2. Wenn von einem Architekten er wartet wird, daß er historische Bausub stanz bewahrt und schützt, dann braucht er auch die dafür notwendigen Voraus setzungen, sowohl in rechtlicher als auch in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht (Bauordnung, Wohnbauförde rung, Verkehrskonzepte, Nahversorgungsstrukturen, Alltagsabläufe usw.). Bis jetzt gibt es zwar viele Lippenbe kenntnisse, aber kaum die Bereitschaft, sich ohne Abstriche im persönlichen All tag zur historischen Verantwortung zu bekennen. Unter diesen realen Voraus setzungen wird der verantwortungsbe wußte Architekt die in einer Bauaufgabe geforderten Ziele in der Sprache seiner Zeit gestalten. Architektur ist zwar auch Kunst, aber ganz wesentlich vom Gebrauch be stimmt und vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen, zum Unterschied von den übrigen Werken der Kunst. Wenn sich Gebrauchsmuster in der Gesellschaft än dern, dann ändert sich zwangsläufig auch die Architektursprache. 3. Für die Identität einer Stadt, die wirklich eine ist, ist es dramatisch, wenn sie aus einer Geschichtsepoche kein be deutendes Bauwerk aufzuweisen hat. Eine Stadt muß aus jeder Generation, aus jeder Epoche mindestens ein quali tätsvolles Bauwerk besitzen, das ist wichtiger, als aus einer Epoche viele mit telmäßige Gebäude vorzeigen zu kön nen. 4. Die Glaspyramide vor dem Louvre ist weder schlechte Architektur noch unangemessen. Wenn sie darüber hinaus noch zum Nachdenken über ar chitektonische Zusammenhänge anregt, dann hat sie alle Forderungen an ein wichtiges epochales Bauwerk erfüllt. Allerdings: das Problem heute ist, daß bei Architektur immer nur Namen gehandelt werden und nicht grundsätz lich Architekturqualität untersucht wird. Somit ist leider dem Eklektizismus und den Plagiaten Tür und Tor geöffnet. In diesem Punkt hat Rainer Reinisch recht. 5. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß es auch schlecht gestaltete Bauwerke gibt unter dem Deckmantel von „Verfremdung" oder „Kontrast". Die Gestaltqualität könnte sehr schnell ent scheidend gesichert werden, wenn - in unserer Medienwelt! - Beispiele gelun gener Erhaltungsarbeit und qualitätsvol len neuen Bauens in alter Umgebung mindestens ebenso öffentlichkeitswirk sam und umfassend in allen Medien und in der Fachpresse vorgestellt würden, wie die Neubauten „auf der grünen Wiese". Eine historische Schutzzone wird umso sicherer erhalten bleiben, je besser alle mit Planungsaufgaben betrauten Personen und Institutionen mit den Grundsätzen und Phänomenen des Siedlungstyps Stadt vertraut gemacht werden. Diese Basis muß von akademi schen Eitelkeiten und Flügelkämpfen freigehalten werden. Es wird entschei dend sein, daß die Architekten diese Grundsätze kennen, in der Öffentlich keit vertreten und an die nächsten Gene rationen weitergeben und nicht die Hi storiker, Denkmalschützer oder die Siedlungsgeographen. Der Architekt ist dem Bauherrn am nächsten. Wenn die Grundsätze bekannt sind, dann kann ge trost restauriert, revitalisiert und neu ge baut werden. Unsere Städte werden mit der Zeit gehen können und ihre Tradi tion und Identität nie verlieren. Stefan Lueginger
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