OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 4

gegenüberzusitzen. Sein lokaler Dialekt ist makellos. Dennoch bleibt mehr als nur ein Hauch Friaul, von Cividale, Fagagna und Manzano, wo die Verwand ten leben. Amelio ist bis zum heutigen Tag italienischer Staatsbürger geblieben, und er ist stolz darauf. Seinem Sohn gab er den Namen Enrico, die in Steyr leben den Enkel heilSen Matteo Antonio, Irena Caterina, Gregor Ireneo, Angela Sofia und Domenico Franco. Unter dem Titel „Fremde Heimat" findet man im österreichischen Biblio theksinformationssystem Bibos 28 Ein tragungen.^' Der Begriff ist also nicht nur eingeführt, sondern wohl auch et was überstrapaziert. Dennoch scheint für die Situation der fremdsprachigen Ar beiter kein Titel zutreffender zu sein als dieser. Das Paradoxon in der Wortkom bination kennzeichnet sowohl die Le benswelt der Zuwanderer als auch der Doppelsinn des Wortes - fremd im Sinne von unbekannt - auf gesellschaft liche Konstellationen und Entwicklun gen hinweist, die einem breiteren Perso nenkreis tatsächlich unbekannt gewesen sind. Wer hat schon Kenntnis von den Italienern in Steyr? Es war gerade die etwas abseits gele gene Eisenstadt, die den stärksten mul tiethnischen Einschlag in Oberösterreich aufwies, angezogen von der Metallindu strie (Sitz einer der großen Waffen schmieden des Habsburgerreiches), vom eisenverarbeitenden Gewerbe sowie von weiteren Industriearbeitsplätzen. Zur Jahrhundertwende lag der Anteil der in Steyr Heimatberechtigten bei 25,1 %, der Fremden bei 74,1% - davon waren 19,1% nach Böhmen und Mähren zu ständig.^^ In Steyr gab es eine tschechi sche Sektion der Sozialdemokratie und mehrere tschechische Vereine. In dieser Stadt lebte eine jüdische Gemeinde, sie war Sitz einer israelitischen Kultusge meinde. Auch nach dem Zusammen bruch des Habsburgerstaats waren die multiethnischen Komponenten in der Statistik sichtbar; Im Rahmen der Volks zählung 1934 zeigte sich, daß 8,2% der Bewohner der Stadt außerhalb der Gren zen Österreichs geboren worden waren. 1934 lebten in ganz Oberösterreich 2.044 Bewohner, die aus Italien stammten, ein Teil wohnte im Raum Steyr. Es geht hier nicht um die Stilisierung von Minderheiten, schon gar nicht um die Shlisierung einer italienischen Min derheit - dafür war sie quanhtativ wohl zu klein -, sondern um die Sicherung von Spuren, die in eine Vergangenheit weisen, die nicht allzuweit entfernt ist und die resthaft die Entwicklung der letzten Jahrzehnte mitprägte. Denn die Existenz dieser Menschen war ja real, nur eben weitgehend unbemerkt von der öffentlichen oder lokalen Aufmerksam keit - manchmal einfach nur vergessen; manchmal, denkt man etwa an die Ge schichte der jüdischen Minderheit, regel recht verdrängt.^" Nur so ist es erklärOesterreichischer Bibliothekenverbund. BIBOS - Publikumskatalog, On line, 3. November 1995. " Österreichische Statistik, Band 64, Heft 1, Wien 1902, S. 2 ff. " Statistik des Bundesstaates Österreich (Die Er gebnisse der österreichischen Volkszählung vom 22. März 1934), Heft 5, Oberösterreich, Wien 1935, S. 34 f. Vgl. Waltraud Neuhauser-Pfeiffer / Karl Ramsmaier. Vergessene Spuren. Die Geschichte der Juden in Steyr, Linz 1993.

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