OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 4

Fremde Heimat Oberösterreich; Die italienischen Ziegelarbeiter - ein vergessenes Erbe der Monarchie Von Michael John Große Wanderungsbewegungen charakterisierten in Osterreich wie in an deren europäischen Ländern die Pro zesse der Industrialisierung und Urbani sierung im 19. Jahrhundert. Mit der Verbesserung der öffentli chen Transportmittel und der Liberalisie rung der Niederlassungsbestimmungen kann man vom Beginn der modernen Massenmigration sprechen. So waren 1857 noch 93% der ortsanwesenden Be völkerung Altösterreichs in ihren Wohn sitzgemeinden heimatberechtigt, dieser Wert reduzierte sich bis zur Jahrhundert wende auf 59%. Da die fJabsburgermonarchie einen multiethnischen, einen Vielvölkerstaat darstellte, wechselten da mals Millionen Personen unterschiedli cher Nationalität ihre Wohnorte. Die Anzahl der „Fremden" stieg von 1,8 Mil lionen Personen im Jahre 1857 auf 10,5 Millionen im Jahre 1900.^ In der Reichs hauptstadt Wien erhöhte sich bereits in den Jahren 1820 bis 1880 der Prozentsatz der „Fremden" von 5,6% auf 64,8%.^ Ahnliche Zahlen kennen wir aus der un garischen Hauptstadt Budapest. Überre gionale und multiethnische Zuwande rung waren jedoch nicht nur in den Me tropolen und in einzelnen Großstädten spürbar, sondern auch in den westlich gelegenen Teilen der Monarchie, auch in Oberösterreich. Es war weniger die Landeshaupt stadt Linz, denn die lokalen Industriean siedlungen, in die die Zuwanderung fremdsprachiger Arbeiter verlief. Für die Fabriksbetriebe der Gründerzeit wurden sowohl qualifizierte als auch ungelernte Arbeitskräfte benötigt. Hier kann ein dif ferenziertes Zuwanderungsmuster beob achtet werden; Die un- und angelernten Beschäftigten, die manuellen Arbeiter, stammten - da die Lohnkosten niedrig gehalten werden sollten - häufig aus den weniger entwickelten Regionen der Monarchie. Aber auch hochqualifizierte oder spezialisierte Arbeitskräfte kamen von außerhalb, oft aus den verschieden sten Teilen Gesamteuropas. Im Linzer Textilvorort Kleinmünchen waren bei spielsweise im Jahre 1880 rund die Hälfte der Arbeiter solcherart beschriebene Mi granten. Insgesamt lebten 1880 66.371 Personen aus anderen österreichischen Kronländern in Oberösterreich, 1.988 aus den Ländern der ungarischen Krone und 5.566 aus dem Ausland.^ Zur Jahr hundertwende waren es 69.580 aus den ' Heinz Fassmann, Migration in Österreich 18501900. Migrationsströme innerhalb der Monar chie und Struktur der Zuwanderung nach Wien. In: Demographische Informationen 1986, Wien 1986, S. 22. ^ Felix Olegnik, Historisch-statistische Übersich ten von Wien, Teil 1, Wien 1956, S. 80. ' Österreichische Statistik, Band 1, Heft 1, Wien 1882, S. 16 f.

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