OÖ. Heimatblätter 1995, 49. Jahrgang, Heft 3

1975 bringt Friedl Brehm als .Nummer 41 seines Kleinbuchprogramms den literarischen Erstling seines jüngsten MitarbeitersSölderer heraus^ die nur 46 Seiten umfassende Broschüre - Paperback nennt man sowas neuerdings - „mid meine augn", eine Arbeit, die deckungsgleich in das literarische Umfeld des kleinen ober bayerischen Verlages paßt. Josef Wittmann, der im selben Verlag mit zwei Mundartgedichtbändchen vertreten ist, zeichnet für seinen jungen Dichterkollegen den Umschlag. Er zeigt, bezugnehmend auf den Titel, den Autor, besser; Kopf und rechte Hand Sölderers, eine expressionishsche Federzeichnung, die dem hart konturierten Gesicht durch zwei durchdringend den Beschauer anstarrende Augen Halt und Inhalt gibt, Titel und Gesicht eine Einheit, so sehe ich das Leben, ich, der Ossi Sölderer, der sein erstes Buch „fia mei muadda" geschrieben und damit die Tür zurück in seine Kind heit aufgestoßen hat, die er in Linz, seiner Geburtsstadt, verbrachte, einer ehedem provinziell abgetanen Stadt, die durch Industrialisierung und Fleiß zu einer bedeu tenden wirtschaftlichen Metropole aufstieg. Diese Kindheit, in der die Mutter zentrale Bezugsperson ist, bleibt für den jungen Bäckerlehrling, der bald statt Brotwecken und Kipferl zu fabrizieren Gedichte schreibt, zeitlebens die Quelle für seine literarischen Gehversuche, etwa in der Ausschließlichkeit, wie sie der deutsche Dichter Franz Fühmann für sich in Anspruch nimmt; „Meine katholische Kindheit, meine fromme Kindheit, meine Kindheit mit Schutzengel und Jungfrau Maria, meine österreichische Kindheit, meine böhmische Kindheit, meine deutsche Kindheit, meine abendländische Kind heit, meine Kindheit im Gebirge, meine Kindheit in den Wäldern, meine Kindheit im Garten, meine Kindheit im Schnee, meine Kindheit im Kristall des Himmels, meine Kindheit vor lebendigem Feuer, meine Kindheit in Unschuld neben der Schwester, meine Kindheit in der Hölle, über die Vater und Mutter herrschten, unablässig zer fleischend, unablässig einander Schmerzen auspressend, unablässig uns Kinder als Schild vor sich tragend; meine Kindheit im Dorf, meine Kindheit im Wirtshaus, meine Kindheit im Kloster, meine Kindheit unter den Jesuiten, meine Kindheit unter den Faschisten, meine Kindheit mit Sindbad, meine Kindheit vor Troja, meine Kind heit vor dem Pentagramm, meine Kindheit vor den Krematoriumsöfen, und ich hörte die Frage eines großen Lehrers, des heiligen Augustinus; Deine Kindheit ist vergangen, doch wo ging sie hin?" Wo ging sie hin, die Kindheit des Ossi Sölderer? Er nahm sie wohl mit auf seine Wege, auf seine Strass'n (das zweite Buch trägt den bezeichnenden Titel „Auf meiner Strass'n"). Sie war das einzige, das ihm geblieben war, nachdem er weggegangen war. Sagte ich „weggegangen"? Sölderer war in Wahrheit einer der ersten Aussteiger, lange bevor es Mode wurde, persönlich oder literarisch auszusteigen aus dem Milieu, das eine zur Perfektion technisierte und kommerzialisierte Welt einschloß. Wenn ein Peter Henisch, viele Jahre später, seinen Romanhelden aus Wien nach Bali ausscheren ließ, dann genügte Jahre früher Ossi Sölderer der Abbruch der Brücken zu Linz, seiner Geburtsstadt, und das Aus scheren in das kleine Feldafing.

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