OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 4

Lagerungsbedingungen, nämlich möglichst kühle, dunkle und trockene Räume, kann der Zerfall immerhin verlangsamt werden. So ist auch dies wieder ein Punkt, bei dem Heimatforscherinnen und Heimatforschern eine wichtige Beratungsaufgabe zufällt. Sie kommen im Zuge ihrer Recherchen in so manchen Lagerraum, Keller oder Dachboden, in dem potentielles Quellenmaterial vor sich hinmodert. Erfahrungsgemäi? sind viele Eigentümer bereit, für ihre Materialien besser zu sorgen, wenn sie über deren Wert und die Gefahren schlechter Lagerung aufgeklärt werden - besonders, wenn sie von einem persönlich bekannten Geschichtsforscher darauf hingewiesen werden. Bei dieser Gelegenheit sei auch erwähnt, daß die Selbstzerstörung wertvoll sten Quellenmaterials auch auf einem ganz anderen Sektor bevorsteht, nämlich bei den Videofilmen. Es ist kein Zufall, daß man im ORF relativ viel historisches Mate rial aus den sechziger Jahren und früher sehen kann, die siebziger und frühen achtzi ger Jahre dagegen wesentlich schwächer vertreten sind. Das liegt schlicht und ein fach daran, daß die früheren Filme, die sogenannten „Zelluloidstreifen", leicht jahr zehntelang halten, während die in den siebziger Jahren beginnenden Magnetband aufzeichnungen zum Teil schon unbenützbar geworden sind. Wenn man bedenkt, daß heute bei Berichterstattungen praktisch überhaupt nicht mehr im klassischen Sinn gefilmt wird, dann kann man sich ausmalen, wie dramatisch der Quellenausfall in wenigen Jahrzehnten sein wird. Ein dritter Punkt schließlich, der für die zeitgeschichtliche Quellenlage cha rakteristisch ist, betrifft die Kommunikationsformen. Der hohe Quellenwert von Briefen für verschiedenste, gerade auch heimatgeschichtliche Fragestellungen ist bekannt. Aber wie steht es damit heute? Wer schreibt heute schon noch Briefe? Seit den dreißiger Jahren ist das Telefon in den Amtsstuben eine Selbstverständlichkeit, seit den fünfziger Jahren auch in den meisten Haushalten. Immer mehr - und darun ter auch immer wichtigere - Mitteilungen werden nur mehr telefonisch übermittelt und sind deshalb für spätere Forschungen nicht mehr nachvollziehbar. Allerdings leitet dieses zuletzt angesprochene Problem auch zu einem der größten Vorzüge zeitgeschichtlichen Forschens über. Denn spätestens wenn alle materiellen Quellen versagen, dann bleibt dem Zeitgeschichtler immer noch eine Möglichkeit, um die ihn alle anderen Historiker beneiden: die Befragung von Augen- und Ohrenzeugen, ja oft sogar der handelnden Personen selbst. Ein ganzer Zweig der Zeitgeschichtsforschung hat seinen Namen von dieser Quellengattung: die sogenannte „Oral history", die „mündliche Geschichte". Die Befragung von Zeit zeugen ist keineswegs nur ein Notnagel; viele Arbeiten der letzten Jahre zeigen ein drucksvoll, daß bei entsprechenden Fragestellungen mündliche Quellen, Erzählun gen weit mehr als schriftliche Aufzeichnungen aussagen können - nicht umsonst hat die Mundart auch in der traditionellen Heimatforschung einen hohen Stellenwert. Schließlich aber hat das Gespräch den unbezahlbaren Vorteil, daß es die Chance zum Fragen gibt, zum Nachhaken, zum Lenken und Fördern der Erinnerung. Natür lich gilt hier auch besonders, sich der möglichen Schwachstellen dieser Methode bewußt zu sein: Nicht alles, was jemand erzählt, darf ungeprüft als Geschichtsquelle verwendet werden.

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