fakturarbeitern Zichorienbrühe aufgegossen und so getan, als trinke man echten Bohnenkaffee. Der massenhafte Bedarf an Zucker zum Süßen hat um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert dazu geführt, daß man die Gewinnung des Rübenzukkers forciert hat und damit vom teureren Rohrzucker unabhängig geworden ist. Dem Weg der Vermittlung von Kulturgütern von den führenden Sozialgrup pen zu den darunterliegenden könnte man noch auf vielen Feldern nachgehen: beim Porzellangeschirr etwa, beim Wandschmuck, den Zimmertapeten, beim Freizeitver halten (denkt man an den Massenurlaub in Italien!), beim Klavierspielen, bei der Hochzeitskleidung, bei der Zimmereinteilung, bei den Möbeln, in der Kleidung usw. Gesellschaftliche Schranken sind, soweit kulturelle Lebensäußerungen betroffen sind, auch in der Vergangenheit alles andere als undurchdringlich gewesen. Der Wille nach Angleichung an die nächsthöhere Sozialgruppe hat als Motor für kultu relle Bewegung zu allen Zeiten gewirkt. In der Volkskunde wurde dies auch erkannt und in den Theorien vom Sinken des Kulturgutes und von der Kulturfixierung fest gemacht. Das erste meint das regelhafte Weiterwandern von Elementen des Lebens stiles entlang der gesellschaftlichen Hierarchie; die Kulturfixierungstheorie versucht den Zeitpunkt zu nennen, wann solche Erneuerungsschübe durch die Kultur hin durchgehen: Konjunkturelle Hochlagen bringen in der Regel die meisten Verände rungen hervor. Wenn es den Menschen wieder schlechtergeht, dann wollen sie unbedingt an den neuen Errungenschaften festhalten, auch wenn sie sich diese eigentlich nicht mehr leisten können. Und nun zum Schluß. Die Vorstellung von der jahrhundertelangen Bestän digkeit und der lokalen oder kleinräumigen Abschottung der Volkskultur, von der die Forschung im 19. Jahrhundert ihren Ausgang genommen hat, wurde innerhalb der Volkskunde mittlerweile weitgehend revidiert. Wir haben heute mehr ein Auge für Veränderung und Weiterbildung, für die Anpassung an neue Lebensbedingun gen, für das Überschreiten von sozialen und regionalen Grenzen. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß es die lokale oder regionale Besonder heit nicht auch gegeben hat. Sie konnte sich dort ausbilden, wo die Faktoren der Ver einheitlichung und Grenzüberschreitung gebrochen oder schwach waren. Ich gehe sie noch einmal durch: Wo politische Territorien nicht miteinander kooperierten, sondern im Konflikt lagen; wo verschiedene Konfessionen in unmittelbarer Nach barschaft lebten und bestrebt waren, sich durch sichtbare Zeichen ihrer religiösen Kultur voneinander abzuheben (in unserer Region besonders Katholiken - Prote stanten - Juden); wo das Handwerk nicht oder unterschiedlich stark ausgebildet war; wo erhebliche Unterschiede im Alphabetisierungsgrad bestanden; wo man stärker von Außenkontakten abgeschnitten wurde als anderswo; wo die demogra phische Entwicklung kontinuierlich und nicht sprunghaft verlief; wo die soziale Durchmischung gering und lange Zeit ungestört war. Das Bild von einer lokalen oder regionalen Kultur ergibt sich vor allem dann, wenn man alle kulturellen Ele mente zusammen sieht und nicht - wie ich das getan habe - thematische Bereiche ausgliedert. Die jeweilige Mischung ist natürlich lokal oder regional. Sie ist entstan den, weil aus dem übergreifenden Angebot nicht alles und vor allem nicht alles in
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2