OÖ. Heimatblätter 1994, 48. Jahrgang, Heft 4

OBEROSTERREICHISCHE48. Jahrga

Medieninhaber: Land Oberösterreich Herausgeber: Institut für Volkskultur Leiter: W. Hofrat Dr. Dietmar Assmann Zuschriften (Manuskripte, Besprechungsexem plare) und Bestellungen sind zu richten an den Schriftleiter der OÖ. Heimatblätter: Dr. Alexander Jalkotzy, Institut für Volkskultur, Spittelwiese 4, 4010 Linz, Tel. 0 73 2 / 77 20-56 43 Jahresabonnement (4 Hefte) S 190,- (inkl. 10% MwSt.) Hersteller: Druckerei Rudolf Trauner Ges.m.b.H., Köglstraße 14, 4020 Linz Grafische Gestaltung: Mag. art. Herwig Berger, Hafnerstraße 19, 4020 Linz Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeichnet der jeweilige Verfasser verantwortlich Alle Rechte vorbehalten Für unverlangt eingesandte Manuskripte über nimmt die Schriftleitung keine Haftung ISBN 3-85393-069-7 00 KULTUR Mitarbeiter: Prof. Dr. Rudolf Fochler, Benzstraße 14, 4030 Linz Kons. Fritz Hagendorf, Falterweg 19 b, 4030 Linz Dipl.-Ing. Rudolf Hauptner, Pettenkofengasse 1, 1030 Wien Kons. Otto Kampmüller, Mühlenweg 10, 4100 Ottensheim Mag. Manfred Kern, Institut für Germanistik der Universität Wien, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1,1010 Wien O.-Med.-Rat Dr. Herbert Kneifel, Grallerstraße 8, 4470 Enns Wilhelm Lixl, Heimatverein Frankenburg, Vöcklamarkter Straße 30, 4873 Frankenburg DDr. Alfred Mühlbacher-Parzer, Müller-Guttenbrunn-Straße 6, 4020 Linz Mag. Christine Nobis, Dobl 1, 4973 Senftenbach Dr. Peter Stenitzer, Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung, Römerstraße 14, 4020 Linz Mag. Monika Wöckl, Franz-Kurtz-Straße 15, 4052 Ansfelden Dr. Herbert Wolkerstorfer Klammstraße 2, 4020 Linz Titelblatt: Winterstimmung. Foto: Windtner

Ludwig Boltzmann in Linz - Kindheit, Jugend, Schulzeit (1854-1863) Von Peter Stenitzer Am 10. März 1994 fand im Akademischen Gymnasium Linz ein Festakt statt, in dessen Rahmen in der Treppenhalle der Anstalt eine Gedenktafel zu Ehren eines ehemaligen Schülers übergeben wurde.^ Die fünf in Linz angesiedelten Ludwig-Boltzmann-Institute^ sahen es als ihre Verpflichtung an, sich ihres Namengebers Ludwig Boltzmann (20. Februar 1844 - 5. September 1906) zu besinnen, Schüler und Absolvent des Akademischen Gymnasiums von 1855 bis 1863. Die 150. Wiederkehr des Geburtstages dieses österreichischen Physikers und Mathematikers von Weltrang bildete den äußeren Anlaß der Feierlichkeiten. Als Begleiteffekt des Jubiläums tat sich die Notwendigkeit auf, das herrschende Wissen um die Frühzeit Boltzmanns, insbesondere in bezug auf seine in Linz verbrachten Jahre, zu verdichten und punktuell zu berichtigen.^ Angesichts des bemerkenswerten Werdegangs^ „dieser markanten Persön lichkeit eines großen Naturforschers, Philosophen und Hochschullehrers" schien es vertretbar,' zum einen die Boltzmann in Kindheit und Jugend wohl zeichnenden familiären Verhältnisse und zum anderen das ihn anregende schulische Umfeld ' während seiner Linzer Mittelschulzeit einer Betrachtung zu unterziehen. Die Boltz mann prägenden Jahren zwischen seinem zehnten und neunzehnten Lebensjahr scheinen im Hinblick auf dessen späteren Stellenwert in der Wissenschaftswelt jedenfalls von einiger Aussagekraft. ^ Die feierliche Übergabe nahm Landeshauptmann Dr. Josef Ratzenböck vor. Die Stadt Linz beteiligte sich am Jubiläum durch Stiftung einer an exponierter Stelle angebrachten Gedenktafel (s. Anm. 32). Zum Festakt: Die Linzer Jahre des Physikers Ludwig Boltzmann. Gedenkfeier anläßlich der 150. Wie derkehr seines Geburtstages, in: Pro civitate Austriae. Informationen zur Stadtgeschichtsforschung in Österreich, H. 19 (Linz 1994), 61-63; Akademisches Gymnasium feiert seinen Schüler Ludwig Boltzmann zum 150. Geburtstag, in: Medienservice Stadt Linz (Linz, 18. II. 1994) 5-6. ^ (Ludwig-Boltzmann-)Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung (gegr. 1968, Leiter: Prof. Dr. Ru dolf Ardelt), Institut für Boden-, Planungs- und Europarecht (gegr. 1974, Leiter: Prof. Dr. Ludwig Fröhler), Institut für Stadtgeschichtsforschung (gegr. 1975, Leiter: Prof. Dr. Wilhelm Rausch), Institut für experimentelle Anaesthesiologie und intensivmedizinische Forschung (gegr. 1977, Leiter: Prof. Dr. Hans Bergmann und Doz. Dr. Stanislav Necek), Institut für operative Laparoskopie (gegr. 1993, Lei ter: Prof. Dr. Wolfgang Wayand). ' Diese Aufgabe fiel im Auftrag des Initiators der Gedächtnisveranstaltung, OSenRProf. Dr. Wilhelm Rausch, Dr. Antonia Hajdu und dem Verfasser des Beitrages - beide Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung, Linz - Wien - zu. Dr. Hajdu ist für ihre Mithilfe in der Sichtung jener Ma terialien zu danken, die u. a. die Grundlage für den vorliegenden Text bildeten. " Ordinariate Boltzmanns: 1869-1873 Graz I: Mathematische Physik; 1873-1876 Wien I: Mathematik; 1876-1890 Graz II: Experimentalphysik; 1890-1894 München: Theoretische Physik; 1894-1900 Wien II: Theoretische Physik; 1900-1902 Leipzig: Theoretische Physik; 1902-1906 Wien III: Theore tische Physik und Naturphilosophie. ' Stiller, Wolfgang: Ludwig Boltzmann. Altmeister der klassischen Physik. Wegbereiter der Quanten physik und Evoluhonstheorie (Leipzig 1988) 9.

'ilnautg Ts lllfialyin-. tVtoi !2S. 3. Porträt Ludwig Boltzmanns. Foto: OÖN/Bildarchiv der Osterr. Nationalbibliothek Wissenschaftliches CEuvre, Wirksamkeit und Nachwirken der Boltzmannschen Theoreme können an dieser Stelle freilich nicht dokumentiert und - im Hin blick auf die fachliche Zuständigkeit des Verfassers - qualifiziert werden. Es ist aber zumindest in Erinnerung zu rufen, daß die naturwissenschaftliche Grundlagenarbeit Boltzmanns auf dem mathematisch-physikalischen Forschungsterrain heute als ele mentares Wissensgut gilt. Die Lebensarbeit des letzten herausragenden Exponenten der „klassischen Periode" der Physik, dessen bahnbrechende Arbeiten zugleich die Grundlagen für eine „moderne Physik" schaffen sollten, galt der Einordnung der Thermodynamik in das Weltbild der klassischen Mechanik.'' Als erster Physiker konnte Boltzmann das Prinzip der Entropie (= Umkehrbarkeit der mechanischen Vorgänge) mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung theoretisch beweisen. Mit sei nen klassisch-physikalischen Untersuchungen zur Mechanik und Akustik, Elektround Hydrodynamik sowie zur kinetischen Gastheorie bereicherte und verteidigte er ^ Osterreichische Naturforscher und Techniker (ab nun; ÖNT) (Wien 1950) 49.

bewährte Disziplinen der (theoretischen) Physik gegen entweder zu konservative oder zu modernistische Bestrebungen seiner Zeit. Er ist als wichtiger Wegbereiter der Quantentheorie bzw. -mechanik und als Verfechter der Atomistik anzusehen.' Neuerdings wird der Verfechter einer materialistischen Weltanschauung auch immer wieder im Kontext der anhaltenden Diskussion der Chaostheorie bemüht.® Nicht weniger ist das Geistesleben des mit beachtlichen literarischen und sti listischen Fähigkeiten ausgestatteten Darwinisten Boltzmann in seiner philosophi schen Komponente faßbar.*^ Boltzmann glaubte als Repräsentant einer mechani schen Naturansicht, die Anwendbarkeit der Mechanik auch auf das Gebiet des Geishgen übertragen zu können. Er galt demnach als philosophischer Realist, als Geg ner des Positivismus und des philosophischen Realismus.^" Dabei wurzelten seine philosophischen Neigungen freilich in der idealistischen Denkrichtung, die allen großen Forschern eigen ist, und im Drang nach Klarheit, welcher bei der Beschäfti gung mit prinzipiellen Fragen des Faches zwangsläufig zu erkenntnistheoretischen Überlegungen führt. Und obgleich er Immanuel Kant in rüder Polemik gelegentlich zum Esel herabwürdigte und Arthur Schopenhauer mit der Grobheit Schopenhau ers behandelte - womit er breite Philosophenkreise verdroß'' -, verband ihn seine philosophische Grundshmmung mit der idealistischen Philosophie wohl mehr, als er sich eingestand.'^ ' Übersichtliche (und verständliche) Zusammenfassungen der wissenschaftlichen Verdienste Boltzmanns auswahlweise in: Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog (ab nun: BJDN) 11, Hg.: Bettelheim, Anton, (Berlin 1908) 97-104; Neue Österreichische Biographie (ab nun: NÖB) 2 (Wien 1925) 117-137; ÖNT (wie Anm. 6) 49-51. Intensiv mit der Rolle Boltzmanns als Wissenschafter, Phi losoph und Mensch, auch in seiner Wechselwirkung mit anderen Naturwissenschaftern, befaßte sich: Broda, Engelbert: Rolle und Bedeutung Ludwig Boltzmanns, in: Wissenschaft und Weltbild. Fest schrift für Hertha Firnberg (Wien 1978) 313-322, und Broda, Engelbert: Ludwig Boltzmann. Mensch - Physiker - Philosoph, Hg.: Deutsch, Gitta, und Schönfeld, Thomas, (Wien 2/1986). Zur Weiterent wicklung wie rezenten Rezeption seines wissenschaftlichen Werkes s. Broda: Rolle und Bedeutung Boltzmanns (wie oben) 313-322 und Broda: Ludwig Boltzmann (wie oben) 123-127. ' Zuletzt bei Briggs, John, Peat, F. David: Die Entdeckung des Chaos. Eine Reise durch die Chaos-Theo rie (New York 3/1993) 26-27. ' NÖB 2 (wie Anm. 7) 136; eine prägnante Zusammenfassung der Ansichten und Leistungen Boltz manns auf philosophischem Gebiet bei: Broda: Wissenschaft, Verantwortung, Frieden (wie Anm. 7) 96-97, 120-122 und Broda: Ludwig Boltzmann (wie Anm. 7) 87-91. ' Ludwig Boltzmann. Katalog zur Ausstellung an der Zentralbibliothek für Physik in Wien. Zusam mengestellt von Dick, A., und Kerber, C., (Wien 1983) 24. Über die Prinzipien der Mechanik, Popu läre Schriften (Leipzig 1905) 313. Der Stellenwert Boltzmanns als evolutionistischer Philosoph wurde bei Broda: Wissenschaft, Verantwortung, Frieden (wie Anm. 7) 88-124 beurteilt; dazu auch: Flamm, Dieter: Die Persönlichkeit Ludwig Boltzmanns, in: Ludwig Boltzmann. Gesamtausgabe, Bd. 8: Lud wig Boltzmann, Internationale Tagung anläßlich des 75. Jahrestages seines Todes = Ausgewählte Ab handlungen der internationalen Tagung Wien 1981, Hg.: Sexl, Roman, und Blackmore, John (Graz 1983) 15-17. ' Ludwig Boltzmann. Ausstellungskatalog (wie Anm. 10) 32. Boltzmann begegnete der Schulphiloso phie stets mit Mißtrauen. Als Physiker zur Philosophie gekommen, gingen ihm anfangs systematisch erarbeitete Grundlagen ab; vgl. dazu: Broda: Ludwig Boltzmann (wie Anm. 7) 87. ' BJDN II (wie Anm. 7) 103.

Boltzmanns Äußerungen zur Naturphilosophie, die er im Rahmen eines Lehrauftrages an der Universität Wien ab 1903 auch vortrug, blieben allerdings ohne nachhaltigen Einfluß auf den seit 1922 bestehenden „Wiener Kreis", einer neopositivistischen Diskussionsrunde. Die Familie Der elterliche Hintergrund scheint bei Betrachtung herausragender Persön lichkeiten in biographischer Form immer wieder von Interesse. Nicht zuletzt werden oftmals spezifische Eigenheiten und Charakterzüge des untersuchten Individuums als bereits im Elternhaus verankerte Veranlagungen erkannt. Ginge man hiervon aus, müßten sich etwa einzelne, weiter unten noch aufzuführende Fähigkeiten Lud wig Georg Boltzmanns (1802-1859), Vater des Physikers und k. k. Steuerbeamter in höherer Verwendung, in nicht geringem Ausmaß auf seinen Nachwuchs, vor allem auf die beiden Söhne (Tochter Hedwig starb im Zustand geistiger Umnachtung), übertragen haben. Auch vor diesem Hintergrund könnten deren herausragende schulische Beurteilungen, vor allem jedoch der Werdegang Ludwigs, gesehen wer den. Am äußeren Verlauf der Kindheits- und Jugendjahre des späteren Naturwis senschafters von internationalem Format fallen auf den ersten Blick keine spektaku lären Wendepunkte auf. Am 20. Februar 1844 in Wien III, Landstraße Hauptstraße Nr. 286 in eine bürgerliche Familie und somit in gesicherte materielle Verhältnisse hineingeboren, wurde er am nächstfolgenden Tag in der Vorstadtpfarre St. Rochus und Sebastian als ehelicher Sohn eines Protestanten und einer Katholikin auf den Namen Ludwig Eduard getauft." Seine materne Abstammungslinie weist nach Salz burg: Die Mutter, Maria Katharina Pauernfeind (1810-1885), gehörte als Tochter des Gewürzwarenhändlers Johann Christian Pauernfeind (*1783)" und dessen Gattin Elisabeth, geb. Winninger, einer angesehenen Salzburger Handelsfamilie an. Väterli cherseits kamen Boltzmanns protestantische Vorfahren aus Königsberg (in der Neu mark, Preußen"). Der Großvater, Gottfried Ludwig Boltzmann (*1770), ein Berliner Spieluhrenerzeuger, übersiedelte 1807 nach Wien. Sein Sohn Ludwig Georg (siehe oben) trat nach kurzer militärischer Verwendung als Versorgungsunteroffizier" in Auszug aus dem Taufbuch in: Ludwig Boltzmann. Ausstellungskatalog (wie Anm. 10) 2; Flamm, Die ter: Aus dem Leben Ludwig Boltzmanns, in: Ludwig Boltzmann. Gesamtausgabe, Bd. 8: Ludwig Boltzmann. Internationale Tagung anläßlich des 75. Jahrestages seines Todes = Ausgewählte Ab handlungen der internationalen Tagung Wien 1981, Hg.: Sexl, Roman, und Blackmore, John (Graz 1983) 21; Broda: Rolle und Bedeutung Boltzmanns (wie Anm. 7) 313. " Auch: Bauernfeind. 1833 mit zwei weiteren Kaufleuten als namhafter Vertreter des Salzburger Han delsstandes bzw. als ordentliches Mitglied der „Filialhandelskommission" in Salzburg genannt: Ge schichte Salzburgs. Stadt und Land, Bd. 11/4. Hg.: Dopsch, Heinz, und Spatzenegger, Hans, (Salzburg 1991) 2254. " Seit 1945: Woiwodschaft Zielona Gorä/PL. 1828-1830 Fourier im 14. Linien-Infanterieregiment: Österreichisches Staatsarchiv, Wien: Finanzar chiv (Abteilung 11 - Bancale: Fasz. 4/2: Diensttabelle 1855) (ab nun: FinA 11 - 4/2).

den zivilen Bereich des öffentlichen Dienstes über. Dort bekleidete er die Funktion eines Kameralbeamten (Steuer- bzw. Finanzbeamten), ein Berufsbild freilich, das zahlreiche Versetzungen mit sich brachte. Vater Boltzmann kam deshalb in Wien, Oberösterreich und Salzburg zum Einsatz. Dabei durchlief er die einzelnen Beam tenchargen dem vorgegebenen Laufbahnschema der (Finanz-)Verwaltungsbehörden gemäß 1830 zum Konzeptspraktikanten" ernannt, war Boltzmann 1830-1833 in Linz der Zoll- und Kameralgefälleverwaltung zugeteilt." 1834 versetzte man ihn kurzzeitig nach Salzburg und von dort im folgenden Jahr wieder nach Linz zurück. Als Konzeptsoffizial des Salzachkreises kam er 1836-1839 erneut nach Salzburg, wo er 1837 Maria Katharina Pauernfeind in der Kirche zu Maria Flain bei Salzburg ehe lichte. 1844 gebar sie ihrem Gatten den ersten Nachwuchs: Auf Ludwig Eduard (1844-1906) folgten noch Albert (1846-1863) und Hedwig (1848-1890).^° 1840 beorderte man den Konzipisten Boltzmann nach Ried im Innkreis, 1841/42 hielt er sich - noch immer in der obgenannten Funktion - an der KameraiGefälleverwaltung Linz auf, von wo er 1843 nach Wien berufen wurde. 1847 erhob man ihn zum Kameral-Bezirkskommissär II. Klasse und schickte ihn an die Kame rai-Bezirksverwaltungen in Salzburg (1847-1851), Wels (1851-1854) und Linz (18541859).^^ 1851-1855 bekleidete Boltzmann die Planstelle eines Bezirkskommissärs 1. Klasse („Erster Bezirkskommissär"). 1855, im Zuge der Umgestaltung der Linzer Bezirks Verwaltung in eine „Finanzbezirksdirektion" bei gleichbleibendem Aufgabenbereich wurde Boltzmann zum Finanz-Bezirkskommissär 1. Klasse mit 1.000 fl Jahresgehalt ernannt.^^ Nachfolgende Feststellungen stützen sich teils auf Angaben in den (obderennsisch-salzburgischen) Provinzialhandbüchern bzw. Staatsschematismen für den Zeitraum I831-I848 und 1855-1859, teils - weil für 1849-1854 diese Hilfsmittel nicht verfügbar sind - mußte auf Archivmaterial der zentralen Fi nanzverwaltung (s. Anm. 16) zurückgegriffen werden. ' Konzeptsbeamte waren - wie auch Vater Boltzmann - zumeist vollständig ausgebildete Juristen, die allerdings kaum den Doktortitel führten. Diesen trugen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nur wenige Beamte. Der Konzeptsdienst wäre demnach - sehr vergröbert - dem gegenwärtigen „Höheren Dienst" (A-Dienst) des öffentlichen Dienstes vergleichbar: Megner, Karl; Das mittlere und niedere Beamtentum, in: Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs. 1. T: Von der Revolution zur Gründerzeit 18481880, Beiträge (= Katalog des NÖ. Landesmuseums, NF 147) (Wien 1984) 204. ' FinA II - 4/2: Diensttabelle 1855. Zum Aufgabenbereich dieser in der Finanzverwaltung 1830 etablier ten Mittelbehörde s. Kirchweger, Robert: Die Entwicklung der österreichischen Finanzlandesbehör den (Wien 1971) 27-29.1832 wurden innerhalb dieser Finanzinstanzen die Kameralbezirksverwaltungen als Lokalbehörden eingerichtet. Sie besorgten zwar dieselben Amtsgeschäfte, ihre Führungs ebene war jedoch nicht kollegial organisiert: An der Spitze dieser vereinigten Finanz- und Politischen Behörde standen der Bezirksvorsteher, dessen Stellvertreter sowie als dritthöchster Amtsträger der Kameralkommissär 1. Klasse, eine Charge, die Vater Boltzmann ab 1851 in Salzburg innehatte. ' Höflechner, Walter - Hohenester, Adolf: Ludwig Boltzmann (1844-1906), Vollender der klassischen Thermodynamik. Eine Dokumentation des Deutschen Museums München und der Karl-Franzens-. Universität Graz (Graz 1985) 152. FinA II - 4/2: Kompetententabelle 1850, Diensttabelle 1855; Provinzialhandbücher für OÖ. und Sbg. 1831-1848 sowie 1855-1859; Linzer Zeitung Nr. 144 vom 26. 6. 1859. ' FinA II - 4/2: Bericht der k. k. Finanzlandesdirektion für Ober- und Unterenns an das k. k. Finanzmi nisterium, Sektion II (11. 10. 1855). Eine Änderung seiner Funktion hatte dies nicht zur Folge.

Den freilich schematisch und formelhaft abgefaßten Dienstbeschreibungen (1850, 1855) zufolge war der Finanzbeamte Boltzmann bei seinen Vorgesetzten gut angeschrieben. Als Qualifikationen wurden ihm u.a. ein juridisch-politisches Stu dium und Fremdsprachenkenntnisse (Italienisch, Französisch und Latein) attestiert, ferner ausgezeichnete administrative Fähigkeiten wie auch durch Zertifikate nachge wiesenes Wissen um Landwirtschaftslehre und Pädagogik. Dem stellvertretenden Bezirksvorsteher der k.k. Kamerai-Bezirksverwal tung Salzburg fiel er durch regen Eifer, ausdauernden Fleiß, ein fiöchstmaß an Genauigkeit sowie Verläßlichkeit in allen ihm übertragenen Tätigkeiten auf (1850). Auch gute Routine in Amtsangelegenheiten, ausgeprägter Ordnungssinn sowie Pflichttreue in seiner politischen Haltung wurden ihm zugute gehalten (1855)." Die letztgenannte Eigenschaft sollte später zumindest nach außen hin auch seinem Sohn Ludwig Eduard zu eigen sein.^^ Auch schätzte man die Verdienste des Kameralkommissärs Boltzmann in seiner Funktion als Amtsvertreter des oftmals abwesenden Salzburger Bezirksvorstehers.^' Eine Dienstversetzung Vater Boltzmanns machte 1847 den Umzug der Fami lie von Wien nach Salzburg notwendig. Vermutlich sind die Angehörigen auch 1851 im Zuge eines neuerlichen Wechsels des Dienststandortes Boltzmanns - diesmal nach Wels - nachgeholt worden. Zum Jahreswechsel 1854/55 läßt sich die Familie bereits in Linz nachweisen," einer Stadt, mit der Vater Boltzmann aufgrund von sechs dort bereits zugebrachten Dienstjahren ohnedies vertraut war. Daß er 1855 als ordentliches Mitglied in das Museum Francisco Carolinum (OO. Musealverein) aufgenommen wurde, ist wohl als Indiz zu werten, daß man sich um einen Zugang zur kultivierten Bürgerschicht bemühte und daß das Famili- " FinA II - 4/2: Kompetententabelle 1850, Diensttabelle 1855. " Den Physiker störte in Österreich bzw. Wien, wie er 1898 meinte, vor allem die Unruhe in den politi schen Verhältnissen: Broda: Wissenschaft, Verantwortung, Frieden (wie Anm. 7) 153. Dabei dürfte seine eigene politische Gesinnung durchaus mehrschichtig zu charakterisieren sein. Hält man sich an das vorliegende Schrifttum hiezu, so schätzte man ihn, den kaiserlichen Beamten, k.k. Hofrat (1889) und Regierungsrat (1881), freilich als habsburgloyalen Patrioten ein. In der unmittelbaren Nach kriegszeit schließlich vereinnahmte man Boltzmann als „gut deutsch gesinnten Mann", dessen Vereh rung des Deutschtums in der Bewunderung Bismarcks und Moltkes gegipfelt hätte: NÖB 2 (wie Anm. 7) 137. Nicht zuletzt wurden Boltzmann auch Sympathien für republikanische Auffassungen nachgesagt: Broda: Wissenschaft, Verantwortung, Frieden (wie Anm. 7) 85. " FinA II - 4/2: Diensttabelle 1855. Im „Verzeichnis jener Personen, welche statt des Neujahr-Ceremoniells Karten gelöst haben in der Buchhandlung des Herrn Quirin Haslinger" (Linzer Zeitung Nr. 1 vom 2. 1. 1855), scheint der k.k. Kameralkommissär Ludwig Boltzmann mit seiner Frau Katharina auf.

enoberhaupt als Bediensteter der höheren Finanzverwaltung den Konventionen des etablierten Linzer Bildungsbürgertums zu entsprechen versuchted^ In Linz nun erfuhr der mittlerweile zehnjährige Ludwig E. Boltzmann Ent wicklung und Förderung seiner Fähigkeiten und Talente. Wesentliche Verantwor tung hierin dürfte neben dem familiären Bezug auch dem ihm offenbar zuträglichen schulischen Milieu zugekommen sein. Am neuen Wohnort ließen sich die Boltzmanns im Zeitraum 1854/55-1858 vorerst in einem Teil des 2. Stockwerks des Eckhauses Spittelwiese 1/Landstraße 24 (beherbergt heute ein Cafe) nieder. 1858 wechselte man in das Objekt Spittel wiese 7.^® Beide Gebäude hatten damals denselben Besitzer. 1859 schließlich wurde wieder das Eckhaus Spittelwiese/Landstraße bezogen.^' Nach dem frühen Tod des lungenkranken Vaters (1859)®° - Ludwig hat diesen Verlust zeit seines Lebens nicht verwunden®® - kamen die Hinterbliebenen im Haus Herrengasse 583 (heute: Herren straße) unter. Dieses Gebäude, im Bereich der nunmehrigen Parkanlage beim Neuen Dom gelegen, wurde jedoch noch im selben Jahr vom Dombauverein angekauft, um für den Dombau Platz zu schaffen. 1862/63 ist die Familie am Hauptplatz 20 nachge wiesen, im sogenannten Schmidtberger-Haus.®® Aus diesem zog sie - mittlerweile nur mehr aus Mutter, Schwester und Ludwig selbst bestehend - frühestens 1863 aus, um dem nunmehrigen Studenten nach Wien zu folgen. Durch diese wohl aus finanziellen Erwägungen heraus erfolgte Auflassung des Linzer Haushalts durch Mutter Boltzmann wurde Ludwig das Studium überhaupt erst ermöglicht. Schule und Lehrer Ludwig Boltzmann, der seinen Elementarunterricht in Salzburg bzw. Wels erfahren hat,®® ist gemeinsam mit seinem jüngsten Bruder Albert als regulärer SchüProvinzialhandbuch für Österreich ob der Enns (1855) 262; Oberösterreichisches Landesarchiv, Be stand Musealarchiv: Aufnahmeprotokoll vom 23. 6. 1855. ' Provinzialhandbuch für Österreich ob der Enns (1855) 192, 262, (1858) 82, 87. Die Zuordnung der al ten Konskriptionsnummern zu den heute geltenden fiausnummern unter Zuhilfenahme von: Kreczi, Hanns: Linzer Häuserchronik (Linz 1941). ' Archiv der Stadt Linz (ab nun: StA): Konskriptionsprotokoll des Hauses Nr. 31. ' Ludwig G. Boltzmann dürfte auf dem neuen Barbarafriedhof beigesetzt worden sein. Da aber die Be gräbnisbücher gerade für die Frühzeit seiner Belegung fehlen, kann hier mit letzter Sicherheit keine Aussage getroffen werden. - Flamm: Leben Boltzmanns (wie Anm. 13) 21. ' Zum Schmidtberger-Haus (nach dem Besitzer von 1595, Bürgermeister Siegmund Schmidtberger): Österreichische Kunsttopographie (ab nun: ÖKT) 42: Die Profanen Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Linz, 1. T. (Wien 1977) 203-204. Das Gebäude befand sich ab 1792 und auch noch zur Zeit, als es von der Familie Boltzmann mit zwei weiteren Mietern bewohnt wurde, im Besitz der Kaufmanns familie Hafferl: StA: Konskriptionsprotokoll des Hauses Nr. 31. An der Außenfassade des nunmehri gen Modehauses Resmann erinnert nunmehr eine Gedenktafel an den einstigen Bewohner und an den stadthistorisch denkwürdigen Zusammenhang. ' Nach Flamm: Leben Boltzmanns (wie Anm. 13) 21, wurde Boltzmann der schulische Grundstoff durch Privatlehrer vermittelt; vgl. dazu auch Stiller: Ludwig Boltzmann (wie Anm. 5) 10.

Das vormalige Akademische Gymnasium in Linz, Domgasse 12. Lithographie von Johann Hardinger um 1840, Graphische Sammlung Nordico. Foto: Stadtmuseum Nordico, Linz 1er am achtstufigen^'' k. k. Akademischen Gymnasium^' erstmals im Schuljahr 1855/56 nachweisbar/^ Vor ihrem Eintritt in diese Anstalt dürften die Brüder läng stens ein Jahr lang auf das Gymnasium vorbereitenden Privatunterricht genossen habend^ Zu Reorganisation und Neuausrictitung wie auch Umstrulcturierung (v. a, der Lehrpläne) der seit 1849 achtstufig geführten „Mittelschulen" s. überblicksweise Engelbrecht, Helmut: Bildungspolitik und Unterrichtswesen, in: Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs. 1. T: Von der Revolution zur Gründer zeit 1848-1880, Beiträge (= Katalog des NÖ. Landesmuseums, NF 147) (Wien 1984) 367-369. Zum Mittelschulwesen während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts: Engelbrecht, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs, Bd. 4: Von 1848 bis zum Ende der Monarchie (Wien 1986) 157-170. Zum Werden dieser Anstalt, dem einzigen Gymnasium in Linz zu dieser Zeit, s. Ardelt, Rudolf: Das Akademische Gymnasium zu Linz und die Errichtung seines Neubaues im Jahre 1873, in: 121. Jahres bericht über die Schuljahre 1971/72 und 1972/73 (Linz 1973) 11; dort auch eine kurzgefaßte Darstel lung der Anstaltsgeschichte für die Periode 1848-1873; der Zeitraum 1608-1855 hingegen bei: Gaisberger, Joseph: Geschichte des k.k. akademischen Gymnasiums zu Linz (Linz 1855) 10-122. Ferner vgl. Sokolicek, Erika: Was heißt Akademisches Gmynasium?, in: 140. Jahresbericht des Akademi schen Gymnasiums Linz 1992/93 = 450 Jahre Akademisches Gymnasium. Festschrift (Linz 1993) 4144.

Das Gymnasium war zur Studienzeit Boltzmanns freilich noch nicht an sei nem heutigen Standort (seit 1873: Spittelwiese 14) beheimatet.'® Die Lehrstoffver mittlung fand in den fünfziger Jahren trotz intensiver Bemühungen um eine zentrale Unterrichtsstätte noch immer auf mehrere Standorte verteilt statt: Zum einen (seit 1807) im ehemaligen Seminargebäude des Jesuitenordens, Domgasse 12 (seit 1874: OÖ. Volkskreditbank)," zum anderen wurde der Unterricht der 7. und 8. Klasse im alten Lyzealgebäude (Rathausgasse 8)^" abgehalten. Den Naturlehre- und Physik stoff bekam man bis 1873 im 2. Stock des Kremsmünsterer Hauses (heute: „Kloster hof", Landstraße 30),"' und zwar in dem dort bis 1883 untergebrachten Physikali schen Museum (Museum physicum), vermittelt."' Daneben befanden sich in diesem Gebäude noch (Studien-)Bibliothek (bis 1928) und Naturhistorisches Kabinett als weitere Lehrmittel des Gymnasiums."' Die eheliche Verbindung Ludwig Georg Boltzmanns mit Maria K. Pauernfeind dürfte für den mit Geld- und Sachgütern kaum verwöhnten Offizial materielle Erleichterungen zur Folge gehabt haben."" Dies kam nicht zuletzt der schulischen ' Archiv des Akademischen Gymnasiums, Linz (ab nun: AAG): Katalog der 1. Klasse, Schuljahr 1855/ 1856. Zulassungsprüfungen (ab 1870 verordnet) waren an den Gymnasien nicht vorgesehen, obwohl diese berechtigt waren, im Zweifelsfall das erforderliche Wissen zu überprüfen. Im allgemeinen ge nügte der Nachweis, daß der Aspirant die Elementarschule erfolgreich durchlaufen bzw. sich in Pri vatunterricht die notwendigen Kenntnisse angeeignet hatte. Daneben führten manche Gymnasien Vorbereitungsklassen bzw. EinsKegskurse durch; Engelbrecht: Österreichisches Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 159. ' Diese Angabe bei Stiller: Ludwig Boltzmann (wie Anm. 5) 10, doch ohne Quellenverweis. Das früher in gehobenen Kreisen häufig anzutreffende Privatstudium verlor während der zweiten Hälfte des 19. Jh. stark an Attraktivität. Der Grund hiefür lag im wesentlichen im wachsenden Vertrauen in die zu nehmende Zahl öffentlicher Lehranstalten, doch dürften auch die meist ungünstigeren Prüfungser gebnisse bei Privatisten eine Rolle gespielt haben: Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 166-167. ' Sokolicek, Erika: Bericht über die Ausstellung anläßlich des 450-Jahr-]ubiläums, in: 140. Jahresbe richt des Akademischen Gymnasiums Linz 1992/93 = 450 Jahre Akademisches Gymnasium. Fest schrift (Linz 1993) 30-40. Jene Gymnasien, die ihre durch Neuorganisation seit den späten vierziger Jahren des 19. Jh. hinzugefügten zwei Klassen zunächst meist in Anbauten unterbrachten, zogen spä ter zumeist in neue Häuser. Zum allgemeinen Raummangel der verschiedenen Schultypen v. a. nach 1849 und dessen Behebung durch rege Neubautätigkeit während der franzisko-josephinischen Ära s. Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 55-56. Die Höhepunkte dieser großteils im Stil des Historismus gehaltenen Bautätigkeit lagen zwischen 1868-1877 und 1888-1914. ' ÖKT 42, 1. T. (wie Anm. 32) 126-128. ' 1687-1776 Garstener Stiftshaus: ÖKT 42, 1. .T (wie Anm. 32) 409-410. ' Bis 1784 dem SHft Baumgartenberg gehörend, danach Stift Kremsmünster: Kreczi: Linzer Häuser chronik (wie Anm. 28) 47, Nr. 525; ÖKT 42, 2. Teil (wie Anm. 32) 169. ' Ardelt: Akademisches Gymnasium Linz (wie Anm. 35) 13; Gaisberger: Akademisches Gymnasium (wie Anm. 35) 119. ' Rausch, Wilhelm: Ludwig Boltzmann in Linz. Festvortrag im Rahmen der Boltzmann-Gedenkfeier am 10. 3. 1994 im Akademischen Gymnasium Linz (dem Referenten ist für die Überlassung seines Vortragsmanuskripts Dank zu sagen); Ardelt: Akademisches Gymnasium Linz (wie Anm. 35) 8, 12. ' Zu dieser Situation v. a. Megner: Mittleres und niederes Beamtentum (wie Anm. 18) 206.

Ausbildung beider Söhne zugute, zumal deren Bildungsweg aufwendig verlief: Weniger, weil keinerlei Befreiung vom Schulgeld beansprucht werden konnte,^' son dern weil beide zeitweise durch Privatlehrer unterrichtet werden mußten. Doch schon allein das Schulgeld für beide Kinder belastete Vater Boltzmann mit rund fünf Prozent seiner jährlichen Bezüge. Nach seinem Tod sorgte die Witwe unter Aufbietung aller ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für eine Weiterführung der fachlichen und musischen Ausbildung ihrer Söhne, vor allem Ludwigs. Diese Anstrengungen kosteten sie ver mutlich den Großteil ihres in die Ehe eingebrachten Vermögens."^ Vor Betrachtung der im Archiv des Gymnasiums aufbewahrten Leistungsbeurteilungen"^ ist ein Blick auf das zu Boltzmanns Schulzeit im Akademischen Gym nasium gehandhabte, durchaus flexible Klassifikationsschema, zu werfen. Die Notenskala sah ab 1851 in den Leistungsfächern die Zensuren „vorzüglich", „sehr gut", „gut", „genügend", „kaum genügend", „ungenügend" und „entschieden ungenü gend" vor. Die sogenannten Fleißnoten gaben mit „ausgezeichnet", „ununterbrochen (beharrlich) rege", „lässig" und „gering" über die Sorgfalt der Schüler Auskunft (ab 1854: „ausgezeichnet", „beharrlich", „ununterbrochen rege", „lässig", „gering"). Den Aufmerksamkeitsgrad glaubte man vorerst mit „sehr groß", „anhaltend", „unstet" und „wenig", d. h. teilnahmslos bis zerstreut (ab 1854: „immer wach und rege", „sehr gespannt", „wach und rege", „gespannt", „anhaltend"), messen zu können, das sittli che Verhalten schließlich mit „vorzüglich", „sehr gut", „gut" und „minder gut" (ab 1854: „musterhaft", „sehr lobenswert", „lobenswert", ab 1860: 5 Stufen).''® In den flöchstbewertungen lehnte sich der Lehrkörper des Akademischen Gymnasiums zeitweise an die „Bayerische Klassifikation" an, die zwei Grade einer sehr guten (Bestbeurteilung bzw. 1. Stufe: „ausgezeichnet", 2. Stufe: „vorzüglich") und guten Beurteilung („gut", „hinlänglich gut") kannte.''^ Das an österreichischen Gymnasien 1784 eingeführte, in seiner Höhe nicht unbeträchtliche jährliche Schulgeld (dazu: Strakosch-Graßmann, Gustav: Geschichte des österreichischen Unterrichtswesens [Wien 1905] 118; Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 [wie Anm. 34] 62-63, 374), betrug z. B. 1854 am Linzer Gymnasium 23 fl. Neueintritte hatten ferner 160 fl Aufnahmetaxe zu entrichten: Jahresbe richt des Gymnasiums 1854 (Schuljahr 1853/54). Schulgeldbefreiungen (oder -ermäßigungen) wur den bei disziplinären Verstößen der Schüler jedoch rasch aufgehoben: AAG: Schlußkonferenz für die 8. Klasse vom 12. 2.1863. Ludwig Boltzmann. Ausstellungskatalog (wie Anm. 10) 1. " Hiezu wurden die Kataloge der 1. bis 8. Klasse der Schuljahre 1855/56-1862/63 (enthalten im Haupt katalog 1855-1863) herangezogen, ferner die Konferenzprotokolle für den Zeitraum 1854-1863 so wie die Jahresberichte des Gymnasiums (1854-1863). Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 168, moniert mit Recht, daß eine systematische Auswertung von Klassenkatalogen der Mit telschulen - mit Ausnahme des Gymnasiums Krems/NÖ. für den Zeitraum 1861-1891 - bislang un terblieben ist. Uber Stichproben hinausgehende Untersuchungen wären wohl von einiger Aussage kraft zur sozialen Herkunft bzw. Schichtung der Schülerschaft. AAG: Konferenzprotokolle: 27.1. 1851, 21. 2.1854.1908 erfolgte eine Beschränkung der Notenskala auf vier Stufen (sehr gut, gut, genügend, nicht genügend): Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 187. AAG: Konferenzprotokolle: Sitzungsprotokolle vom 27. 1. 1851 und 21. 2. 1854.

über die eigentliche, auf Unterrichtsfächer bezogene Notengebung hinaus gehend wurden die Schüler auch nach ihrer Zugehörigkeit zu Zeugnis- bzw. „Fort gangsklassen" (I, II und III; bis 1908 in Kraft) unterschieden und außerdem nach Lokationsnummern (bis 1886 in Kraft) gereiht, d. h. nach ihrem notenmäßigen Rang innerhalb der Gesamtschülerzahl einer Klasse bewertet. In späterer Kritik verwarf Boltzmann die damals weithin übliche leistungsabhängige Sitzplatzordnung der Schüler im Klassenzimmer, wie er überhaupt dem geltenden Klassifikationssystem rückblickend absolut ablehnend gegenüberstand, weil es, wie er meinte, „nur zu fal schem Strebertum führe, dem weniger darum zu tun ist, wirklich viel zu lernen, als vielmehr nur darum, seine Rivalen zu übervorteilen".®" Benotungsmodus und Selek tionsprinzip bewirkten immerhin, daß sich in Boltzmanns Klasse die Schülerzahl im Verlauf der acht Schulstufen von 82 auf 29, d.h. auf 35 Prozent verringerte. Die durchschnittliche Ausfallsquote belief sich auf jährliche 16 Prozent,®^ wobei sich besonders der Aufstieg von der 2. in die 3. und jener von der 4. in die 5. Klasse als große Hürde erwies: 25 Prozent bzw. 32 Prozent der Schüler bewältigten diesen Wechsel nicht. Die beengten räumlichen Verhältnisse ließen im übrigen kaum mehr als klas sischen Frontalunterricht zu.®^ Umso notwendiger war es unter diesen Bedingungen, dem beschwerlichen Schulalltag - so weit es ging - zeitweise zu entrinnen, und auch die Vorzüge eines Schülerlebens voll auszukosten. 1863 mußte die Lehrerschaft des Linzer Gymnasiums feststellen, „daß das Verbot, Gasthäuser zu besuchen, von nicht wenigen Schülern übertreten wurde. Selbst unter den Schülern unterer Klassen trat der Hang hierzu hervor".®® Schülerbeurteilung Ludwig Boltzmann:®^ 1. Klasse, Schuljahr 1855/56 I. Semester Sittliches Betragen: musterhaft Aufmerksamkeit: immer wach und rege Fleiß: ausgezeichnet Religionslehre: vorzüglich Lateinische Sprache: ausgezeichnet II. Semester musterhaft immer wach und rege ausgezeichnet vorzüglich ausgezeichnet ' NÖB 2 (wie Anm. 7) 130. Damit lag man etwas unter dem österreichweiten Mittelwert der 1850er und 1860er Jahre mit 20 %, Vgl. dazu die Angaben bei: Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 167. ' Seit 1849 durfte die bisherige Höchstzahl von 80 Schülern zwar nicht mehr überschritten werden, in den Anfangsklassen einiger Gymnasien auf dem Boden des heutigen Bundesgebietes war eine vor übergehende Überschreitung des gesetzlichen Rahmens aber kaum zu vermeiden. Als wünschens werte Größe sah man 1849 50 Unterrichtsteilnehmer an; diese wurde 1857 zur Norm erklärt, wobei bei wesentlicher Überschreitung die Führung von Parallelklassen erlaubt war: Engelbrecht: Osterr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 167. ' AAG: Schlußkonferenz für die 8. Klasse vom 12. 2. 1863; s. a. Anm. 88. ' AAG: Kataloge der I. bis 8. Klasse, Schuljahre 1855/56-1862/63. Einen schematischen Lehrplan für Pflichtgegenstände an den acht Gymnasialklassen (1849) bei: Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 494-499; ebd., 157-163, eine allgemeine Erörterung von Unterrichtsgegenständen und Bildungsinhalten.

Deutsche Sprache: Geographie und Geschichte: Mathematik: Naturwissenschaften (und Physik): Schönschreiben: Außere Form der schriftl. Aufsätze: Fehlstunden: Zeugnisklasse: Lokationsnummer: 8, Klasse, Schuljahr 1862/63 Sittliches Betragen: Aufmerksamkeit: Fleiß: Religionslehre: Lateinische Sprache: Griechische Sprache: Deutsche Sprache: Geographie und Geschichte: Mathematik: Naturwissenschaften (und Physik): Psychologie: Außere Form der schriftl. Aufsätze: Fehlstunden: Zeugnisklasse: Lokationsnummer: vorzüglich vorzüglich vorzüglich vorzüglich vorzüglich sehr gefällig und ordentlich 29 L Vorzug I musterhaft gespannt ausgezeichnet ausgezeichnet vorzüglich vorzüglich vorzüglich ausgezeichnet vorzüglich vorzüglich ausgezeichnet sehr sorgfältig 45 I, Vorzug 1 vorzüglich vorzüglich vorzüglich vorzüglich vorzüglich gefällig und ordentlich 67 1, Vorzug musterhaft gespannt ausgezeichnet ausgezeichnet vorzüglich vorzüglich vorzüglich vorzüglich vorzüglich vorzüglich ausgezeichnet sehr sorgfältig 15 I, Vorzug 1 Die Schülerbeurteilungen von Ludwig Boltzmann von der 1. bis zur 8. Klasse lassen erkennen, daß der auffällig zielstrebige Boltzmann während aller acht Jahrgänge lediglich im jeweils 2. Semester der 3., 4. und 5. Klasse als Leistungszweiter gereiht war. Während des Besuchs der übrigen Klassen nahm er hingegen stets die Stellung des Klassenprimus ein. Lediglich in der letzten Schulstufe mußte er im Freifach Italienisch ein „gut" hinnehmen (siehe weiter unten: Semestrainoten 1862/63). Sein um zwei Jahre jüngerer, nicht weniger hochbegabter Bruder Albert scheint während der beiden in einer Klasse gemeinsam verbrachten Schuljahre (1855-1857) in der Leistungsbeurteilung immerhin noch als Klassenzweiter auf. Der an einem Lungendefekt Laborierende konnte ab der 3. Klasse - wahrscheinlich auf grund schulischer Infektionsvorbeuge - das Obergymnasium nur mehr als Privat studierender absolvieren. Er blieb formell zwar eine Zeitlang im Schulverband, durfte dort aber nur mehr seine Halbjahresprüfungen ablegen.'® Am 14. Februar 1863 erlag er als Siebzehnjähriger „seinem mehrjährigen Lungenübel"." 13. Jahresbericht des Gymnasiums zum Schuljahr 1862/63: Chronik, 34. Demzufolge war der externe Schüler Albert Boltzmann eingeschriebener Anstaltszögling bis in die 5. Klasse, dies mit großer Aus zeichnung, und wurde nach Ausscheiden aus dem Schulverband bis zu seinem Tod privat unterrich tet. Im Hauptkatalog scheint er nur in den Schuljahren 1855/56 und 1856/57 als ordentlicher Schüler auf. Todesanzeige in der Linzer Zeitung Nr. 40 vom 14. 2. 1863.

Es ist anzunehmen, daß zwischen beiden Brüdern ein fruchtbarer Gedanken austausch, wenigstens ein wechselseitiger Lernprozeß stattgefunden hat. Noch 1897 berichtete Boltzmann von den Bemühungen Alberts während der Linzer Gymnasi alzeit, ihn „von der Widersinnigkeit meines Ideals einer Philosophie zu überzeugen [...], welche jeden Begriff bei seiner Einführung klar definiert".'^ Talent, Fleiß und ein Höchstmaß an Strebsamkeit sind bei Durchsicht der vorliegenden Jahresresultate bei beiden Boltzmann-Brüdern unverkennbar. Das frei lich vor dem Hintergrund des gesamten Leistungsbildes einer Schulklasse zu beur teilende Ergebnis beeindruckt umso mehr,'® als Ludwig und Albert aufgrund ihrer kränklichen Veranlagung mit Abstand durch die höchsten Jahresfehlstunden auffie len. Zeitlebens litt Ludwig Boltzmann an hartnäckigen Katarrhen und zuletzt an starkem Asthma. Die fallweise Inanspruchnahme von kostspieligem Privatunter richt dürfte deshalb nicht nur bei Albert, sondern auch bei Ludwig durchaus not wendig gewesen sein. Die nächtlichen Studierzeiten der Brüder bei Kerzenlicht (Talgkerzen!) und bis spät in die Nacht hinein - Boltzmann äußerte sich später zu diesem frühen Ehr geiz ziemlich skeptisch - dürften freilich ihren Tribut an die oftmals angeschlagene Gesundheit der beiden gefordert haben. Hier suchte Boltzmann auch die Ursache für seine immer bedrohlicher werdende Sehschwäche.'' Mutter Boltzmann trug hier wohl auch ein bestimmtes Quantum an Mitver antwortung, „suchte sie doch ihre Kinder durch besondere Sorgfalt vor Krankheiten zu schützen, indem sie diese sehr warm anzog und wenig an die Luft ließ. Boltz mann bedauerte später diesen Mangel an körperlicher Ertüchtigung und versuchte seine Kinder zum Sport anzuregen'A° Dennoch, der junge Boltzmann hatte Glück, „sich schon als junger Mensch, aus einer Mittelstandsfamilie stammend und von einer aufopfernden Mutter geför dert, rückhaltlos seinen Studien widmen zu können."®^ Ein wesensmäßiger Einfluß der Mutter auf ihren Erstgeborenen wird nicht unterschätzt werden dürfen, auch hat Maria K. Pauernfeind eine Zeitlang die Karriereschritte ihres Sohnes mitbestimmt.®^ Die Anstrengungen Alberts trugen Früchte, als während einer Schulstunde ein philosophisches Werk (Boltzmann glaubte sich später an Hume erinnern zu können) besonders eindringlich zur Lektüre empfohlen wurde. Sofort verlangten beide danach in der Bibliothek, der Band stand jedoch nur in englischer Originalfassung zur Verfügung. Boltzmann, des Englischen nicht mächtig, stutzte, sein Bruder jedoch meinte: „Wenn das Werk das leistet, was du davon erwartest, so kann auf die Sprache nichts ankommen, denn dann muß ja ohnehin jedes Wort, bevor es gebraucht wird, klar definiert werden.": Boltzmann, Ludwig: Uber die Frage nach der objekäven Existenz der Vorgänge in der un belebten Natur (aus: Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien, Mathem.- naturwiss. Klasse 106, Abt. Ila [Jänner 1897] 83), in: Ludwig Boltzmann. Populäre Schriften, ausge wählt von Broda, Engelbert (Braunschweig - Wiesbaden 1979) 94. ' Im beobachteten Zeitraum 1855-1863 schloß rund ein Viertel aller Schüler das Jahr mit einem Zeug nis 1. Klasse und mit Vorzug ab. ' NÖB 2 (wie Anm. 7) 130. ' Flamm: Leben Boltzmanns (wie Anm. 13) 21. Broda: Ludwig Boltzmann (wie Anm. 7) 13. ■ BJDN 11 (wie Anm. 7) 97.

Zwischen beiden bestand eine sehr enge Bindung, die auch die Ehefrau Ludwig Boltzmanns, die aus einer angesehenen Grazer Juristenfamilie stammende fJenriette Edle von Aigentier (1854-1938) in Form von schwiegermütterlichen Rivalitätsgefüh len zu spüren bekam." Im Juli 1863 legte Boltzmann die Reifeprüfung ab" - wie in Anbetracht der vorangegangenen Beurteilungen nicht anders zu erwarten war, mit ausgezeichnetem Erfolg: Mafura-Gesamtbeurteilung (Ludwig E. Boltzmann) Sittliches Betragen: Religionslehre: Lateinische Sprache: Griechische Sprache: Deutsche Sprache: Geographie und Geschichte; Mathematik; Physik: Naturgeschichte: Semestralnoten 1862/63: Philosophische Propädeutik: Italienische Sprache: musterhaft ausgezeichnete Kenntnisse richtige Auffassung, gewandte Ubersetzung, korrekter Stil bei erschöpfender Kenntnis der Grammatik sehr gründlich und geübt im mündlichen und schriftlichen Ausdruck Verständnis ausgezeichnet, mündlicher und schriftlicher Ausdruck klar und kernig Datenkenntnis, Auffassung und Darstellung ausgezeichnet gründliche Auffassung der Lehrsätze, gewandte Darstellung bei gründlicher Kenntnis der Naturerscheinungen und ihrer Gesetze sichere und klare Darstellung ausgezeichnet gut Von den 29 Prüflingen seiner Klasse bestanden zwei im ersten Anlauf nicht, einer, nämlich Boltzmann, wurde als „reif mit Auszeichnung" beurteilt, die übrigen 26 für reif zum Universitätsbesuch befunden. Wie die Maturanten auf die Frage nach ihrem künftigen Berufsbild unmittelbar vor der Entgegennahme ihrer Reifezeug nisse angaben, beabsichtigten 22 sich dem Theologiestudium zuzuwenden, einer der Geschichtsforschung, zwei der Medizin und zwei den Rechtswissenschaften." Ein " Aus der seit 1876 bestehenden Verbindung gingen zwei Söhne: Ludwig (1878-1889), Arthur (18811952), und drei Töchter hervor; vgl. Flamm: Leben Boltzmanns (wie Anm. 13). Von den Kindern trat besonders HR Dipl.-Ing. Dr. phil. Arthur Boltzmann hervor, Regierungsdirektor des Eichwesens in Wien, naturwiss. Schriftsteller, im Ersten Weltkrieg Kommandant der k. k, Ballonkompanien und Re kordhalter der längsten Soloballonfahrt: Neue Deutsche Biographie (Berlin 1955) 436-437. Die Einführung der „Maturitätsprüfung" an Österreichs Gymnasien erfolgte 1849, am Linzer Gymna sium wurde die erste Reifeprüfung 1850 abgenommen: Ardelt; Akademisches Gymnasium Linz (wie Anm. 35) 10-11; dazu vgl. Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 162. " AAG: Protocoll der am Obergymnasium zu Linz im Monate Julius 1863 abgehaltenen MaturitätsPrüfung. Die Einzelbeurteilungen nach schriftlichen und mündlichen Prüfungen getrennt im AAG: Notenliste der Matura 1863 (5 BIL). AAG: Katalog der 8. Klasse, Schuljahr 1863; 13. Jahresbericht des Gymnasiums zum Schuljahr 1862/ 63: Chronik (Linz 1863). Vgl. dazu die Berufswünsche des Jahrganges 1853: Die Hälfte der Absolven ten wollte sich der weit- bzw. ordensgeistlichen Laufbahn zuwenden, 40 % den Rechtswissenschaften, die übrigen Abgänger zu gleichen Teilen der Medizin und den Naturwissenschaften: Bernhard, Alois: Aus dem Schularchiv, in: 127. Jahresbericht über das Schuljahr 1979/80. Akademisches Gym nasium (1. Bundesgymnasium Linz) 17; dazu s. auch die Angaben aller in den Gymnasien auf dem

Kandidat für ein mathematisch-naturwissenschaftliches Fach scheint jedoch erst im darauffolgenden Maturajahrgang auf.^' Im Herbst 1863 nahm Boltzmann an der Universität Wien sein Physik- und Mathematikstudium auf, promovierte 1866, legte aus beiden Fächern 1867 auch die Lehramtsprüfung für Mittelschulen mit vorzüglichem Erfolg ab und habilitierte sich noch im selben Jahr.^® Die Lehrkräfte des jungen Boltzmann beeinflußten sicherlich nachhaltig sei nen zukünftigen Lebensweg.®' Ludwig Boltzmann hatte sich schon im Gymnasium mit besonderer Vorliebe mathematischen Studien zugewandt.'® Die Anregung zum späteren Studium der Physik und Mathematik erhielt er wohl, was naheliegt, von seinem langjährigen Physik- und Mathematikprofessor Dr. phil. Josef Kudelka (1814-1887).'^ Vor seiner Lehrtätigkeit am Linzer Gymnasium (1850-1879) hatte der aus Paskau/Paskow (Mähren) gebürtige Kudelka am Linzer Lyzeum unterrichtet (1844-1849). Er trat vor allem durch wissenschaftspublizistische Tätigkeit, auch auf pädagogischem Gebiet," hervor. Kudelka stellte immerhin schon 1858 fest, daß „die beiden obersten Klassen für die Physik wenige Talente aufweisen]; dagegen scheint der Nachwuchs der untern Schüler dergleichen zu versprechen; wenigstens zeigt sich da reger Eifer, viele Aufmerksamkeit, gehöriger Fleiß".'® Auf den Mathematiklehrer Gottfried Jax,'^ Ordensmann des Zisterzienserstiftes Wilhering und einer bis in das ausgehende 16. Jahrhundert im Mühlviertel nachzuweisenden oberösterreichischen Familie ent stammend, stößt man während der ersten beiden Jahrgänge, auf Dr. med. Dominik Gottfried Golumbus (1807-1882) als langjährigen Lehrer Boltzmanns für NaturgeBoden des heutigen Österreich für reif erklärten Studenten des Maturajahrganges 1855: 49 % Rechts wissenschaftliche Fakultät, 27,1 °/o Theolog. F., 11,6 % Medizin. F., 7,5 % Philosoph. F., 4,8 % nichtaka demische Berufswahl: Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 169. Ebd., 168-170, allg. Aufschlußreiches zur Berufswahl von „Mittelschülern" im 19. Jh. ' 14. Jahresbericht des Gymnasiums zum Schuljahr 1863/64 (Linz 1864). Die frühen Jahresberichte des Gymnasiums sind in ihren Inhalten nicht immer zuverlässig und enthalten punktuelle Ungenauigkeiten. Unterschiedlich stark ausgeprägte redaktionelle Sorgfalt und wechselnde Verantwortliche dürf ten die Fehlerquellen mitverursacht haben. ' Boltzmann absolvierte das Probejahr am Akademischen Gymnasium in Wien, genügte im prakti schen Unterricht den Ansprüchen als Gymnasiallehrer aber nicht, weil er sich bei der ihm 1867/68 an vertrauten Klasse infolge seiner bereits starken Kurzsichtigkeit keine Autorität verschaffen konnte: Stiller: Ludwig Boltzmann (wie Anm. 5) 12; BJDN 11 (wie Anm. 7) 96-97; NÖB 2 (wie Anm. 7) 130. Dies steht nun freilich im Widerspruch zu den später herausragenden didaktischen Fähigkeiten Boltzmanns als Universitätslehrer. ' Vgl. dazu die Aufzählung seines Lehrkörpers in den Jahren 1855-1863 in: Stenitzer, Peter: „Klassen primus Boltzmann" - Die Gymnasialzeit des Physikers Ludwig Boltzmann in Linz (1855-1863), in: Akademisches Gymnasium Linz, 141. Jahresbericht 1993/94, 11 f. ' Ludwig Boltzmann. Ausstellungskatalog (wie Anm. 10) 11. ■ Zu ihm: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 4 (Wien - Köln - Graz 1969) 318. '■ Kudelka, Josef: Einige Worte über Erziehung, in: Gaisberger: Akademisches Gymnasium (wie Anm. 35) 21-32. ' AAG: Protokoll der Schlußkonferenz vom 11. 2. 1858. ' Gaisberger: Akademisches Gymnasium (wie Anm. 35) 96-97.

schichte bereits in der 1. Klasse/' Schulrat Anton Ozlberger (1828-1901) schließlich, Augustiner-Chorherr im Stift St. Florian und Professor am Linzer Gymnasium 1854-1893, begleitete Boltzmann einige Jahre als Klassenvorstand wie auch als Lehr kraft für Geschichte, Geographie und Griechisch durch die Klassen.^' Georg Schafflinger (1806-1867) ist ab 1836 am Linzer Gymnasium nachzuweisen. Boltzmann ließ er seinen Griechisch- und Lateinunterricht angedeihen.^^ In Geographie und Geschichte wurde der junge Boltzmann vom Weltpriester Dr. iur. et theol. Maximi lian Pammesberger (1820-1864) und von Robert Riepl (1826-1871), Wilheringer Kapitular und Priester seit 1850, unterrichtet, während er philosophischen Einfüh rungsunterricht durch Dr. phil. (Amos) Mathias Drbal (1829-1885), der auch die Fächer Deutsch, Geschichte und Geographie lehrte, erfuhr. Drbal stieg später über eine Direktion in Iglau zum Landesschulinspektor für Mähren auf. Seine zur Psy chologie und Logik verfaßten Lehrbücher eigneten sich sowohl für den Gymnasial unterricht als auch zum Selbststudium. Sie erschienen in zahlreichen Auflagen, wur den schließlich ins Englische übersetzt und sogar in Colleges der USA verwendet.'® Drbal gehörte wie auch Golumbus oder Kudelka jenem Kreis von Mittel schullehrern an, die durchaus öffentliche Wertschätzung genossen. Dieser Lehrerty pus machte sich besonders in der Archiv- und Museumspflege verdient, engagierte sich in der Volksbildung und war durch Publikationstätigkeit etwa in den Jahresbe richten der Schulen oder in Fachzeitschriften auch in der Wissenschaftswelt ausge wiesen." Von den insgesamt 15 Lehrkräften, mit denen sich Boltzmann von 1855 bis 1863 konfrontiert sah, betrug der Anteil geistlicher Lehrpersonen - großteils Ordensangehörige der oberösterreichischen Stifte Reichersberg, Schlägt, St. Florian und Wilhering®® - immerhin noch 60 Prozent,®^ während sich von den Absolventen " AAG: Katalog der 1. Klasse, Schuljahr 1856; dort auch weitere Einzelheiten zu seinen vielfältigen Funktionen, v.a. im Landwirtschaftswesen; 1864-1871 Direktor des Linzer Gymnasiums. Zu ihm s.a. Krackowizer, Ferdinand - Berger, Franz: Biographisches Lexikon des Landes Österreich ob der Enns. Gelehrte, Schriftsteller und Künstler Oberösterreichs seit 1800 (Passau - Linz 1931) 36-37. ™ Krackowizer: Biographisches Lexikon OÖ. (wie Anm. 75) 222. " AAG: Katalog der 7. Klasse, Schuljahr 1862; Krackowizer: Biographisches Lexikon OÖ. (wie Anm. 75) 279. Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 47. " Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 70. 1807-1849 stand das Linzer Gymnasium unter der Leitung des Stiftes St. Florian, den Unterricht er teilten Geistliche aus den oö. Klöstern St. Florian, Reichersberg, Wilhering, Lambach und Schlägl. Geistliche Orden führten und unterhielten bis über die Mitte des 19. Jh. hinaus den Großteil der österr. Gymnasien. Als nach 1848/49 der Staat das „mittlere" Schulwesen immer stärker seiner Kon trolle unterwarf, begannen sich die Orden aus dem Schulbereich zurückzuziehen, hauptsächlich, um finanziellen bzw. personellen Ballast abzuwerfen: Engelbrecht: Österr. Bildungswesen 4 (wie Anm. 34) 64, 164. Aus finanziellen Erwägungen heraus trachtete der Staat 1856 das Linzer Gymnasium je doch wieder den oö. Stiften zu übertragen. 1859 bot er die Leitung erneut, doch ohne Erfolg, dem Stift St. Florian an: Ardelt: Akademisches Gymnasium Linz (wie Anm. 35) 8, 11. Diese Zahl entsprach dem landläufigen Durchschnitt: 1861 gehörten noch 62,5 % der an österr. Gym nasien eingesetzten Lehrer dem Klerus an, 1871 hingegen nur mehr 36 %: Engelbrecht: Österr. Bil dungswesen 4 (wie Anm. 34) 65.

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