Trotz aller Bücher, Fotos und Filme hat wahrscheinlich jeder schon einmal bedauert, den Großeltern nicht mehr zugehört oder sie nicht mehr gefragt zu haben. Das ist insofern eine wichtige Feststellung, als sie zeigt, daß gerade im persönlichen Bereich, in der engeren Umgebung, eben in der „Heimat" die mündliche Überliefe rung als Quelle geradezu unersetzlich ist. Und gerade die Heimatforscherinnen und Heimatforscher haben besonders gute Chancen, diese Quellen zum Sprechen zu bringen: Sie wissen, wer „etwas weiß", sie können oft besser als irgendein Fremder auf den Interviewpartner eingehen, sie können leichter als von weither anreisende Historiker einen günstigen Zeitpunkt für das Interview wählen und die Befragung ohne Zeitdruck durchführen. Darum ist an die Heimatforscherinnen und Heimatfor scher zu appellieren, sie mögen so weit wie möglich ihren Heimvorteil nützen, ihre physische und geistige Nähe zur lokalen Zeitgeschichte, damit dieser vergängliche Quellenschatz nicht ganz verlorengeht. Zeitgeschichte als Konfliktfeid Nun bleibt noch ein ganz wesentlicher Komplex anzusprechen, nämlich die Brisanz zeitgeschichtlicher Forschung. Was macht Zeitgeschichte so „heiß" - und wie kann man als Forscher mit diesem Problem umgehen? Am Anfang dieses Beitrages wurde Zeitgeschichte als jener Vergangenheits abschnitt definiert, den ein Großteil der älteren Generation bewußt erlebt hat. Und genau darin liegen auch die größten Probleme zeitgeschichtlicher Forschung begründet. Beim Lesen etwa eines Buches über Alexander den Großen oder Stephan Fadinger ist man vorerst einmal darauf angewiesen zu glauben, was der Autor erzählt, kann allenfalls weitere Literatur zu Rate ziehen, Argumente abwägen und sich daraus dann ein eigenes Bild zusammensetzen. Leserinnen und Leser einer zeit geschichtlichen Darstellung dagegen haben eine ganz andere Ausgangsposihon: Sie kennen die Zeit, um die es geht (aus eigenem Erleben oder unmittelbaren Erzählun gen) und sehen sie aus ihrem höchstpersönlichen, durch Familie, Ausbildung, Erfah rung und Gruppeninteressen geprägten Blickwinkel; sie haben in der Regel schon eine bestimmte Meinung über vorkommende prominente Personen und Ereignisse, ja sie finden vielleicht sogar ihr eigenes Erleben in der Darstellung wieder. Das heißt, sie vergleichen von Anfang an mit ihren eigenen Erfahrungen und beziehen dadurch automatisch Stellung für oder gegen die Aussagen des Autors - mit einem Wort: sie sind - in irgendeiner Weise - betroffen. Nun mag dies nur in sehr allgemeiner Weise auf ein Buch über die Vorgänge in Hitlers Reichskanzlei oder im israelischen Sechs tagekrieg zutreffen; viel konkreter wird die Betroffenheit aber bei Themen der öster reichischen Zeitgeschichte oder gar der engeren Heimat. Das gilt freilich nicht nur für geographische Nähe: Eine Biographie Landeshauptmann Hausers zu lesen, ist ganz interessant; die Biographie Heinrich Gleißners dagegen berührt einen wesent lich mehr, und die Lebensgeschichte eines guten Bekannten oder gar Verwandten schließlich betrifft die ganz persönliche Sphäre des Lesers und erzwingt praktisch
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2