberschaubarkeit des Grätzels, des Dorfes oder der Kleinstadt läßt ein, wenn auch nur vermeintliches Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit entstehen. Die Heimat ist der Gegenpol zur Fremde, der Wirt der Gegenpol zum Gast: Das deutsche Wort „Gast" hat wie das lateinische „hostis" seine sprachgeschichtliche Wurzel in einem indogermanischen Stamm, der im Sanskrit „essen" bedeutet: Der Gast erscheint damit sowohl als der Beköstigte als auch oder noch viel mehr als der „Verspeiste", als der Fremde, der als Feind den Göttern geopfert und, wie jedes blu tige Opfer, von den Opfernden als frommes Mahl verzehrt wurde. Die Grundbedeutung des deutschen Wortes „Gast" war daher der „Fremde" und potentielle Feind, der mit festgefügten Regeln der Ausgrenzung und Gastlich keit für die Gesellschaft ungefährlich gemacht wurde und wird. In dieser Bedeutung des Landesfremden und „Elenden" verwendete etwa Martin Luther das Wort „Gast", wenn er in seiner Bibelübersetzung bei der bekannten Stelle von den sechs Werken der Barmherzigkeit (Matth. 25, 31 ff.) für das heute gebräuchliche „fremd" das alte „gast" einsetzt: „Ich bin hungerig, dürstig, gast, nacket, krank, gefangen gewest, und du hast mir nicht gedienet..." Mit dem „Gast", dem Fremden, ist das Wort „elend" eng verknüpft: „Elend" im ursprünglichen Sinn waren die Fremden, die ja aus einem „anderen Land" kamen

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