„Der alte Angriff auf die neue Stadt" Rainer Reinisch spricht in seinem Ar tikel einige klassische Phänomene und Probleme im Verhältnis Bürger - Stadt - Architekt - Historiker - Politiker an. Er kommt zu dem Schluß, daß zeitgenössi sche (= moderne?) Architektur mit tra dierten Stadtensembles zumindest über wiegend unvereinbar ist. Als Architekt, der sowohl bewah rend als auch neu in tradierten Stadt ensembles plant und baut, fühle ich mich angesprochen, zu diesem Themen komplex einige Anmerkungen zu tref fen. Folgende Phänomene seien zuerst klargestellt; 1. Die Stadt als Siedlungstyp hat zwar als Basis den Genius loci des natür lichen Ortes, an dem sie erbaut ist, aber sie ist im Gegensatz zu den übrigen Siedlungstypen gerade nicht dem Lokal kolorit verpflichtet, sondern Teil einer ei genen Weltsphäre - der Gruppe aller Städte.^ Daran ändert auch der Umstand nichts, daß manche Siedlung als Stadt bezeichnet wird oder zur Stadt erhoben wurde aus den verschiedensten politi schen Überlegungen heraus, aber den grundlegenden Gesetzmäßigkeiten des Siedlungstypus Stadt nicht entspricht.^ 2. Denkmalschutz ist ein ziemlich junges Kapitel der Kulturgeschichte der Menschheit. In noch gar nicht so ferner Zeit, nämlich im Barock, wurden durch aus qualitätsvolle gotische und roma nische Kirchen für den Laien bis zur Un kenntlichkeit verändert oder gleich ab gerissen und durch Neubauten ersetzt. Bis ins 18. Jahrhundert hinein erachtete jede Generation es als ihr gutes Recht, sich auch baulich in Szene zu setzen. 3. Es gilt als unbestritten, daß die seit dem 18. Jahrhundert wesentlich erweiter ten technischen Möglichkeiten am Bau und die pluralistischen Geistesströmun gen einerseits Bauherrschaft und Planer verunsicherten, andererseits ein fast un begrenztes Feld zur persönlichen Profi lierung eröffnet haben. 4. Die besondere Qualität der tra dierten Stadtkerne sind ein Produkt aus optimaler, zukunftsorientierter Planung und verantwortungsvoller, kultivierter Bauherrschaft. 5. Gute Architektur ist immer ein harmonischer Zusammenklang von Ge nius loci, Funktion, Konstruktion, Wirt schaftlichkeit, Gestaltqualität, Lebensshl und Lebensinhalt der innerhalb und au ßerhalb eines Gebäudes seienden Men schen.^ Dieser harmonische Zusammen klang braucht einen tragfähigen, gesell schaftlichen Grundkonsens über die we sentlichen Phänomene des menschlichen Lebens und Wirkens. Dieser Grundkon sens muß in einer pluralistischen Gesell schaft ständig neu gesucht und gefun den werden. Damit ergeben sich folgende Aspekte bei der Problematik des neuen Bauens in tradierter Umgebung: 1. Nicht alles, was alt ist, ist auch gleichzeitig architektonisch wertvoll und erhaltenswert; nicht alles Neue ist grundsätzlich von schlechter Qualität. ' Siehe Stefan Lueginger, Stadtbaukunst am Bei spiel Linz. In: OÖ. Hbl., 45. Jg., H. 3, 1991, S. 205-224. ^ Z.B.: die Stadterhebungen von Ansfelden, Leonding, Traun u.a. ^ Siehe z.B.: C. Norberg-Schulz, Genius loci, Stuttgart 1982.
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