OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 3

Sölderer hatte instinktiv erkannt, daß er sein Seelenheil nicht in Großstädten oder großen Städten wie Linz finden würde, sondern in kleinen menschlichen Berei chen, etwa wie das Leopold Kohr postuliert hat, „daß auch das kleinste Nest groß genug ist, Universalgefühle auszudrücken, im Gegensatz zu unseren Großgesell schaften, die, wie Eiszeiten, kaum einen anderen Zweck zu haben scheinen, als die Kulturmonumente ihrer eroberten kleinstaatlichen Bestandteile einzufrieren und stehen zu lassen, bis ein atomarer Vernichtungskrieg sie wieder auftauen wird". Sölderers Abschied galt also in erster Linie einem Menschen, seiner Mutter, der er sein erstes Buch mit dem Motto gewidmet hat „iagendwo is a liacht / und is de nocht no so schwoazz". Auch das Eingangsgedicht stellt diese tiefe, freilich nicht ungefährdete Verbindung zur Mutter her. „bevoa i geh", schreibt der Sohn, „nimm das mei heazz / es gheat dia." Er will auf sie warten bei Regen und Wind. Aber seine Ungeduld, aufzubrechen, ist stark, „dua schoo weida", drängt er sie, „bevoa i geh / und nimma kumm." Und er bittet sie, weil er weiß, daß sie ihn mag, „gib ma a liacht / das i di siag". Der Aussteiger in ihm kann die Freiheit schon nicht mehr erwarten, „loßts mi aussi", ruft er aus, „gebts ma mei freiheid / tats de gitta weg / i mächt de sunn gschpian / loßts mi aussi / aus dera dunglheid / i mächt mid de bleami redn / und beim mondschein / noggad im fluß bodn / i mächt i söwa sei / und ned eicha kaschpal / mid dem ma eus mochn kou." In diesem Gedicht ist all das enthalten, was er nicht möchte. Er möchte nicht (mehr) hinter dem Backofen stehen und Teig kneten, er möchte nicht (mehr) auf Kasernenhöfen stramm stehen müssen, er möchte nicht der Kasperl sein, mit dem andere machen können, was sie wollen. Er möchte der Dunkelheit entfliehen, in der er steckt, er hat das Gefühl, eingegittert zu sein, er fordert Freiheit für sich, er möchte die Sonne spüren auf seiner Haut, er möchte mit den Blumen reden und beim Mondschein nackt und keusch im Fluß baden. Er möchte er selber sein. Aber wer ist er? Noch sieht er sich am Lebensbaum hängen, „heazzn von junge menschn / heazzn von oide menschn" hängen auf dem Baum, der im Garten steht, aber „heazzn fia de kana / zeid hod / hängan do drobm / und wissn ned wo hi." Er hängt (noch) am Ast (seiner Mutter), aber keiner hat Zeit für ihn, er hängt (mit anderen jungen Men schen) am Baum des Lebens, aber die Zukunft ist ungewiß, das Ziel nicht erkannt. Der Aussteiger entscheidet sich nicht, er möchte Zeit gewinnen, „zeit lossn" schreibt er in sein Stamm-, in sein Fahrtenbuch, „zeit lossn / lebm lossn", bevor er eine Entscheidung trifft. In diesem Schwebezustand füllt das Reden die Leere, die hohlen Waben der Zeit aus. „reedn / vü reedn / a bissl zvü reedn / no a bissl mea reedn", es wird viel geredet, zu viel geredet den ganzen Tag lang, durch das Reden kommen zwar die Leut' zusammen, aber „gmochd wiad nix." Obwohl durch das Reden nichts bewirkt wird, glaubt er „z'vü greedt is bessa / eus nix greedt". Das gilt ganz besonders für einen Ort der Kommunikation, für das Wirts haus. Der von zu Hause Aufgebrochene und noch nicht Angekommene macht Zwi schenstation, dort, wo es warm ist, wo Menschen sind, wo man Vergessen finden

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