schungsarbeit über die Quellensituation zu orientieren und Hinweise erfahrener Kollegen einzuholen; schon öfter als einmal sind ambitionierte zeitgeschichtliche Forscherinnen und Forscher in den Quellen „ertrunken". Aber nicht immer ist die Menge des Quellenmaterials das größte Problem. Verschiedene Faktoren bewirken, daß in den zeitgeschichtlichen Quellen auch große, empfindliche Lücken entstehen. Als erster dieser Faktoren ist die Gering schätzung modernen Schriftgutes zu erwähnen. Es soll schon vorgekommen sein, daß die Reichsgesetzblätter des vorigen Jahrhunderts - also quellenmäßig völlig uninteressante Massendruckwerke - wegen ihrer dekorativen Einbände restauriert und im Chefzimmer aufgestellt wurden, während Vorstandsakten der dreißiger und vierziger Jahre im Keller unter Kohlenhaufen kaputtgingen. Ein trauriges Beispiel sind auch die Amtsakten des früheren Landeshauptmannes Dr. Heinrich Gleißner; Ein beträchtlicher Teil davon wurde nach kurzer Durchsicht durch seine Sekretärin in den sechziger Jahren vernichtet, weil sie nicht mehr gebraucht wurden. Es zeigt sich immer wieder: Wem die Papiermassen über den Kopf wachsen, der denkt nicht mehr darüber nach, ob darunter etwas Aufhebenswertes wäre. Würde es jemand für möglich halten, daß vom Werksarchiv der ehemaligen VÖEST außer technischen Dokumentationen fast nichts übriggeblieben ist? Daß von dem Zeitungsarchiv des immerhin 100 Jahre alt gewordenen „OO. Tagblattes" außer ein paar Schachteln Fotos praktisch gar nichts übrig ist? Hier liegt eine sehr wichtige Aufgabe für Heimatforscherinnen und Heimat forscher. Denn nur vor Ort besteht die Möglichkeit, ein Auge darauf zu haben, was im Ort oder in der Umgebung weggeworfen oder vernichtet wird. Wenn heute ein Betrieb zusperrt oder ein altes Gebäude abgerissen wird, so wissen die zuständigen Leute meist nicht, daß die am Dachboden oder im Keller lagernden, verstaubten Papierpacken noch irgendeinen Wert haben könnten. Zeitgeschichtliche Quellen sehen eben meistens nicht wertvoll aus. Umso wichtiger ist es, daß in solchen Fällen die ansässigen Heimatforscherinnen und Heimatforscher aufklärend und vorbeu gend, beratend und notfalls rettend eingreifen, eventuell auch durch Beiziehung der zuständigen Fachleute. Freilich ist es nicht immer leicht zu entscheiden, was auf hebenswert ist und was nicht. Am besten wird wohl jemand Bescheid wissen, der selbst zeitgeschichtlich gearbeitet und aus der Praxis eine Vorstellung von zeitge schichtlichen Quellen hat - auch das mag ein Anreiz dafür sein, sich in der Heimat forschung verstärkt zeitgeschichtlichen Forschungszielen zuzuwenden. Ein weiteres, ausgesprochen gefährliches Quellenproblem der Zeitge schichte ist der rasante Zerfall mancher Papiere. Gerade in den wichtigsten, weil politisch bewegtesten Perioden unseres Jahrhunderts herrschte Papiermangel, es mußte möglichst billig und in entsprechend schlechter Qualität produziert werden. Manche Zeitungen der zwanziger und vierziger Jahre beginnen schon beim Umblät tern zu zerfallen; Schriftstücke der letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre zerbröseln oft schon bei vorsichtiger Berührung. Der Zyniker mag darin eine wirksame Skartierungsmethode sehen - in Wahrheit aber drohen auf diese Weise unersetzli che Quellen verlorenzugehen. Leider gibt es noch kein erschwingliches Verfahren, diesen Zerstörungsprozeß bei Massenbeständen aufzuhalten. Aber durch geeignete
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