OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 4

die Stellungnahme für oder wider - und schon beginnt die Diskussion, denn der Nachbar hat das ganz anders erlebt. Diese Überlegung macht klar, daß zeitge schichtliche Heimatforschung unvermeidlich ein besonders brisanter Forschungs bereich ist. Ein anderes Beispiel ist der authentische Fall eines Heimatforschers, der im Auftrag der Gemeinde eine Ortsgeschichte verfaßte; das Manuskript war weitge hend fertig, als ruchbar wurde, daß in dem Buch erwähnt werden sollte, unter den Ehrenbürgern der Gemeinde scheine auch ein gewisser Adolf Hitler auf. Der Gemeinderat befaßte sich mit dem Problem, und der Bürgermeister stellte schließ lich den Autor vor die Alternative, diese Passage zu streichen oder auf die Veröffent lichung des Buches ganz zu verzichten. Unabhängig von ihrem Ausgang zeigt diese Episode sehr deutlich, wie komplex das Geflecht von Interessen und Betroffenheit ist, das durch zeitgeschichtliche Forschungen berührt wird: Der Bürgermeister als Person war in keiner Weise betroffen, er identifizierte sich aber mit den (vermeintli chen) Interessen der Gemeinde so stark, daß es zu einer schwerwiegenden Konfron tation mit dem Autor kam. Offensichtlich rufen nicht nur personenbezogene Aussa gen Betroffenheit hervor; das Konfliktpotential ist wesentlich größer, umfaßt den gesamten Lebens- und Erfahrungsbereich eines Menschen. Man denke nur daran, welche Emotionen der Fall Jägerstätter immer noch auslöst, weil sich Tausende ehe malige Soldaten betroffen, zu Unrecht angegriffen fühlen. Deshalb ist zeitgeschicht liche Heimatforschung mit Sicherheit immer ein konfliktträchtiges Gebiet. Es war vorhin schon von der persönlichen Sphäre die Rede: Je mehr diese berührt wird, umso „heißer" wird die Zeitgeschichte. Die Meinungen, wo hier die moralische Grenze zu ziehen sei, gehen oft weit auseinander. Es gibt allerdings eine - gewissermaßen absolute - Grenze, die der zeitgeschichtlichen Forschung vom Gesetzgeber gezogen wurde: den Persönlichkeits- bzw. Datenschutz. Geschützt vor der Veröffentlichung sind - ganz grob gesagt - alle persönlichen Daten lebender Personen, die sich nicht auf eine öffentliche Tätigkeit beziehen oder im Zusammen hang mit dieser veröffentlicht wurden. Im engen Zusammenhang mit diesem Schutz steht eine weitere, bei manchen zeitgeschichtlichen Forschungen schmerzhafte Grenze, nämlich die automatische Sperre von Archivalien innerhalb einer bestimm ten Schutzfrist - in Osterreich meist fünfzig Jahre. Damit sind aber die legistischen, gewissermaßen „objektiven" Grenzen der Zeitgeschichtsforschung schon erschöpft. Ein Fall wie der des Ehrenbürgers Hitler ist mit keiner gesetzlichen Bestimmung zu entscheiden, ebensowenig der Protest eines ehemaligen Ortsbauernführers oder eines pleite gegangenen Unternehmers gegen seine Erwähnung - um zwei hypothe tische Fälle anzuführen. Hier stellt sich eine - nie endgültig zu beantwortende - Kardinalfrage: Was kann und was darf zeitgeschichtliche (Heimat-)Forschung? Man kann wohl von der - hoffentlich doch allgemein anerkannten - Tatsache ausgehen, daß das Ziel jeder Erforschung von Geschichte die bestmögliche Annäherung an die Wahrheit ist und daß jede Darstellung von Geschichte - in welcher Form immer - mit dem Anspruch auftreten darf und muß, Wahrheit zu vermitteln. Andererseits aber gibt es sowohl

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