OÖ. Heimatblätter 1994, 48. Jahrgang, Heft 3

Die vergessenen Julitage des Jahres 1934 Von Fritz Winkler Wenn in Österreich der Ereignisse des Jahres 1934 gedacht wird, so ist es vor allem die Februarrevolution; daß aber im Juli des gleichen Jahres der An schluß an Hitler-Deutschland erstmals versucht wurde, ist in Vergessenheit ge raten. Als 1932 in Deutschland die NSDAP alle Macht an sich gerissen hatte, wurde Hitlers Idee vom „Großdeutschen Reich" bis zum katastrophalen Ende 1945 syste matisch durchgezogen. Die Realisierung des österreichischen Anschlusses an Deutschland wurde mit härtester Zermürbungstaktik verfolgt (Tausendmark sperre, Terroranschläge u. v. a. m.). Die schlechte Wirtschaftslage und die große Arbeitslosigkeit in Österreich waren der beste Nährboden für das Ideengut der NSDAP. Innerhalb kürze ster Zeit erlangte diese Partei eine hohe Zahl an Mitarbeitern und Sympathisan ten bis ins kleinste Dorf, die auch Träger einer straffen Organisation waren. Ziel der österreichischen NSDAP war die Absetzung der Regierung und die Übernahme der gesamten Macht mit Unterstützung durch Hitler-Deutsch land. Selbst die Exekutive und das Bun desheer waren bis in höchste Positionen von Nazis durchsetzt. In dieser prekären Lage versicherte sich die österreichische Regierung der Unterstützung MussoliniItaliens durch den Abschluß eines Bei standpaktes. Demzufolge wurden anläß lich der NS-Revolte im Juli 1934 drei ita lienische Divisionen zum Brenner-Paß in Marsch gesetzt. Ihr Ziel war es, das Ein dringen der aus Exilösterreichern beste henden Legion von Deutschland aus zu verhindern. Diese Vorkehrungen konn ten den Nazis in Österreich nicht verbor gen bleiben. Das italienische Eingreifen wurde von Hitler-Deutschland nicht ein kalkuliert. Dazu kam eine weitere Panne für die Nazis, weil der Überbringer des konkreten Aufstandsplanes für Öster reich beim illegalen Grenzübertritt in Kollerschlag festgenommen wurde. Kein Geringerer als Winston Chur chill bezeichnet in seinen Memoiren Kollerschlag als jenen Ort, wo Öster reichs Schicksal im Juli 1934 entschei dend mitbestimmt wurde. Damit meinte er nicht das erfolgreiche Zurückwerfen der gleichzeitig dort eingedrungenen Le gion, sondern die Aufdeckung des Auf standsplanes. Der Aufstandsplan wird in der jüng sten Geschichtsliteratur als „Kollerschla ger Dokument" bezeichnet. Konkret bestand der Plan in der Übernahme der Macht in Österreich. Die Bundesregierung sollte anläßlich ei ner Ministerratssitzung am 25. Juli ge fangen und über Rundfunk deren Rück tritt verkündet werden. Zur Wiederher stellung der Ordnung sollte am 27. Juli die Legion aus Deutschland zu Hilfe kommen. Auf den Putschplan für diese Julitage war die gesamte NSDAP-Orga nisation einschließlich der Bewaffnung vorbereitet worden.

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