OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 4

Ein „schwieriges" Verhältnis Das (auch heute noch) nicht unproblematische Verhältnis zwischen Heimat forschung und Zeitgeschichte läßt sich schon einige Zeit zurückverfolgen. Heimat forschung ist eine traditionsreiche Forschungssparte, die - eng verbunden mit Gesellschaft und Staat - eine erste Hochblüte bereits im vorigen Jahrhundert erlebte und dann in die gesellschaftlichen und politischen Unruhen unseres Jahrhunderts hineingezogen wurde. Der hohe Stellenwert der Heimatforschung in den autoritä ren Regimen ab 1934 brachte eine Scheinblüte, der ein lange anhaltender Nach kriegsschock folgte. Dieser Schock bewirkte, daß sich Heimatforschung - soweit sie überhaupt betrieben wurde - wenig weiterentwickelte: Wenn man ein Heimatbuch, eine Chronik oder vergleichbare Literatur der fünfziger und sechziger Jahre mit sol cher aus den zwanziger und dreißiger Jahren vergleicht, so sind wenig Unterschiede in Methode und Tendenz zu finden. Schon im vorigen Jahrhundertwar es üblich, die jüngste Geschichte entweder in einem Lobpreis des gegenwärtigen Staates und seiner Regierung ausklingen zu lassen oder sie aus den Darstellungen ganz auszu blenden. Daran änderte sich auch nach dem Ende der Monarchie nicht viel: Für die konservative Bevölkerungshälfte war 1918 ein Unglück und gleichzeitig ein Anlaß, sich umso mehr der fernen, vergangenen Größe zuzuwenden; die Sozialdemokra ten wiederum sahen nicht viel Grund, sich mit dem versunkenen Kaiserreich zu beschäftigen. Somit gab es auch in der Ersten Republik wenig Bedarf für Zeitge schichte, während gleichzeitig die Heimatforschung eine neuerliche, ideologisch und politisch geförderte Blütezeit erlebte. Dann kam 1938 - und nach dem Anschluß war auf einmal auch die jüngste Geschichte gefragt, gerade auch auf regionaler, auf örtlicher Ebene. Freilich ging es vorwiegend um Parteigeschichte, um die „Geschichte der Bewegung", und der Wett streit, die frühesten illegalen Zellen, die tapfersten illegalen Kämpfer im eigenen Ort oder Kreis vorzuweisen, trieb erstaunliche Blüten. Bezeichnend ist die kurze Geschichte des - leider vernichteten - NS-Gauarchives Oberdonau: Es hatte nichts mit dem (für die ältere Geschichte zuständigen) Landesarchiv zu tun, sondern sollte völlig unabhängig die Farteigeschichte in Oberösterreich erforschen und dokumen tieren. Die Leitung hatte nicht ein ausgebildeterHistoriker, sondern ein engagierter, ehrenamtlich tätiger Amateur. Es wurden Sammelaufrufe veröffentlicht, Interviews gemacht, alle großen Organisationen wie SA, HJ usw. einbezogen, 1940/41 wurden in fast allen Landkreisen propagandistisch aufgezogene Ausstellungen veranstaltet. Aus heutiger Sicht ist festzustellen, daß - trotz des recht begrenzten, ausschließlich politisch definierten Tätigkeitsgebietes - dieses Gauarchiv in unseren Breiten erst mals zeitgeschichtliche Heimatforschung betrieb, deren Bekanntheitsgrad und Stellenwert in der Öffentlichkeit aufgrund staatlicher Förderung und Propaganda nicht zu unterschätzen war. Daneben beschäftigten sich vielerorts lokale Forscher mit dem Aufspüren der nationalen und illegalen „Vorgeschichte", also ebenfalls mit Zeitge schichte. Diese rege Sammlungstätigkeit ist übrigens auch eine der wesentlichsten Ursachen für die heutige Quellenarmut zur Entwicklung des Nationalsozialismus in

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