Brillendarstellungen der Gotik in Oberösterreich Von Franz Daxecker In den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts wurden in Venedig die ersten brauchbaren Lesebrillen hergestellt. Sie waren natürlich für ältere Gelehrte und Geistliche eine große Hilfe, da sie nun wieder lesen konnten. So wurde die Brille ein Symbol der Weisheit. In der bildenden Kunst ist dieses Attribut der Gelehrsam keit vielfach verwendet worden, vor allem wurden Apostel, der heilige Hieronymus und auch Abraham mit Brillen dargestellt. Auch auf der Darstellung des Marien todes sind oft Brillen abgebildet. Die erste gemalte Brillendarstellung stammt von dem Maler Thomas (Tommaso) von Modena, der 1352 im Kapitelsaal des Domini kanerklosters S. Nicolö in Treviso Fresken schuf und den Kardinal Hugo von Pro vence mit einer Nietbrille darstellte.^ Die älteste Brillendarstellung im deutschen Sprachraum befindet sich am Altar von Schloß Tirol bei Meran, und zwar auf der Tafel „Marientod". Dieser Altar ist jetzt im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck und ist um 1370/72 in Ostösterreich entstanden, die Habsburger Albrecht III. und Leopold III. stifteten ihn 1369, als Tirol durch den Vertrag von Schärding endgültig zu Osterreich kam.^ Auf dem Altar des berühmten Malers und Bildhauers Michael Fächer (gebo ren wahrscheinlich 1435 in Neustift bei Brixen, Werkstätte in Bruneck im Pustertal in Südtirol, gestorben 1498 in Salzburg) in St. Wolfgang im Salzkammergut sind zwei Brillen dargestellt. Bei geöffnetem Schrein werden die Schnitzgruppen der Krönung Mariens und die Flügelbilder sichtbar. Das rechte untere Gemälde zeigt den Marien tod, ein lesender Apostel trägt eine Nietbrille. Auf der Predellarückseite finden sich Brustbilder der Evangelisten, wobei der heilige Lukas ein Brille trägt. Die Malereien des Altars dürften nicht alle von Michael Fächer stammen.^ In der Stiftssammlung des Stiftes St. Florian in Oberösterreich befindet sich ein Flügelaltar (1485), der vom Propst Leonhard Riesenschmid gestiftet wurde. Der rechte Flügel zeigt in der oberen Darstellung den Marientod, am Fuße des Bettes Mariens knien zwei Apostel, von denen einer eine Brille zwischen Augen und Buch hält.* ' Wolfgang Münchow: Geschichte der Augenheilkunde. In: K. Velhagen, Der Augenarzt, Bd. IX, Leip zig 1983, S. 174-178. - G. Kühn, .W Roes: Sieben Jahrhunderte Brille. In: Deutsches Museum, Ab handlungen und Berichte, 36. Jg., Heft 3, München 1968, S. 10. ^ Theodor Grossmann: Die älteste deutsche Brillendarstellung am Altar von Schloß Tirol. In: Klin. Mbl. Augenheilk., Bd. 122,1953, S. 213 f. - Vinzenz Oberhammer; Der Altar vom Schloß Tirol, Inns bruck 1948, Tafel 44. ^ Nicolö Rasmo: Michael Fächer, München 1969, S. 230. " Karl Schütz: Die Tafelbilder des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Die Kunstsammlungen des AugustinerChorherrenstiftes St. Fortan (= ÖKT, Bd. 48), Wien 1988, S. 179.
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