Es ist anzunehmen, daß zwischen beiden Brüdern ein fruchtbarer Gedanken austausch, wenigstens ein wechselseitiger Lernprozeß stattgefunden hat. Noch 1897 berichtete Boltzmann von den Bemühungen Alberts während der Linzer Gymnasi alzeit, ihn „von der Widersinnigkeit meines Ideals einer Philosophie zu überzeugen [...], welche jeden Begriff bei seiner Einführung klar definiert".'^ Talent, Fleiß und ein Höchstmaß an Strebsamkeit sind bei Durchsicht der vorliegenden Jahresresultate bei beiden Boltzmann-Brüdern unverkennbar. Das frei lich vor dem Hintergrund des gesamten Leistungsbildes einer Schulklasse zu beur teilende Ergebnis beeindruckt umso mehr,'® als Ludwig und Albert aufgrund ihrer kränklichen Veranlagung mit Abstand durch die höchsten Jahresfehlstunden auffie len. Zeitlebens litt Ludwig Boltzmann an hartnäckigen Katarrhen und zuletzt an starkem Asthma. Die fallweise Inanspruchnahme von kostspieligem Privatunter richt dürfte deshalb nicht nur bei Albert, sondern auch bei Ludwig durchaus not wendig gewesen sein. Die nächtlichen Studierzeiten der Brüder bei Kerzenlicht (Talgkerzen!) und bis spät in die Nacht hinein - Boltzmann äußerte sich später zu diesem frühen Ehr geiz ziemlich skeptisch - dürften freilich ihren Tribut an die oftmals angeschlagene Gesundheit der beiden gefordert haben. Hier suchte Boltzmann auch die Ursache für seine immer bedrohlicher werdende Sehschwäche.'' Mutter Boltzmann trug hier wohl auch ein bestimmtes Quantum an Mitver antwortung, „suchte sie doch ihre Kinder durch besondere Sorgfalt vor Krankheiten zu schützen, indem sie diese sehr warm anzog und wenig an die Luft ließ. Boltz mann bedauerte später diesen Mangel an körperlicher Ertüchtigung und versuchte seine Kinder zum Sport anzuregen'A° Dennoch, der junge Boltzmann hatte Glück, „sich schon als junger Mensch, aus einer Mittelstandsfamilie stammend und von einer aufopfernden Mutter geför dert, rückhaltlos seinen Studien widmen zu können."®^ Ein wesensmäßiger Einfluß der Mutter auf ihren Erstgeborenen wird nicht unterschätzt werden dürfen, auch hat Maria K. Pauernfeind eine Zeitlang die Karriereschritte ihres Sohnes mitbestimmt.®^ Die Anstrengungen Alberts trugen Früchte, als während einer Schulstunde ein philosophisches Werk (Boltzmann glaubte sich später an Hume erinnern zu können) besonders eindringlich zur Lektüre empfohlen wurde. Sofort verlangten beide danach in der Bibliothek, der Band stand jedoch nur in englischer Originalfassung zur Verfügung. Boltzmann, des Englischen nicht mächtig, stutzte, sein Bruder jedoch meinte: „Wenn das Werk das leistet, was du davon erwartest, so kann auf die Sprache nichts ankommen, denn dann muß ja ohnehin jedes Wort, bevor es gebraucht wird, klar definiert werden.": Boltzmann, Ludwig: Uber die Frage nach der objekäven Existenz der Vorgänge in der un belebten Natur (aus: Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien, Mathem.- naturwiss. Klasse 106, Abt. Ila [Jänner 1897] 83), in: Ludwig Boltzmann. Populäre Schriften, ausge wählt von Broda, Engelbert (Braunschweig - Wiesbaden 1979) 94. ' Im beobachteten Zeitraum 1855-1863 schloß rund ein Viertel aller Schüler das Jahr mit einem Zeug nis 1. Klasse und mit Vorzug ab. ' NÖB 2 (wie Anm. 7) 130. ' Flamm: Leben Boltzmanns (wie Anm. 13) 21. Broda: Ludwig Boltzmann (wie Anm. 7) 13. ■ BJDN 11 (wie Anm. 7) 97.
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