Wenn die Bosnier Elefanten wären, würde Greenpeace flammende Anklage gegen ihren Abschuß durch Wildbanditen erheben. Wenn die Bosnier Berggorillas wären, die am Verhungern sind, rüstete der World-Wildlife-Fonds spontan Trägerkolonnen aus, um sie am Leben zu erhalten. Wenn die Bosnier heilige Kühe wären, könnten sie sich ungefährdet in den Dörfern und Städten ihrer Heimat bewegen. Weil die Bosnier nur Bosnier sind, wäscht man sich in den politischen Schaltzentralen jeden Tag die Hände in Unschuld. Wie richtet man den geschundenen Menschen, ein geschlagenes Volk wieder auf? Der große amerikanische Rhapsode Walt Whitman sprach es Mitte des vori gen Jahrhunderts aus: Dachtet ihr, Sieg ist groß? Ich denke, daß Tod und Erschrockenheit groß sind. Und daß Niederlage groß ist. Wir haben erschrocken zu sein. Und die - unverschuldete - Niederlage der Uberfallenen zu achten. Sie birgt in ih rem Kern den einen Funken Hoffnung, ohne den das Leben derer, die verfolgt und gejagt werden, nichts mehr wert wäre. Was haben heute die Bosnier mit Stifter und seinem Sittengesetz zu tun? Alles, sage ich. Denn es geht für sie um das Recht zu leben, um die Freiheit, in ihrer angestammten Heimat existieren zu dürfen. Was sind Stifters Ideale in unserer brüchigen Welt noch wert? lautet die nächste Frage. Haben sie überhaupt noch Chancen, verwirklicht zu werden? Ich glaube, ja! Lassen Sie mich einen Tag nennen, der die Hoffnung für eine friedliche Zu kunft in sich birgt: Den 12. Juni 1994. Den Tag, an dem sich das österreichische Volk in überragender Mehrheit für den Weg in ein gemeinsames Europa ent schloß. Nachdem der Europa in zwei Hälften teilende Eiserne Vorhang schon Ende 1989 gefallen ist und Mauer und Sta cheldraht verschwunden sind, finden sich immer mehr europäische Staaten in einem gemeinsamen Kontinent wieder. Daß Osterreich - mit den nordi schen Staaten - den Beitrittsvertrag auf der griechischen Insel Korfu im Mittel meer unterschrieben hat, strahlt für un ser Binnenland starke Symbolkraft aus. Stifter, der Sohn des Böhmerwaldes, der Freund der Berge, war ein einziges Mal in seinem Leben am Meer. In einem meiner Gedichte schrieb ich darüber: Einmal sah er das Meer. Bei Triest. Miramare war noch nicht erbaut und
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