OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 4

der „roten Internationale" der Arbeiterbewegung. Der Adel, die Kirche, das Freimaurertum, die republikanischen Freiheitsbünde und die sozialistische Arbeiterbewe gung können als Prototypen der sich wandelnden Zuordnung des Ausdrucks „inter national" gesehen werden. An sich wurzelt die Vorstellung von der ganzen Welt als Heimat in einem kosmopolitischen Gedankengut, das eine bis in die Antike zurückreichende Tradi tion hat und von Meleager von Gadara im ersten vorchristlichen Jahrhundert plaka tiv formuliert wurde: „Das einzige Vaterland, Fremder, ist die Welt, in der wir leben; ein und dasselbe Chaos hat alle Sterblichen geschaffen." In der berühmten Sentenz des Menander, die wir aus der lateinischen, häufig mißverständlich interpretierten Version des Terenz kennen, wird die Menschheit als Einheit verstanden: „Ich bin ein Mensch, und nichts Menschliches ist mir fremd." Der ganzen Welt als wahrer Heimat des Menschen setzte das Christentum die Vorstellung der irdischen Heimatlosigkeit und des Jenseits als der wahren Hei mat entgegen. Des Menschen Leben sei eine Pilgerreise: „Wir sind nur Gast auf Erden ..." „Mein Heimat ist dort droben" heißt es in einem Kirchenlied von Paul Ger hardt aus dem Jahr 1666. Die kosmopolitische Vision der Aufklärung, der zum Weltbürger gewor dene Mensch, ist Idee geblieben. Die Aufklärung hat vielmehr den Nationalstaaten und Nationalismen die Bahn geebnet. Die Industrialisierung hat unsere Welt schein bar kleiner, enger und uniformer gemacht. Aber statt Fortschritte in Richtung einer universellen Heimat zu machen, waren nationale Enge und vielfache Heimatlosig keit die Folge. Tiefe Verzweiflung klingt aus den bekannten Sätzen Ernst Tollers, des ver triebenen und heimatlos gewordenen deutschen und jüdischen Schriftstellers, in denen er an den Kosmopolitismus der alteuropäisch-aufgeklärten Geisteswelt anknüpft: „Eine jüdische Mutter hat mich geboren, Deutschland hat mich genährt, Europa mich gebildet, meine Heimat ist die Erde ..." Sehnsucht nach der Heimat Als Eigenwert ins Bewußtsein gerückt ist die Heimat mit der Aufklärung und dem Umbruch der Industrialisierung. Die Romanhk verklärte die altständische Gesellschaft, deutete sie biedermeierlich um und verbrämte sie ideologisch. Heimat ist im Grunde ein romantisches Idealbild, ein Universum, woraus der moderne Mensch, nach seinem Empfinden, vertrieben worden ist und wohin er zurückkehren will, unter Schmerzen und Opfern, wie Hölderlin es in der ersten Fassung seines Gedichtes „Die Heimat" formulierte: „Wohl möcht auch ich zur Heimat wieder, aber was habe ich, wie Leid, geerntet?" Oder im Hyperion: „Ach! Für des Menschen wilde Brust ist keine Heimat möglich." Die echte Heimat ist eine Illusion, hat keinen Ort, sie existiert nicht. Sie ist das ideelle Bild einer glücklichen Welt, einer überirdi schen Heimat, die mit dem Himmelreich ident wäre.

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